Arbeitsministerin will Frühverrentungen für die Unternehmen teuer machen

Berlin. Andrea Nahles ist schon in Osterstimmung. Viele Eltern werden zu Ostern wieder Eier verstecken und die Kinder auf die Suche schicken, beginnt sie ihre Rede. Ihre Tochter freue sich schon jetzt darauf, erzählt die Ministerin, und die Zuhörer wundern sich. Singt sie gleich wieder ein Kinderlied, wie einst im Bundestag? Eigentlich wollten sie auf dem Rentenpolitischen Hearing des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Berlin etwas über das Rentenpaket der Ministerin, den Krach in der Koalition und die Zukunft der deutschen Rentenversicherung hören – aber da hat Andrea Nahles die Kurve auch schon bekommen: „Wir spielen bei der Rente nicht den Osterhasen“, sagt sie. Und es würden auch keine Ostereier verteilt. „Die Menschen haben sich das verdient“, sagt Nahles und wechselt in die Sprache, die Gewerkschafter verstehen, sie spricht von Wertschätzung, Anerkennung von Lebensleistung, Schließung von Gerechtigkeitslücken.

Bis zum Jahr 2030 wollen die Koalitionäre 160 Milliarden Euro unter den Rentnern verteilen. Profitieren sollen davon vor allem Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, und langjährig Versicherte. Diese sollen künftig schon mit 63 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen können, wenn sie 45 Versicherungsjahre vorweisen können. Doch um die Rente mit 63, ein Lieblingsprojekt von Gewerkschaften und SPD, gibt es in der Koalition heftigen Streit. Arbeitgeberverbände und der Wirtschaftsflügel der Union befürchten, dass die Einführung der abschlagsfreien Rente mit 63 eine Frühverrentungswelle anstoßen könnte. Dahinter steht die Annahme, Arbeitnehmer könnten schon mit 61 aus dem Berufsleben aussteigen und dann mit zwei Jahren Arbeitslosengeld die Zeit bis zur Rente überbrücken. Zeiten des Arbeitslosengeldbezuges werden als Beitragsjahre mitgezählt.

Nahles nutzte ihren Auftritt auf der DGB-Veranstaltung, um die Wogen etwas zu glätten. Die Ministerin zeigte sich offen für eine Nachbesserung am Gesetzentwurf im parlamentarischen Verfahren nach Ostern. „Ich möchte nicht, dass die Rente ab 63 ausgenutzt wird“, betonte sie. Erneut brachte sie die Erstattungspflicht ins Gespräch, um Arbeitgeber an den Kosten zu beteiligen, wenn sie Angestellte mithilfe von Arbeitslosengeld vorzeitig auf den Weg zur Rente mit 63 schicken. Es müsse für die Unternehmen unattraktiv gemacht werden, ihre Beschäftigten mit 61 Jahren in die Arbeitslosigkeit zu schicken, forderte sie. „Das muss teuer werden für die Arbeitgeber.“

Dabei ließ Nahles keinen Zweifel daran, dass sie die Debatte über eine Frühverrentungswelle für übertrieben, ja hysterisch hält. In den Unternehmen gebe es angesichts des Fachkräftemangels längst ein Umdenken. Für Arbeitnehmer sei die Erwerbslosigkeit vor der Rente mit 63 finanziell „überhaupt nicht attraktiv“, sagte Nahles. Schließlich mache das Arbeitslosengeld nur 60 Prozent des letzten Gehalts aus, zudem drohten Sperrzeiten. Für Arbeitnehmer werde es nur attraktiv, wenn Arbeitgeber ihnen die Einbußen in Höhe von etwa 30.000 Euro durch Abfindungen versüßten. Dies könnten sich allenfalls Großbetriebe leisten. Es müsse aber für beide Seiten unattraktiv werden, solche Deals zu schließen, erklärte Nahles.

Die Arbeitgeber warfen Nahles erneut vor, sie setze mit der Rente mit 63 einen falschen Anreiz, früher aus dem Erwerbsleben auszusteigen. Wer Anspruch auf die Rente mit 63 habe, aber bis 65 Jahre arbeiten könne, werde dies nicht tun, weil er dann auf zwei Jahre Rentenzahlungen verzichte, sagte Alexander Gunkel von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA): „Man müsste schon mehr als 100 Jahre alt werden, dass man diesen Nachteil wieder ausgleicht.“ Nahles geht in ihrem Gesetzentwurf davon aus, dass durch die Rente mit 63 im ersten Jahr etwa 50.000 Beschäftigte mehr in Rente gehen.

Nahles sendete noch ein weiteres Kompromiss-Signal an die Union: Sie zeigte sich offen dafür, nach Verabschiedung des Rentenpakets Gespräche über eine flexiblere Gestaltung des Renteneintritts zu führen. Der Vorschlag, Arbeitnehmer auf eigenen Wunsch später als gesetzlich vorgeschrieben in Rente gehen zu lassen, war in der Diskussion um die Rente ab 63 von der Mittelstandsvereinigung der Union angestoßen worden. „Wir sind mit den Reformen bei der Rente noch lange nicht am Ende“, sagte Nahles. Eine Anhebung des Rentenniveaus, wie von den Gewerkschaften gefordert, werde aber in dieser Legislaturperiode nicht dazugehören. Dies habe mit der Union nicht vereinbart werden können.