Bundespräsident reist in Land, das innenpolitisch gespalten ist und international in der Kritik steht

Berlin/Istanbul. Die deutsch-türkischen Beziehungen waren schon besser, und der Zeitpunkt für den Staatsbesuch von Bundespräsident Joachim Gauck in Ankara und Istanbul ist alles andere als günstig. Die Demonstrationen gegen die islamisch-konservative Regierung im Gezi-Park sind unvergessen, Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sieht sich wegen Korruptionsvorwürfen in der Kritik, das kurze Verbot von sozialen Medien wie YouTube und Twitter war weltweit verurteilt worden. Und am 1. Mai drohen erneut Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften.

Bei Staatsbesuchen regiert das Protokoll, und Gauck wird sich an die Regeln halten. So will er, heißt es im Präsidialamt, die Erfolge der türkischen Modernisierung würdigen und die enge, auch militärische Partnerschaft loben. Gleichzeitig wird er aber Defizite bei Rechtsstaatlichkeit und Demokratie ansprechen. Bei einer Rede vor der Middle East Technical University am Montag in Ankara ist dazu Gelegenheit. Aber auch Gespräche mit Regierungskritikern und Oppositionspolitikern sind geplant. Zunächst besucht Gauck am Sonntag in Kahramanmaras ein Flüchtlingslager, in dem 16.000 Menschen aus Syrien Zuflucht gefunden haben. Insgesamt haben fast eine Million Syrer in der Türkei Schutz gesucht. Auch bei den 300 Bundeswehrsoldaten in Kahramanmaras, die dort mit Patriot-Raketen den Luftraum sichern, will sich Gauck informieren.

Als im Oktober 2010 der damalige Bundespräsident Christian Wulff die Türkei besuchte, strotzte das Land vor Selbstbewusstsein. Eine große Wirtschaftsdelegation hoffte im Gefolge Wulffs auf gute Geschäfte, das Land schickte sich an, im gesamten Nahen und Mittleren Osten eine zentrale Rolle zu übernehmen. Nicht zuletzt der Bürgerkrieg in Syrien hat diese Pläne zunichte gemacht. Nun ist der Bundespräsident in ein wirtschaftlich immer noch erfolgreiches, politisch aber tief gespaltenes und international eher isoliertes Land gereist. Gaucks türkischer Amtskollege Abdullah Gül ist dabei ein Mann der Mäßigung, der sich inmitten heftiger Machtkämpfe für politische Vernunft und einen Kurs Richtung EU ausspricht. Er kritisiert Theorien einer westlichen Verschwörung gegen die Türkei, wie sie von Erdogan und seinen Leuten verbreitet werden. Dies sei ein Erklärungsmodell „aus der Dritten Welt“, sagte Gül im März.

Erdogan sieht eine internationale „Zinslobby“ am Werk, die den Aufstieg der Türkei bremsen und mit Instabilität Kasse machen wolle. Internetdienste wie Twitter sind in seinen Augen Instrumente der Verschwörer, die er – so gut es eben geht – ausschalten will.

Vor diesem Hintergrund haben auch andere europäische Staatsgäste in der Türkei in den vergangenen Monaten Debatten über Freiheitsrechte angestoßen. Auch Gauck kommt mit einer klaren Botschaft. Menschenrechte, Meinungsfreiheit und Unabhängigkeit der Justiz sind für ihn zentrale Forderungen – überall, auch in der Türkei.