In mehr als 50 Ländern wird am heutigen Montag der Internationale Geburtshelferinnentag gefeiert. Doch viele der Frauen kämpfen um ihre berufliche Existenz.

Hebammen gibt es seit Tausenden von Jahren. Sie sind auf alten ägyptischen Tempelmalereien abgebildet, sie wurden in der Bibel gelobt und im Mittelalter als Hexen beschimpft, gefoltert und getötet. Ihr Dasein war ein ständiger Kampf um die entsprechende Anerkennung, angemessene Bezahlung und oft um das bloße Überleben. Auch im 21. Jahrhundert müssen sie um ihre berufliche Existenz bangen – und die heutige Gesellschaft muss sich fragen, welchen Weg die Geburtshilfe nehmen soll. Ein Ausblick.

Katharina Helms, 54, aus Hamburg hat in den letzten 24 Stunden kein Auge zugemacht. Aber sie hat dafür gesorgt, dass Johann das Licht der Welt erblickt. Die Beleghebamme aus Blankenese hat die Mutter durch die Geburt hindurch begleitet, von der ersten Wehe bis zum ersten Schrei. Für alle Beteiligten war es eine schöne Geburt mit nur einer Hebamme und gleichzeitig mit der intensivmedizinischen Sicherheit im krankenhäuslichen Hintergrund. Während Johanns Mama ihre Belohnung in den Armen hält, schreibt Katharina Helms Wochen später eine Rechnung für die Beleggeburt über 275 Euro brutto. Seit zwei Jahren begleitet sie Frauen als Beleghebamme, durchschnittlich sind es fünf Geburten pro Monat, etwa 60 Geburten pro Jahr. Zuvor hatte sie zehn Jahre lang als freiberufliche Hebamme ohne Geburtshilfe die Vor- und Nachsorge übernommen, aber „mir fehlte die Geburt als originäre Arbeit von uns Hebammen. Eigentlich sind wir die ersten Ansprechpartner in Sachen Geburt.“ So steht im deutschen Hebammengesetz eindeutig die Hinzuziehungspflicht der Hebammen: „Eine Hebamme darf die Geburt alleine begleiten – es sei denn, die Geburt nimmt einen regelwidrigen Verlauf.“ Ein Arzt hingegen darf nur im Notfall ohne Hebamme entbinden.

„Was jedoch fehlt, ist der Schutz vor dem finanziellen Ruin, der unter anderem Folge einer niedrigen Bezahlung mit gleichzeitig hohen Betriebskosten ist, insbesondere der Berufshaftpflichtversicherung“, sagt Bernd Hendges, geschäftsführender Gesellschafter von Securon. Seit zehn Jahren handelt der Münchener Versicherungsmakler für Deutschlands Hebammen die Prämien aus. Es wird immer schwerer für ihn, Versicherer zu finden. Zuletzt stieg die Nürnberger Versicherung aus dem Konsortium aus. Securon konnte noch einmal mehrere Versicherer finden, die bis Mitte 2016 die Anteile der Nürnberger Versicherung übernehmen.

Für die Versicherer steht laut Bernd Hendges fest, dass es ohne Prämiensteigerungen nicht mehr geht. Seit 2004 stiegen die Prämien rapide an, „für freiberufliche Geburtshelferinnen um 276 Prozent von 1352 Euro auf 5091 Euro ab Juli“. Für ein Viertel aller freiberuflichen Hebammen war dies nach Aussage des Deutschen Hebammenverbandes ein Grund, die Geburtshilfe in den vergangenen Jahren aufzugeben.

