Vom Whistleblower erwarten sich die Abgeordneten Erkenntnisse über die Abhörpraxis des US-Geheimdienstes – von den Amerikanern eher nicht

Berlin. Abgesehen von den Informationen, die der US-Whistleblower Edward Snowden öffentlich machte, blieb der Erkenntnisgewinn zur NSA-Affäre bislang gering. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages, der sich am Donnerstag konstituierte, soll das nun ändern. Die große Frage allerdings ist, wie er Licht in das Dunkel der Datenspionage des US-Geheimdienstes bringen will. Denn so manche Aussage der Aufklärer aus dem Bundestag klingt wenig ermutigend: „Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir aus Großbritannien und Amerika möglicherweise weder Zeugen noch Akten bekommen“, sagt der Ausschussvorsitzende Clemens Binninger (CDU).

Kann also nur Snowden weiterhelfen? Binninger winkt ab. Snowden werde die Arbeit des Untersuchungsausschusses nicht entscheidend voranbringen können. „Er selbst sagt, er hat kein Wissen mehr“, sagt Binninger. Außerdem seien Snowdens Antworten auf eine schriftliche Befragung durch das Europaparlament doch sehr allgemein ausgefallen. Grüne und Linke sind allerdings ganz anderer Ansicht. „Snowden ist der wichtigste Zeuge, den wir im Untersuchungsausschuss brauchen“, sagt Hans-Christian Ströbele (Grüne). Er hatte Snowden auf spektakuläre Art und Weise in dessen russischem Asyl besucht und befragt. Über die Inhalte des Gesprächs indes schweigt Ströbele bis heute, zum Schutz des Whistleblowers, wie er immer wieder betont. Darum soll der frühere US-Agent all das, was er ihm in Moskau anvertraute, bald schon vor dem Ausschuss aussagen.

Gemeinsam mit der Linken brachten die Grünen gleich in die konstituierende Sitzung des Untersuchungsausschusses den Antrag ein, Snowden vorzuladen. „Schon in der kommenden Sitzung soll der Antrag beschlossen werden“, sagt die Obfrau der Linken im Ausschuss, Martina Renner. Das SPD-Ausschussmitglied Christian Flisek nannte Snowden einen „geeigneten Zeugen“. Allerdings dürfe er durch eine Befragung in Deutschland nicht in Gefahr geraten. Auch SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel äußerte dieser Tage noch Zweifel, ob Deutschland einen Zeugen Snowden ausreichend vor dem US-Geheimdienst schützen könnte.

Im vergangenen Sommer war bekannt geworden, dass der NSA-Geheimdienst nicht nur Millionen Bürger ausgespäht hatte. Er hatte auch ein Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel über Jahre abgehört. Die vielen offenen Fragen wollen die Abgeordneten in drei Komplexen abarbeiten. Sie wollen erstens prüfen, in welcher Weise und in welchem Umfang ausländische Geheimdienste Daten von Regierung, Unternehmen und Bürgern erfasst und ausgewertet haben. Im Mittelpunkt stehen dabei die Dienste der USA und Großbritanniens. Zweitens wollen sie klären, ob deutsche Regierungsstellen oder Geheimdienste von den Lauschaktionen wussten, daran beteiligt waren und möglicherweise auch Nutzen daraus gezogen haben. Drittens wollen sie der Frage nachgehen, wie der Datenverkehr künftig besser vor Ausspähung geschützt werden kann.

Deutsche Geheimdienste fürchten, in den Fokus des Ausschusses zu geraten

Grünen-Obmann Konstantin von Notz sagte: „Die Konsequenzen müssen sein, rechtsstaatlich die verfassungswidrigen Praktiken zu beenden.“ Zudem müsse die Informationstechnologie besser geschützt werden. Erfolg und Misserfolg des Ausschusses wird mit davon abhängen, inwieweit ausländische Geheimdienste zur Mitarbeit bereit sind. Inländische Zeugen kann der Untersuchungsausschuss – wie ein Gericht – zur Vernehmung vorladen. Bei Ausländern aber kann er das rechtlich nicht durchsetzen. Die US-Regierung hat sich bislang sehr damit zurückgehalten, dem deutschen Wunsch nach Aufklärung nachzukommen. Ausschusschef Binninger schließt nicht aus, dass der Ausschuss in dieser Frage „am Ende mit leeren Händen dasteht“. Ein weiteres Problem: Die Geheimdienstdokumente des US-Informanten Edward Snowden liegen nicht im Original vor. Der Ausschuss kann sich bislang nur auf Medienberichte stützen.

Die deutschen Geheimdienste sehen den Ausschuss mit beträchtlicher Sorge. Sie befürchten, dass die Abgeordneten bei der Aufklärungsarbeit zu den amerikanischen und britischen Diensten nicht weiterkommen – und sich stattdessen umso intensiver mit der Arbeit der deutschen Dienste befassen. Die Geheimdienste sorgen sich zudem, dass der Ausschuss vertrauliche Dokumente anfordern könnte und dass diese dann an die Öffentlichkeit gelangen.

Der Ausschuss will in den ersten Wochen seiner Arbeit zunächst Sachverständige vorladen, um die komplizierten rechtlichen und technischen Fragen zu klären. Dabei geht es unter anderem um die Frage, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen die Geheimdienste befreundeter Staaten in Deutschland tätig sind. Die Abgeordneten wollen außerdem wissen, wer die Knotenpunkte für elektronischen Datenverkehr betreibt und wie sie gegen Anzapfen geschützt werden. Danach sollen ab Juni Zeugen geladen werden, um sie zum eigentlichen Untersuchungsauftrag zu befragen. Wann der Ausschuss seine Ergebnisse präsentiert, ist völlig offen.

Der Ausschuss hat nur acht Mitglieder – wegen der zum Teil vertraulichen Materie sollte der Kreis der Informierten klein gehalten werden. Die Union stellt vier Mitglieder, die SPD zwei, die Opposition aus Grünen und Linkspartei jeweils ein Mitglied. Die Opposition kann damit auch gegen den Willen der Regierungsfraktionen die Ladung von Zeugen beantragen und Beweisanträge stellen. Die Sitzungen sollen öffentlich stattfinden. Wenn es aber um brisante Themen geht – etwa um geheime Informationen der deutschen Dienste –, tagt das Gremium nicht öffentlich.