Mit der Tarifeinigung im öffentlichen Dienst sind der Bund und die Gewerkschaften zufrieden, nur die Kommunen nicht

Potsdam. Aufatmen im öffentlichen Dienst. Auch wenn Arbeitgeber wie Gewerkschaften große Zugeständnisse machen mussten – zufrieden mit dem von ihnen ausgehandelten Tarifabschluss sind beide Seiten. Und viele Bürger dürften aufatmen: Kein Streik mehr bei Bus und Bahn, bei der Müllabfuhr und im Krankenhaus.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sprach als Verhandlungsführer des Bundes von einem „guten und fairen Ergebnis“. Die Laufzeit von zwei Jahren gebe Planungssicherheit. Ver.di-Chef Frank Bsirske sagte, der Abschluss lasse die Beschäftigten am Aufschwung teilhaben. „Dieses Tarifergebnis liegt in der Spitzengruppe der diesjährigen Abschlüsse“, sagte er.

Die am Dienstag in Potsdam zustande gekommene Tarifeinigung birgt aber auch Zumutungen für Arbeitgeber und Gewerkschaften. Beide Seiten mussten „dicke Kröten“ schlucken, wie es der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, formulierte. Für die Kommunen kommt es besonders dick: Zwar sind die vereinbarten deutlichen Gehaltssteigerungen angesichts der üppigen Steuereinnahmen verkraftbar. Die Kommunen schmerzt aber das deutliche Plus im unteren Einkommensbereich. Dort werden die Gehälter um mindestens 90 Euro monatlich steigen – was einen Aufschlag um bis zu 7,6 Prozent bedeutet.

Ihren Schuldenstand beziffern die Kommunen derzeit mit rund 130 Milliarden Euro. Kaputte Straßen, marode Brücken und sanierungsbedürftige Schulgebäude stehen symbolisch für die geringe Finanzkraft vieler Städte und Gemeinden. Eine Anhebung der untereren Gehälter mache einfache Arbeiten zu teuer und führe zu weiteren Privatisierungen, hielten die kommunalen Arbeitgeber den Gewerkschaftsforderungen nach größeren Einkommensverbesserungen in den unteren Entgeltgruppen entgegen.

Doch die Drohung mit der Privatisierung zieht nicht mehr so gut wie in früheren Jahren. In der Bevölkerung gibt es Forderungen nach Rekommunalisierung von Wasser- und Stromversorgung. In Berlin protestieren Elterninitiativen gegen den Dreck in den Schultoiletten, nachdem die Stadt die Reinigung nach einer Ausschreibung den preiswertesten Firmen übertragen hat.

Aber auch aus einem anderen Grund erscheint der Kompromiss bei den unteren Gehältern nur konsequent – gleich, ob man ihn nun Sockel oder Mindesterhöhung nennt. 9,01 Euro pro Stunde verdient ein Beschäftigter in der untersten Entgeltgruppe im öffentlichen Dienst. Angesichts des geplanten gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro hätte hier schon wegen des Abstandes etwas getan werden müssen, räumen auch Arbeitgebervertreter ein. Kröten, kleinere allerdings, mussten aber auch die Gewerkschaften schlucken. Mit ihrer Forderung, besonders belastete Beschäftigte im Nahverkehr deutlich besserzustellen, konnten sie sich nicht durchsetzen. Gerade bei den Verkehrsbetrieben hatten sich die Mitarbeiter besonders engagiert an den zahlreichen Warnstreiks beteiligt. Die Forderung der Gewerkschaft wird in zwei Jahren bei der nächsten Tarifrunde wieder auf den Tisch kommen. Trotzdem billigte die große Ver.di-Tarifkommission den Kompromiss mit überwältigender Mehrheit.

Es war ein Tarifkonflikt der perfekten Rituale. Mit ihrer Forderung nach zunächst 100 Euro mehr für alle – und dann noch 3,5 Prozent drauf, hatten die Gewerkschaften im Februar die Tarifrunde eröffnet. Routiniert spulten Ver.di und die dbb-Tarifunion die zahlreichen Warnstreiks ab, an denen sich nach Gewerkschaftsangaben mehr als 200.000 Beschäftigte beteiligten. Ver.di verzeichnete allein im März mehr als 15.000 Neueintritte.

Der politische Sieger dieser Tarifrunde ist aber Thomas de Maizière. Zielorientiert habe er die Verhandlungen geführt und Brücken zwischen den Gewerkschaften und den kommunalen Arbeitgebern gebaut, wurde ihm von allen Seiten bescheinigt. Und lockerer ist der oftmals spröde wirkende Minister auch geworden. Vor jeder Verhandlung suchte er das Gespräch mit protestierenden Gewerkschaftern und scheute sich nicht, das Spalier der Demonstranten vor dem Tagungshotel abzuschreiten – wie einst als Verteidigungsminister bei den Soldaten.