Ein Drittel der Pädagogen hält sich für überlastet und nimmt Probleme mit in die Freizeit. Experten fordern Anti-Stress-Training

Berlin. Lehrer leiden in Deutschland häufiger als alle anderen Erwerbstätigen an Burn-out. Und auch in den Kindertagesstätten sowie an den Universitäten nehmen die Fehlzeiten infolge von arbeitsbedingt psychischer Erschöpfung immer mehr zu. Dies stellt der Aktionsrat Bildung in seiner Studie „Psychische Belastungen und Burn-out beim Bildungspersonal“ fest. Gegenmaßnahmen seien dringend erforderlich, mahnen die Wissenschaftler. Denn ausgebrannte Pädagogen seien ihrer Aufgabe oft nicht mehr gewachsen, und ihre Leistung sei mangelhaft.

Burn-out ist als Krankheitsbild nicht klar definiert. Und keineswegs alle betroffenen Lehrer gehen zum Arzt. „Deutliche Alarmzeichen“ sieht die Studie, wenn Pädagogen abgestumpft und gefühllos im Umgang mit den Kindern und Jugendlichen agieren. Wenn die Lehrer sich selbst nicht mehr für kompetent halten, ihre Schützlinge wirkungsvoll beim Lernen zu unterstützen. Und wenn es ihnen nicht mehr gelingt, eine entspannte Atmosphäre im Klassenzimmer herzustellen.

5,5 Prozent aller Erwerbstätigen, insgesamt 2,1 Millionen Menschen, arbeiten im Bildungssektor. Knapp die Hälfte davon sind Lehrer. Unter 67 verschiedenen Berufsgruppen fühlen sich am häufigsten Sonder- und Berufsschullehrer arbeitsbedingt chronisch erschöpft. Doch auch für Pädagogen an Grundschulen und weiterführenden Schulen ist das Burn-out-Risiko bis zu dreimal höher als bei einem Maschinenführer und gar sechsmal größer als bei einem Rechtsanwalt. Auch Kindergärtnerinnen landen bei der Untersuchung auf einem vorderen Rang.

Jeder dritte Lehrer gibt an, unter einer zu hohen Arbeitsbelastung zu leiden. Im Durchschnitt beträgt die vereinbarte Arbeitszeit 31,5 Stunden pro Woche, da vor allem Lehrerinnen häufig teilzeitbeschäftigt sind. Die tatsächlich geleistete Arbeitszeit liegt indes mit 42,5 Stunden deutlich darüber. Der Aktionsrat Bildung, dem renommierte Wissenschaftler wie der Vizevorsitzende der Hochschulrektorenkonferenz Dieter Lenzen oder der PISA-Experte Manfred Prenzel angehören, hält es zudem für problematisch, dass die Lehrer üblicherweise einen Teil ihrer Aufgaben zu Hause erledigen, wie etwa die Vorbereitung des Unterrichts oder das Korrigieren von Tests und anderen Leistungsprüfungen der Schüler. Dadurch verschwimme die Grenze zwischen Job und Privatleben. Auch eine Untersuchung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) zeigt, dass es den Erziehern und Lehrern besonders häufig nicht gelingt, in ihrer Freizeit abzuschalten.

Früher wurde das Problem chronischer Erschöpfung oft mit einem frühen Ausscheiden aus dem Beruf gelöst. So gingen noch im Jahr 2000 knapp zwei Drittel der Lehrer wegen Dienstunfähigkeit frühzeitig in den Ruhestand. Mittlerweile gibt es jedoch in solchen Fällen bei den Pensionen erhebliche Abschläge. Der Anteil der Frühpensionäre ist auf 20 Prozent geschrumpft und damit nicht mehr höher als in anderen Berufen. Jeder zweite Lehrer ist mittlerweile mindestens 50 Jahre alt. Und gerade in dieser Altersgruppe sei das Risiko einer seelischen Überforderung besonders groß. Auch leiden Frauen fast doppelt so häufig unter Burn-out wie Männer, und das Personal in den deutschen Schulen ist zu zwei Dritteln weiblich.

Der Aktionsrat Bildung benennt eine ganze Reihe von Faktoren, die Burn-out begünstigen. Dabei spielen die ständigen Bildungsreformen eine erhebliche Rolle, wie die Forscher monieren. So litten Schulleiter an einem Übermaß an Organisations- und Verwaltungsaufgaben. Vor allem das „Umsetzen von Reformen des Schulministeriums“ werde von den Schuldirektoren als stark belastend empfunden. Die Schulleiter wiederum sind in einem hohen Maß dafür verantwortlich, wie stressig ihre Kollegen die Arbeit empfinden. Wichtiger noch als das Arbeitsumfeld sei die Persönlichkeit des Lehrers selbst, heißt es in der Studie. Engagierte Pädagogen sind demnach weniger gefährdet, selbst wenn sie viel arbeiten. Wer den Lehrerberuf nur aus Verlegenheit oder wegen Arbeitsplatzsicherheit gewählt hat, hat weniger Spaß im Job und ist infolgedessen auch stärker gefährdet.

Ausgelaugte Pädagogen beeinträchtigten erheblich die Qualität des Bildungssystems und somit auch die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands, warnt der Aktionsrat Bildung in seiner von der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) in Auftrag gegebenen Studie. Vbw-Präsident Alfred Gaffal fordert, die Diskussion um psychische Erkrankungen zu versachlichen. „Professionelle, qualifizierte und motivierte Mitarbeiter sind entscheidend für einen erfolgreichen Unterricht“, unterstreicht der Unternehmer.

Der Aktionsrat fordert eine umfassende Strategie von Bund und Ländern zur Prävention von Burn-out. Eine große Chance sei es, dass bis 2025 aufgrund der bevorstehenden Pensionswelle jährlich 25.000 neue Lehrer eingestellt werden. Schon in der Ausbildung, aber auch berufsbegleitend sollten die Pädagogen künftig trainieren, wie man belastende Situationen bewältigt. Auch das erfolgreiche Management von Klassen sei erlernbar. Auf diese Weise könnten die Lehrer dafür sorgen, den Lärmpegel erträglich zu halten und die Disziplin zu verbessern. Für Referendare ebenso wie für ausgebildete Lehrkräfte müsse es individuelle Trainings- und Beratungsangebote geben. Der Aktionsrat fordert überdies viel Praxiserfahrung für Lehramtsstudenten, damit diese sich frühzeitig darüber klar werden, ob sie sich dem Schulalltag tatsächlich gewachsen fühlen.