Das Problem seien nicht steigende Zahlen von Geburtsschäden, die von Hebammen verursacht worden sind. „Zum einen haben Kinder, die einen schweren Geburtsschaden erlitten haben, dank der modernen Medizin eine wesentlich längere Lebenserwartung als früher“, sagt Bernd Hendges. „Zum anderen sind es die Regresse der Sozial- und Rentenversicherungsträger sowie der Krankenkassen, die die Prämien in die Höhe treiben.“

Außerdem würden heutige Richter ganz andere Summen zusprechen als noch vor 25 Jahren. „1990 sprach ein Richter einem Kind, das durch einen Fehler unter der Geburt schwerbehindert wurde, durchschnittlich 200.000 D-Mark Schmerzensgeld zu“, sagt er. „Heute sind es 500.000 Euro, und wir reden nur vom Schmerzensgeld.“ Summen, die die Versicherungslandschaft allein langfristig nicht abdecken könne. Eine Folge wäre, dass die Beiträge auch 2016 massiv steigen würden – sofern sich überhaupt Versicherer für die 17.700 freiberuflichen Hebammen fänden: „Wir brauchen eine politische Lösung. Sonst wird die flächendeckende Versorgung durch Hebammen, wie sie von den Kassen gewährleistet sein muss, bald nicht mehr vorhanden sein.“

Einen ersten Schritt hat Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) bereits am vergangenen Mittwoch getan. Gröhe hatte in Berlin den Abschlussbericht der Arbeitsgruppe „Versorgung mit Hebammenhilfe“ vorgestellt. Kernpunkt war unter anderem ein Sicherstellungszuschlag bei der Hebammenvergütung durch die Krankenkassen. Diese Art der Subfinanzierung soll den Hebammen helfen, die nur wenige Geburten im Jahr betreuen. Voraussetzung: Sie erfüllen die Qualitätsanforderungen, die noch in diesem Jahr von den Hebammenverbänden und dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) definiert werden sollen.

Für Susanne Lohmann, Hamburger Landesvorsitzende des Deutschen Hebammenverbandes (DHV), ein guter Ansatz, der allerdings keine dauerhafte Lösung darstellt: „Dadurch gibt es nur eine kurzfristige Entlastung, es löst aber nicht das Problem der Kostensteigerung.“ Ebenso wie Bernd Hendges sieht sie ein wesentliches Problem in den hohen Regresskosten der Sozialversicherungsträger und der Krankenkassen, die etwa 35 Prozent der Haftpflichtsummen ausmachen würden. Gröhe will prüfen, ob die Regressmöglichkeiten eingeschränkt werden können und ob eine Deckelung der Haftpflichtdeckungssummen möglich ist.

Ein Vorhaben, das bei Florian Lanz, Sprecher des GKV-Spitzenverbands, auf wenig Verständnis stößt: „Wieso sollten die Beitragszahler für das Berufsrisiko der Hebammen haften? Wenn eine Hebamme einen Schaden verursacht, dann sollte sie dafür auch zu 100 Prozent geradestehen.“ Auch das Bundesministerium der Justiz (BMJ) sowie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) äußerten rechtliche Bedenken gegen eine Beschränkung der Regresshöhen, besonders im Hinblick auf eine bestimmte Berufsgruppe. „Damit würde ein Fass geöffnet, denn auch die Ärzte haben mit hohen Haftpflichtsummen zu kämpfen“, sagt Dr. Ulrich Steffen, Rechtsanwalt für Medizinrecht aus Hamburg. Könnten die Hebammen nicht mehr in den Regress genommen werden, würden andere Berufsgruppen dieses Privileg ebenfalls für sich einfordern.

Ein Problem, dass auch die Hebammen erkannt haben. Sie schlagen daher einen Haftungsfreistellungsfonds vor, aus dem die Schäden ab einer gewissen Summe gezahlt würden. „Wir wollen ja in einen Topf einzahlen“, sagt Susanne Lohmann. „Aber Beitragssummen in der aktuellen Höhe können wir uns nicht leisten.“

Die Aussicht auf diese hohen Beiträge war für Martje Gosau, 38, ein Grund, Hamburg zu verlassen und in Norwegen als Hebamme zu arbeiten. „In Deutschland hätten wir uns ein Leben mit Kindern so nicht leisten können“, sagt die Hebamme. Seit fünf Jahren lebt die zweifache Mutter mit ihrer Familie in Averoy, einer 6000-Einwohner-Kommune, die aus mehreren Inseln besteht. Eineinhalb Tage pro Woche arbeitet sie als Hebamme in der Kommune, die restliche Arbeitszeit verbringt sie im Kreissaal des Krankenhauses in Kristiansund.

