Regierung will möglichen Sozialleistungsmissbrauch durch EU-Zuwanderer verhindern – und stellt fest, dass das Problem gar nicht so groß ist

Berlin. „Wer betrügt, der fliegt.“ Unter diesem Slogan löste die CSU zum Jahreswechsel eine emotionale Debatte über Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien aus. Die Bundesregierung bemühte sich um Versachlichung und setzte einen Arbeitsausschuss ein, der dem Vorwurf des Sozialhilfebetrugs durch Migranten aus diesen Ländern nachgehen sollte. Am Mittwoch wurde dessen Zwischenbericht vorgestellt, der belegt, dass das deutsche Sozialsystem nicht massenhaft ausgenutzt wird. Im Juni soll der Abschlussbericht folgen. „Die Zahl der Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien und auch die sozialen Probleme, die damit teilweise verbunden sind, sind bundesweit überschaubar“, resümierte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU).

Man rede über bundesweit gerade einmal 75.000 Bulgaren und Rumänen, die 2013 mehr nach Deutschland gekommen als abgewandert seien. Dieser sogenannte positive Zuwanderungssaldo betreffe nur wenige Städte, und zwar Duisburg, Frankfurt, München, Hamburg, Offenbach, Hannover, Mannheim und Dortmund, sagte de Maizière. Der Anteil von Rumänen und Bulgaren an den Hartz-IV-Beziehern liege bei nur 0,7 Prozent. Trotzdem dürfe man vor Problemen in einzelnen Kommunen nicht die Augen verschließen, sagte de Maizière.

Um diese Kommunen zu unterstützen, schlägt der Bericht nun Änderungen von Gesetzen, Verwaltungsverfahren und finanzielle Hilfen für die Regionen vor. Konkret werden Wiedereinreisesperren für Sozialhilfebetrüger und eine zeitliche Befristung des bestehenden Aufenthaltsrechts zur Arbeitssuche genannt. Auf wie viele Monate dies begrenzt werden soll, sei noch nicht festgelegt, sagte Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD), die den Zwischenbericht gemeinsam mit de Maizière vorstellte. Es gehe um die Frage, ob die Jobsuche am Ende Aussicht auf Erfolg haben könne. Nach derzeitigem Recht haben EU-Bürger nach drei Monaten Aufenthalt in Deutschland Anspruch auf Sozialleistungen.

Zudem schlägt der Bericht Änderungen bei Kindergeldanträgen vor. EU-Bürger haben in Deutschland keinen Anspruch auf Grundsicherung oder Sozialhilfe, wohl aber auf Familienleistungen. Doch Kommunen klagen hier über Doppelzahlungen. Für das Kindergeld sollen Antragsteller daher künftig die Steuer-Identifikationsnummer angeben. Beim Kindergeld, das für Kinder im Ausland gezahlt wird, sollen Nachweise und Anspruchsvoraussetzungen strenger überprüft werden. Außerdem sollen die Gewerbeämter zur Überprüfung von Anträgen verpflichtet werden, um Scheinselbstständigkeit aufzudecken. De Maizière und Nahles betonten zudem, dass sie entschieden gegen die Ausbeutung von Zuwanderern durch deutsche Firmen vorgehen wollen.

Die Kommunen sollen nach den Worten von Nahles insgesamt 200 Millionen Euro bekommen, um beispielsweise mehr Integrationsangebote machen zu können. Die Mittel sollen zu einem großen Teil aus dem Europäischen Sozialfonds fließen. Der Eigenanteil der Kommunen bei der Gegenfinanzierung soll dabei möglichst gering gehalten werden.

Städtetag fordert mehr EU-Hilfen gegen Armut in den Herkunftsländern

De Maizière sagte, unter den zugewanderten Rumänen und Bulgaren gebe es sicher einen hohen Anteil von Sinti und Roma. Wie hoch er sei, werde jedoch nicht statistisch erfasst, da lediglich die Herkunftsländer der Zugewanderten festgehalten würden. „Und das ist auch richtig so“, betonte der Minister. Er hoffe, so de Maizière, dass der Bericht zur Versachlichung des Themas beitrage und zugleich den Handlungsdruck aufzeige.

De Maizière und auch Arbeitsministerin Nahles verteidigten zugleich entschieden die Freizügigkeit in der EU. Die gestiegene Zuwanderung aus anderen EU-Staaten sei „eine gute Nachricht für unser Land“, sagte der Innenminister. Zuwanderer trügen zu „Wohlstand und Entwicklung“ bei. Deshalb dürften aber die Augen nicht vor Problemen verschlossen werden.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), die selbst Mitglied des Arbeitsausschusses zur Zuwanderung ist, erklärte, der Bericht räume mit Mythen auf. „Es gibt keine massenhafte Zuwanderung in die Sozialsysteme“, sagte Özoguz.

Der Deutsche Städtetag begrüßte die Ergebnisse des Zwischenberichts. Die Maßnahmen müssten nun schnell umgesetzt werden, erklärte Städtetags-Präsident Ulrich Maly nach einer Sitzung des Spitzenverbands in Plauen. Es sei „sehr zu begrüßen, dass die Bundesregierung das Thema inzwischen deutlich ernster nimmt als noch vor einem Jahr“. Maly appellierte zudem an die Länder, sich ebenfalls an der Finanzierung von Hilfen zu beteiligen. Davon abgesehen sollte einer „Armutszuwanderung“ mit EU-Hilfen in den Herkunftsländern vorgebeugt werden.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband begrüßte zwar die finanziellen Hilfen für die Kommunen, fürchtete aber das Schüren von Vorurteilen. Vorschläge wie Wiedereinreisesperren oder zusätzliche Hürden bei der Kindergeld-Beantragung brächten „in der Sache nichts, bergen aber die große Gefahr, in der Bevölkerung weitere Vorurteile gegen Rumänen und Bulgaren zu schüren“, erklärte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. Auch die Opposition warnte vor aus ihrer Sicht falschen Schlussfolgerungen. Der Bericht bestätige, „dass es keine massenhafte Zuwanderung in die Sozialsysteme und auch keinen massenhaften Sozialbetrug einzelner Zuwanderungsgruppen gibt“, erklärte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt. Die CSU habe sich „am meisten blamiert, denn sie hatte sich lautstark über den angeblichen Sozialmissbrauch von Rumänen und Bulgaren beschwert“. Die Linken-Abgeordnete Ulla Jelpke kritisierte, die meisten Vorschläge zielten auf die Einschränkung von Freizügigkeit und repressive Maßnahmen zur Kontrolle von Arbeitsmigranten. Diese Politik bleibe „geprägt von einem tiefen Misstrauen gegenüber EU-Bürgern, die zur Arbeitssuche nach Deutschland kommen“.