Große Koalition einigt sich auf Gesetzentwurf für die Lohnuntergrenze

Berlin. Gut gelaunt und gefasst tritt Andrea Nahles am frühen Nachmittag vor die Journalisten. „Der Mindestlohn kommt, wie im Koalitionsvertrag vereinbart ohne Ausnahmen, pünktlich zum 1. Januar 2015. Das ist die gute Nachricht des Tages“, sagt die Ministerin lächelnd. Der Gesetzesentwurf sei nun in die Ressorts zur Abstimmung verschickt worden, am 2. April komme er ins Kabinett.

Über das Projekt war seit Monaten gestritten worden, vor allem darüber, welche Ausnahmen es für wen geben solle. Dass es, wie Andrea Nahles sagt, gar keine Ausnahmen gebe, stimmt nicht ganz. Jugendliche unter 18 Jahren sind vom Mindestlohn ausgenommen, genauso wie Langzeitarbeitslose in den ersten sechs Monaten ihrer Beschäftigung. Danach sollen die Arbeitgeber für sie Lohnkostenzuschüsse erhalten. Wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, sind auch Praktikanten, die ihr Praktikum als Teil der Ausbildung oder zur Berufsorientierung machen, davon ausgenommen. Ansonsten sollen alle Arbeitnehmer ab Anfang 2015 einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro erhalten. Nur Branchen, die jetzt noch einen Tarifvertrag unterhalb der Grenze von 8,50 Euro abschließen, dürfen noch bis Ende 2016 davon abweichen.

Das letzte Wort ist beim Projekt Mindestlohn aber noch nicht gesprochen, vor allem Arbeitgeber und der Wirtschaftsflügel der CDU wollen im parlamentarischen Verfahren nun versuchen, das Gesetz in ihrem Sinne nachzubessern, vor allem bei der Altersgrenze für Jugendliche, die sie gern bei 21 Jahren sehen würden. Die Arbeitgeber hatten mit viel Kraft versucht, mehr Ausnahmen vom Mindestlohn durchzusetzen, doch damit sind sie gescheitert.

Noch am Mittwochmorgen hatte man sich Hoffnungen gemacht, dass in dem Entwurf doch eine Altersgrenze von 21 Jahren stehen könnte. Die Altersgrenze von 18 halten die Arbeitgeber nicht für sinnvoll, da 60 Prozent der Azubis ihre Ausbildung mit über 18 beginnen. Das Durchschnittsalter sei 20 Jahre. Die Logik hinter dem Argument: Diejenigen, die gar nicht ausbildungsfähig seien, würde sonst der Zugang auf den Arbeitsmarkt verwehrt, weil Unternehmen keinen Mindestlohn für sie zahlen würden. Unter denjenigen, die ausbildungsfähig seien, bestünde wiederum die Gefahr, dass sie sich statt für eine Ausbildung für einen Job entscheiden, da der ein paar Hundert Euro mehr bringe.

Für Langzeitarbeitslose hatten sich die Arbeitgeber eine Übergangszeit von zwölf Monaten gewünscht, die zudem für Ältere und Menschen mit wenig Arbeitserfahrung gelten sollte. „Denn junge Menschen, die noch nicht ausbildungsfähig sind und trotz aller Anstrengungen auch nicht ausbildungsfähig gemacht werden können, und langzeitarbeitslose Menschen, die noch nie gearbeitet haben, werden zu 8,50 Euro keine Arbeit finden“, erklärte Reinhard Göhner, Geschäftsführer der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA). Man könne „in anderen Mindestlohn-Ländern Europas besichtigen, wie die Schäden auf dem Arbeitsmarkt sind“, sagte Göhner. Dort seien Jugendarbeitslosigkeit und Langzeitarbeitslosigkeit höher als in Deutschland.

Die Gewerkschaften dürften sich über die Ausnahmen für die Langzeitarbeitslosen ärgern, sonst aber zufrieden sein. Immerhin gibt es anscheinend Einigkeit unter den Sozialpartnern, nach welchem Verfahren der Mindestlohn angepasst werden soll. Man habe sich geeinigt, dass der Mindestlohn alle zwei Jahre in der Höhe der Tarifabschlüsse der Vorjahre steigen soll, hieß es bei den Arbeitgebern. Dies sei ein gemeinsamer Vorschlag der Sozialpartner, sagte der BDA-Hauptgeschäftsführer Göhner. Die Anpassung des Mindestlohns solle sich nach einem vom Statistischen Bundesamt ermittelten Tarifindex richten, der auf den Tariferhöhungen der beiden vorangegangenen Jahre beruhe. „Damit vermeidet man eine Präjudizierung der Tarifpolitik“, sagte Göhner.

Der Präsident des Sozialverbands Deutschland (SoVD), Adolf Bauer, wertete das Paket als großen Erfolg. „Es ist seit Jahren überfällig.“ Zugleich kritisierte er die angekündigten Ausnahmen für Langzeitarbeitslose und junge Menschen unter 18. „Auch für sie muss der Grundsatz eines gerechten Lohns für gute Arbeit gelten.“

Die Einführung gefährdet nach Angaben des ifo-Instituts bis zu 900.000 Arbeitsplätze. „Besonders stark negativ betroffen sind die heutigen Aufstocker“, sagte ifo-Experte Ronnie Schöb. Beschäftigte, die ergänzendes Arbeitslosengeld II beziehen, hätten kaum etwas von der Lohnerhöhung, seien aber einem viel höheren Arbeitsplatzrisiko ausgesetzt. Hunderttausende Arbeitnehmer wären trotz Mindestlohns weiter auf Hartz IV angewiesen. Etwa 740.000 alleinstehende Hartz-IV-Empfänger bräuchten selbst bei einer Vollzeitbeschäftigung ergänzende Grundsicherung, weil ihre Wohnkosten mehr als 345 Euro monatlich betragen, berichtet die „Passauer Neue Presse“.