Als staatlich angestellte Hebamme ist Martje Gosau über den norwegischen Hebammenverband versichert. Im Schadensfall tritt die „Pasientskadeerstatning“ ein, ein staatlicher Gesundheitsfonds, der sich durch Einzahlung der Krankenhäuser finanziert – nicht nur bei den staatlich angestellten Hebammen, sondern auch bei den wenigen freiberuflichen Kolleginnen. „Eine Hebamme in Norwegen hat viel Zeit für eine Frau und keinen Druck, kosteneffizient arbeiten zu müssen“, sagt Gosau. Qualitativ hochwertige Arbeit würden auch ihre Hamburger Kolleginnen leisten: „Aber im Gegensatz zu mir müssen sie sich ständig Sorgen um ihre Zukunft machen. Das zerreißt einen auf die Dauer und lässt einen schnell vergessen, worum es eigentlich geht – um die Geburt eines Kindes.“

Wie das Kind auf die Welt kommt, „sollte die schwangere Frau entscheiden und nicht die Finanzierungsproblematik der Versicherung“, sagt Prof. Volker Ragosch, Chefarzt der AsklepiosFrauenkliniken Altona und Harburg. Sowohl die moderne Technik als auch das ärztliche Wissen sollten nur zum Einsatz kommen, wenn es unbedingt nötig sei: „Umgekehrt muss die Hebamme aber auch merken, wann ihr Bereich endet und die Ärzte übernehmen müssen.“ Teamarbeit sei wichtig, gegenseitiger Respekt und der gemeinsame Ansatz, so weit wie möglich auf die Wünsche der Patientin einzugehen.

Sein Kollege Dr. Ingo von Leffern, Direktor der Albertinen-Frauenkliniken und Chefarzt der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, pflichtet ihm bei. „Die Hebammen schließen die Lücke zwischen der technischen, wissenschaftlichen Medizin und den Wünschen der Frau nach individueller Betreuung. Auch Hebammen machen Medizin, haben aber in der heutigen Geburtshilfe eine etwas andere Rolle als wir Ärzte.“ Die Hausgeburtshilfe durch Hebammen oder die Geburt in Geburtshäusern spiele in Hamburg eine untergeordnete Rolle. In den vergangenen Jahren habe die Zahl konstant bei etwa 150 Geburten in den Hamburger Geburtshäusern gelegen – bei circa 21.000 Geburten insgesamt: „Die Frauen wollen am liebsten sowohl Hebamme als auch Arzt, und es gibt aus meiner Sicht überhaupt keinen Grund, den werdenden Eltern eines von beiden vorzuenthalten.“ Eines dürfe jedoch nicht vergessen werden: Nicht nur die Geburtshilfe, auch die heutige Erstgebärende sei eine andere als noch vor 30 Jahren. „Die Zahl der Kaiserschnitte nimmt weiter zu, weil die Frauen immer später ihr erstes Kind bekommen, immer häufiger unter Fettleibigkeit und Schwangerschaftsdiabetes leiden und die Ärzte Fehler vermeiden wollen.“

Dass Hebammen für eine gesunde Schwangerschaft und gelungene Geburt unabdingbar sind, ist mittlerweile wissenschaftlich dokumentiert. In der Cochrane-Analyse untersuchten Wissenschaftler am Londoner King’s College insgesamt 13 Studien, die zwischen 1989 und 2011 in Irland, Kanada, Australien und Großbritannien anhand einer Befragung von mehr als 16.200 Frauen erstellt wurden. Die Forscher prüften zunächst, welche Auswirkungen die kontinuierliche Betreuung von Hebammen auf Mutter und Kind hat. Anschließend setzten sie die Ergebnisse in den Vergleich zu der Gruppe werdender Mütter, die keine durchgängige Hebammenbetreuung hatten. Die Ergebnisse legen nahe, dass gesunde Frauen davon profitieren, von einer Hebamme vor, während und nach der Geburt begleitet zu werden. So würden die hebammenbetreuten Frauen seltener eine Frühgeburt haben, ihre Kinder häufiger auf natürlichem Weg zur Welt bringen, seltener eine örtliche Betäubung erhalten und weniger Zangen- und Saugglockengeburten haben.

