Bundestag berät Etat des Kanzleramts. Traditionell ein Tag der Abrechnung. Doch die Rednerinnen waren mehr auf Ausgleich aus

Berlin. Früher, als Männer noch Männer, die CDU noch konservativ, die SPD noch links und die Grünen noch zottelig waren, da war auch die Generaldebatte im Deutschen Bundestag etwas ganz Besonderes. Eigentlich geht es dabei zwar um den vernachlässigbar kleinen Etat des Kanzleramts, aber die parlamentarische Tradition sieht eine Generalabrechnung der Opposition mit der Regierung vor. Also Wehner gegen Erhard oder Kohl gegen Schmidt oder Fischer gegen Kohl oder Strauß gegen alle. So erzählen es sich die Alten jedenfalls.

Am Mittwoch war wieder Generaldebatte, aber keine Generalabrechnung. Sondern eine Generalinnenabrechnung, wenn überhaupt. Es sprachen nämlich Katja Kipping, Angela Merkel und Katrin Göring-Eckardt. Die beiden Oppositionsführerinnen und die Kanzlerin, drei Frauen, sogar drei ostdeutsche Frauen, die sich in bekanntlich von bösen alten weißen Männern aus dem Westen dominierter Politik durchgesetzt haben. Also lauschte man ihren mit ruhigen Stimmen sachlich vorgetragenen Argumenten, wog ihre konstruktiven Detailkritiken ab und dachte sich: wie modern, wie aufgeklärt, wie freundlich, wie weiblich ist deutsche Politik geworden – und wie langweilig!

Die Kanzlerin kennt das Publikum seit Jahren als ton- und emotionslose, menschgewordene kühle Ratio. Bei ihr steht der Dank an „Schäuble und die Haushälter“ für den ausgeglichenen Haushalt unverbunden neben der Hightech-Strategie und der Innovationsstrategie der Bundesregierung, von „der Grundlagenforschung bis Anwendung im Mittelstand“. Die „Kreativität ist der Treiber unseres Wohlstandes“, der „Pfad beim Ausbau erneuerbarer Energie ist berechenbar“, „auch die digitale Wirtschaft muss dem Menschen dienen und nicht etwas umgekehrt“ – wer könnte dagegen sein?

Als Stoff für Politikjunkies taugte nur Merkels Andeutung, der europäische Datenschutz dürfe nicht hinter dem deutschen zurückfallen – was auf lange Verhandlungen hindeutet. Beim Mindestlohn, so die Kanzlerin, „wird noch einiges zu klären sein“ – der Ball liegt also bei den Fraktionen. Und bei der Rente sollen „alle Anreize zur Frühverrentung ausgeräumt“ werden – also auch ein GroKo-Kompromiss.

Selbst bei der Ukraine, auf die Merkel nach 55 Minuten zu sprechen kommt, wählt die Staatsfrau gegen den Erz-Macho Putin Worte, die kein vernünftiger Mensch zurückweisen könnte: „Niemand, der heute erfolgreich sein will, kann allein seine Belange in den Vordergrund stellen, er verbaut damit seine Zukunft.“ Das könnte auch ein Satz von Katrin Göring-Eckardt sein. Die ehemalige Theologiestudentin antwortete der Pastorentochter im gleichen Duktus. Immerhin hatte sie sich ein Spitze überlegt. Die „Amigo-Generation“ der über 50-Jährigen schanze sich in der Großen Koalition Rentengeschenke und andere Wohltaten auf Kosten der Nachgeborenen zu: „Die unter 30-Jährigen haben bei ihnen nichts zu lachen.“

Jetzt hätte Göring-Eckardt nachlegen, mehr Gift spritzen, die Wunde aufreißen, Schwachstellen mit Polemik brandmarken müssen. Aber nein, auch sie fällt in den sachlichen Referatsstil einer Streberin, bespricht wie Merkel alles und nichts, unterscheidbar lediglich durch ein paar eingestreute grüne Schlager (Frauenquote, Waffenexporte verbieten usw. usf.). Der Satz „Der Wirtschaftsminister stellt sich lieber vor bedrohte Industriezweige als vor bedrohte Arten“ ist noch die griffigste Formulierung, die ihren Redenschreibern (oder wahrscheinlich: Redenschreiberinnen) eingefallen ist.

Selbst Katja Kipping, die als Linke ohne Rücksicht auf die Zwänge der Realpolitik und der physikalischen Gesetze argumentieren kann und auch noch vor Merkel beginnen durfte, fand ihr Publikum nicht. Halb leer war der Bundestag zu Beginn der Generalinnendebatte, bei Kipping lauschten nur 28 von 64 Mitgliedern ihrer eigenen Fraktion. Auch Kipping ist – so sehr sie es mit linker Brachialrhetorik („Die Hebammen lassen Sie im Regen stehen, aber einen Rüstungsexport nach Saudi-Arabien ermöglichen Sie mit Hermes-Bürgschaften“) zu verbergen sucht – im Inneren eine auf Ausgleich bedachte Frau.

Sie lobt die Große Koalition, die in der Rentenpolitik „einige Trippelschritte“ in die richtige Richtung unternommen habe, bevor sie fast pflichtgemäß behauptet, die Regierung vernachlässige den Kampf gegen „die Armut“, um die Haushaltskonsolidierung zu erreichen. Die Leiharbeit müsse eingeschränkt und anlasslose befristete Verträge für junge Wissenschaftler verboten werden. Gerade als man beginnt, darüber nachzudenken, ruft Kipping: „Sie könnten französische Verhältnisse schaffen!“ Das kann sie, angesichts der ökonomischen Situation unseres Nachbarlandes, eigentlich nicht ernst gemeint haben.

Bevor die CSU mit einer ebenfalls genauso vernünftig wie sterbenslangweiligen Rede ihrer Landesgruppenvorsitzenden Gerda Hasselfeldt beweisen konnte, dass auch sie in der Moderne angekommen ist, war ausnahmsweise ein Mann dran. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann hängt seit seinem unglücklichen Agieren in der Edathy-Affäre allerdings wie ein angeschlagener Boxer in den Seilen – und er ist kleinlaut geworden. Oppermann, früher ein Redner, der gut austeilen konnte, geht nicht nur mit dem Koalitionspartner, sondern auch gleich mit der Opposition geradezu rücksichtsvoll, ja sanft um. Die Lage im Land sei gut, bei der Vorratsdatenspeicherung werde man nun in langen und guten Gesprächen eine kluge Lösung finden, überhaupt sei alles auf gutem Weg.