Verteidigungsministerin soll im Notfall allein über Abschuss von Flugzeugen entscheiden

Berlin. Wann darf die Bundeswehr im Inland eingesetzt werden? Das Bundesverfassungsgericht hat diese Frage in zwei Entscheidungen beantwortet. 2006 urteilte Karlsruhe, dass die Verfassung einen Einsatz der Streitkräfte in Deutschland „mit spezifisch militärischen Waffen“ generell verbietet – mit Ausnahme des in Artikel 87a genannten Falls „der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer“ – einem Staatsnotstand also. 2012 relativierte das Gericht das generelle Einsatzverbot der Bundeswehr in Katastrophennotlagen. Die Streitkräfte dürfen seitdem auch in nicht im Grundgesetz genannten Fällen militärische Mittel zur Gefahrenabwehr einsetzen – freilich nur in äußersten Ausnahmefällen mit der Aussicht auf unmittelbar bevorstehende Schäden „katastrophischen Ausmaßes“.

Zu solch einem besonders schweren Unglücksfall gehört zum Beispiel der Terrorangriff durch ein mit Zivilisten besetztes Flugzeug. Das darf zwar weiterhin nicht abgeschossen werden. Karlsruhe stellte aber klar, dass es erlaubt ist, Kampfflieger aufsteigen zu lassen, Warnschüsse abzugeben und eine entführte Maschine durch Abdrängen zur Notlandung zu zwingen. Ein nur mit Terroristen besetztes Flugzeug dürfte abgeschossen werden. Allerdings sei immer ein Beschluss der gesamten Bundesregierung erforderlich.

Das will die Regierung nun ändern, denn für eine Befassung des gesamten Kabinetts wäre im Ernstfall kaum genügend Zeit. Um künftig besser gerüstet zu sein, soll die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im Alleingang einen Einsatzbefehl geben können. Weil Karlsruhe das aber ausdrücklich für verfassungswidrig erklärt hat, muss die Koalition Hand an das Grundgesetz legen und Artikel 35 entsprechend ändern. „Eine solche Lösung hat das Bundesverfassungsgericht selbst nahegelegt“, sagte der Staatssekretär im Innenministerium, Günter Krings (CDU), „Spiegel online“. Es gehe darum, eine Schutzlücke zu schließen: „Bei akuter Gefahr bleiben nur Minuten für eine Entscheidung. Die Einberufung einer Kabinettssitzung ist da praktisch unmöglich.“ Innenminister Thomas de Maizière (CDU) gab sich etwas zurückhaltender: Er bestätigte zwar Gespräche über eine mögliche Neuregelung, nannte aber keine Einzelheiten: „Wir befinden uns in Sondierungen. Mehr ist dazu im Moment noch nicht zu sagen.“

Auch die SPD äußerte sich vorsichtig. „Man kann das Grundgesetz in diesem Sinne ändern und damit einen relativ unwahrscheinlichen Fall rechtssicher machen“, sagte Innenexperte Michael Hartmann, warnte aber im gleichen Atemzug: „Niemand sollte dies als Einfallstor benutzen, um Bundeswehreinsätze auch im Inneren zu ermöglichen.“ Nach dem Urteil 2012 hatte Hartmann – damals noch in der Opposition – davon gesprochen, dass „konservative Kreise“ nun versuchen könnten, „die Bundeswehr zum Hilfssheriff“ zu degradieren. Für eine Änderung des Grundgesetzes benötigt die Regierung Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat. Im Parlament verfügt die Große Koalition über eine solche Mehrheit. Fraglich ist, ob der Bundesrat zustimmen würde.