Angela Merkel reist ins Weiße Haus. Die NSA-Affäre schwebt über den Gesprächen zum Freihandelsabkommen und der Ukraine

Berlin. Glaubt man Barack Obama, dann darf sich Angela Merkel bei ihrer Reise nach Washington D.C. sicher fühlen. Das Team um den US-Präsidenten hat beteuert: Frau Bundeskanzlerin, Sie werden jetzt und in Zukunft nicht von uns überwacht! Doch kann die CDU-Politikerin den Amerikanern bei ihrem zweitägigen Besuch wirklich trauen? In der Ukraine-Krise zeigt sich derzeit, wie eng die USA und Deutschland noch immer beieinanderstehen. Um diesen Konflikt wird es auch vor allem gehen, wenn Merkel und Obama am Freitag im Weißen Haus beieinandersitzen. Wichtig wird zudem der Blick nach vorn sein auf das angestrebte Freihandelsabkommen zwischen EU und USA. Aber über all dem hängt eine tiefschwarze Wolke: die ausufernde Überwachung des amerikanischen Nachrichtendienstes National Security Agency (NSA).

Nach den ersten Snowden-Enthüllungen verteidigten die Amerikaner ihren Nachrichtendienst noch wortgewaltig. Dann allerdings wurde nach und nach klar: Die NSA und ihre Partnerdienste spähen millionenfach Bundesbürger aus. Höhepunkt war schließlich die Meldung, wonach Merkel jahrelang Ausspähziel war. Vieles von dem, was die Amerikaner zuvor behauptet hatten, hatte sich als schlichtweg unwahr erwiesen. Merkel fand dafür im Januar im Bundestag Worte, die ungewöhnlich deutlich für sie waren: „Ein Vorgehen, bei dem der Zweck die Mittel heiligt, (…) verletzt Vertrauen, es sät Misstrauen.“

Auch heute, fast ein Jahr nach den ersten Enthüllungen, ist unklar, ob die USA den Versuch einer Wiedergutmachung unternehmen werden. Vielleicht lautet ihre Devise auch einfach: Weiter so! Falls die Kanzlerin allerdings mit Zugeständnissen irgendeiner Art im Gepäck zurückkommt, wird die Skepsis groß bleiben. Denn bisher haben die Amerikaner in dieser Affäre zu viele Versprechen nicht eingehalten. Es gibt vor allem drei Lügen, die Merkel verzeihen muss, wenn es mit den deutsch-amerikanischen Beziehungen wieder bergauf gehen soll:

1. „Wir durchwühlen keine Mails von Europas Bürgern“

Der Skandal war erst ein paar Tage alt, als der US-Präsident im Juni 2013 in Berlin eintraf. Die Berichte im britischen „Guardian“ über die Ausspähprogramme der Amerikaner hatten rund um den Globus für Aufregung gesorgt. Als Frage stand im Raum, ob auch die Deutschen betroffen sind. Obama aber erklärte Merkel: Man würde keine normalen E-Mails von europäischen Bürgern „durchwühlen“. Zudem sei man an richterliche Beschlüsse gebunden.

Es dauerte jedoch nur ein paar Tage, dann zerschmetterte eine neue Enthüllung Snowdens diese Aussage: Zusammen mit dem britischen GCHQ zapfte die NSA die Glasfaserkabel an, über die ein großer Teil des weltweiten E-Mail- und Telefonverkehrs läuft. Durch diese Leitungen auf dem Grund des Atlantiks fließen die Daten oft selbst dann, wenn jemand eine Mail an einen Empfänger innerhalb Deutschlands verschickt. Die Berichte beschrieben nichts anderes als eine anlasslose Überwachung. Mitnichten hatten US-Richter zudem alle Details der Programme gebilligt.

2. „Recht und Gesetz werden eingehalten“

Ronald Pofalla wollte die Affäre für beendet erklären. Am 12. August 2013 sagte der damalige Kanzleramtschef: „Recht und Gesetz werden in Deutschland nach Angaben der NSA und des britischen Nachrichtendienstes eingehalten.“ Am 23. Juli habe die NSA der Bundesregierung schriftlich zugesagt: „Die NSA unternimmt nichts, um deutsche Interessen zu beschädigen.“

Tatsächlich wurde es für kurze Zeit ruhig um das Thema. Dann kam Ende Oktober die Sensationsmeldung, wonach Merkels Handy jahrelang als Ausspähziel geführt wurde. Die Versprechen der Amerikaner waren damit als Luftnummer entlarvt. Natürlich hatten sie Grundrechte gebrochen. Sogar die der Bundeskanzlerin. Noch nicht ganz klar ist übrigens, von wo aus Merkel überwacht wurde. Die US-Botschaft am Brandenburger Tor ist eine Möglichkeit, die im vergangenen Jahr oft genannt wurde. Die beiden „Spiegel“-Redakteure Marcel Rosenbach und Holger Stark, die Zugriff auf Originaldokumente Snowdens hatten, schreiben in ihrem Buch über die Affäre jedoch, dass einiges dafür spreche, dass Merkel über Knotenpunkte der Telefonnetze abgehört wurde.

3. „Die US-Seite bietet ein No-Spy-Abkommen an“

Bereits im vergangenen Sommer erklärte Berlin, die NSA habe den Abschluss eines Antispionageabkommens zugesichert. Pofalla frohlockte: „Dieses Angebot könnte uns niemals gemacht werden, wenn die Aussagen der Amerikaner, sich in Deutschland an Recht und Gesetz zu halten, nicht tatsächlich zutreffen würden.“ Mit dem Abkommen verband sich die Hoffnung, den Bundesbürgern die Sorgen zu nehmen. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der SPD-Fraktion präsentierte die Regierung sogar Zusicherungen, die mündlich bereits verabredet worden seien. Unter anderem hieß es, man werde keine „gegenseitige Spionage“ betreiben.

Doch Washington machte bald einen Rückzieher und wollte von den Versprechen seiner Nachrichtendienste nichts mehr wissen: Obamas Mannschaft beschloss, mit den Deutschen keinen Präzedenzfall zu schaffen. Man befürchtete, dass anschließend andere Partnerländer ähnliche Abkommen fordern würden.

Berlin steht deshalb nicht nur mit leeren Händen, sondern auch noch bloßgestellt da. Regierungssprecher Steffen Seibert sagt mittlerweile ganz offen, dass es kein „No-Spy-Abkommen“ geben werde.

Wie es nun weitergeht, ist unklar. Im Januar erklärte Obama zwar, dass die ausgeartete NSA-Überwachung zu einer Art amerikanischer Vorratsdatenspeicherung gezähmt werden soll. Außerdem wollen die USA keine befreundeten Staats- und Regierungschef mehr überwachen. Aber wie sehr kann man solchen Zusagen trauen nach diesem Jahr? Als Bundeskanzlerin scheint Merkel vor einer erneuten Überwachung geschützt. Doch schon für alle anderen Regierungsmitglieder oder Mitreisenden in die USA gilt die Zusicherung nicht mehr.

Man kann ihr also nur wünschen: Gute Reise.