Ricarda Sitan, Hebamme und Gründerin des Geburtshauses Elbehebammen in Harburg, sieht ihre Arbeit darin bestätigt. Seit Gründung des Geburtshauses vor fünf Jahren haben ihre zwei Kolleginnen und sie mehr als 90 Frauen geholfen, ihre Kinder auf die Welt zu bringen. Durchschnittlich 20 Prozent der Gebärenden müssen während der Geburt in die zwei Kilometer entfernten Krankenhäuser Asklepios Harburg oder Mariahilf gebracht werden. „Ich finde es schlimm, dass wir die natürliche Geburt verteidigen müssen“, sagt Sitan. Sie zeichnet ein düsteres Bild der künftigen Geburt, geprägt von „zentralisierten Geburtskliniken“.

Dabei sind laut einer Studie des GKV-Spitzenverbandes hebammengeleitete Geburtshäuser den Krankenhäusern qualitativ ebenbürtig. Basierend auf 93.000 komplikationslosen Geburten – 71.000 klinischen und 22.000 außerklinischen – wurde konstatiert, dass in den Geburtshäusern weniger Medikamente gegeben wurden und weniger Dammschnitte gemacht werden mussten. Der gesundheitliche Zustand der Neugeborenen zehn Minuten nach der Geburt war in beiden Fällen gleich. „Unsere Betreuung vor, während und nach der Geburt ist die originäre Hebammenarbeit“, sagt Ricarda Sitan. „Die Frauen bekommen ihr Kind in einer vertrauten Umgebung gemeinsam mit Menschen, die sie kennen und die sie kennt.“

Ähnlich begründet auch Tanja Paulini, 41, aus Hamburg-Bahrenfeld ihre Entscheidung – allerdings hatte sie sich für die Entbindung von Tochter Mareile für „den goldenen Mittelweg, für eine Beleghebamme“ entschieden. Zu präsent war noch die Geburt von Sohn Moritz, 2, die in einem Geburtshaus begann und mit einem Kaiserschnitt im Krankenhaus endete: „Weil uns aus Altersgründen klar war, dass Mareile unser letztes Kind sein würde, wollten wir es dieses Mal entspannt und gleichzeitig sicher angehen.“

Vor der Geburt ging Tanja Paulini mit ihrer Beleghebamme Livia Görner die Geburtsgeschichte von Moritz durch und verlor die Angst vor einem erneuten Kaiserschnitt. Am 30. Januar brachte die Diplom-Dolmetscherin für Gebärdensprachen ihre Tochter Mareile im Kreissaal des Altonaer Krankenhauses auf natürlichem Weg zur Welt. „Das verdanke ich meiner Hebamme“, sagt sie. „Bei ihr war ich sicher, dass alles gut verlaufen würde.“ Die Arbeit der Ärzte will sie nicht schmälern. Die Entbindung mit einer Beleghebamme war für sie die optimale Lösung, „eine Eins-zu-eins-Betreuung durch meine ausgewählte Hebamme, kombiniert mit der Sicherheit eines Krankenhauses“. Eine Geburt ohne Hebamme könnte sie sich nicht vorstellen: „Diese Frauen leisten Großartiges, egal, ob sie angestellt sind oder freiberuflich arbeiten.“

Auch Beleghebamme Katharina Helms betont, wie wertvoll die Arbeit ihrer angestellten Kolleginnen ist: „Ob angestellt oder freiberuflich, alle Hebammen bekommen zu wenig Anerkennung für ihre Arbeit.“ Daher ist auch ihr größter Wunsch, dass alle Hebammen endlich die Bestätigung bekämen, die ihnen seit Jahrtausenden zustünde – nicht nur am 5. Mai, sondern jeden Tag.