Der Vorstand der Euro-Kritiker-Partei soll effektiver arbeiten. Fast ein Jahr nach ihrer Gründung will sie sich auch sechs Leitlinien geben

Berlin/Hamburg. Geht es nach ihrem Vorsitzenden Bernd Lucke, dann soll die Alternative für Deutschland (AfD) im gängigen Rechts-links-Schema der Politik keinen festen Platz einnehmen. Seine Co-Vorsitzende Frauke Petry wehrt sich gegen „Schubladendenken“. Und das Neu-Parteimitglied Hans-Olaf Henkel lobt gern den in der Alternative versammelten „Sachverstand“, womit er nicht nur, aber vor allem doch den ökonomischen meint.

Aber kann eine Partei überhaupt ohne verbindende Grundwerte, ohne weltanschauliches Grundgerüst, ohne geistigen und sittlichen Unterbau auskommen? Gibt es Politik im luftleeren Raum irgendwo zwischen der Rettung Europas aus dem Euro-Krisen-Schlamassel und der Frage, ob gleichgeschlechtlichen Partnerschaften die Adoption erlaubt werden soll?

Diese und andere Fragen wird sich die Partei am kommenden Wochenende auf ihrem Bundesparteitag in Erfurt stellen. Dort sollen die Mitglieder nicht nur eine neue Bundessatzung beschließen und das Programm für die Europawahl verabschieden, sondern auch sechs Leitlinien für den Kurs der Partei verabschieden. Erfurt soll für die AfD der Ort sein, an dem sie sich zu sich selbst bekennt, an dem sie sich fast ein Jahr nach ihrer Gründung in Berlin ihrer selbst vergewissert. Bisher ist sie da in jeder Hinsicht entschieden unentschieden. „Wir sind keine konservative Partei!“, stellt Lucke gern fest. Es kommt aber auch vor, dass er genau das Gegenteil behauptet. Er selbst definiert sich immer noch als Christdemokraten, der die Partei nach über 30 Jahren verließ, weil er mit ihrer Euro- und Europapolitik haderte.

Was wäre so schlimm daran, eine konservative Partei zu sein? Weil sich Konservatismus und Fortschritt ausschließen? Denn fortschrittlich will die AfD sein, das hat sie mit den Sozialdemokraten gemein. Lucke, der hamburger Wirtschaftsprofessor, sagt aber auch: „Wir sind keine liberale Partei!“ Und rechtspopulistisch seien sie schon mal gar nicht. „Wir sind grundwerteorientiert“, sagt er. Darunter versteht er allerdings nicht Begriffe wie Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit – dies zum Selbstverständnis. Lucke versteht darunter eher elementare Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit. Sechs davon, die den Parteispitzen des Bundes und der Länder am wichtigsten sind, haben sie nun als Leitlinien formuliert.

„Die Alternative für Deutschland will Rechtsstaat, Demokratie, Gewaltenteilung, Subsidiarität und soziale Marktwirtschaft bewahren und, wo nötig, wiederherstellen. Außerdem will sie anderen elementaren Prinzipien, die in der Euro-Krise von der Regierung verletzt worden sind, insbesondere dem Prinzip der Verantwortung, dem Prinzip der Transparenz und dem Prinzip der Nachhaltigkeit wieder Geltung verschaffen“, heißt es dazu im Antrag des Bundesvorstandes. In der Euro-Krise habe der Rechtsstaat Schaden genommen, weil die Regierungen der Euro-Zone den Maastrichter Vertrag gebrochen hätten und die Europäische Zentralbank mit ihrem Programm zum Ankauf von Staatsanleihen gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung verstoße, schreibt die AfD.

Auch die Demokratie sei durch die Euro-Krise beschädigt worden. Denn mit dem Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM) sei eine europäische Institution geschaffen worden, die sich der demokratischen Kontrolle entziehe. Weil der Bundestag nicht die Kraft besessen habe, gegen die Einschränkung seiner Rechte aufzubegehren, habe die Krise auch die Gewaltenteilung beschädigt. In den Punkten fünf und sechs beklagt die AfD den der sozialen Marktwirtschaft und dem Prinzip der Subsidiarität zugefügten Schäden. Letztere sei durch die Verlagerung finanzieller und wirtschaftlicher Entscheidungen auf die höchste europäische Ebene „faktisch und institutionell“ beseitigt. Es sei unsozial und widerspreche den Zielen der sozialen Marktwirtschaft, „Sparer und Steuerzahler für die Risiken verantwortungsloser Staaten und Banken in Haftung zu nehmen“.

Das Wahlprogramm zur Europawahl enthält die, so Henkel, „Vision eines schlankeren und demokratischeren Europas“ sowie außenpolitische Grundsätze, in denen auch das Verhältnis zu Russland thematisiert wird. Diesem Verhältnis komme eine „besondere Bedeutung zu“, heißt es dort.

Mit einer neuen Satzung wird sich 2015 die innerparteiliche Struktur ändern. Das Sprechergremium soll durch einen Vorstand mit einem Vorsitzenden und Stellvertretern ersetzt werden. Danach soll der Vorstand einem seiner Mitglieder Aufgaben mit einfacher Mehrheit entziehen können. Zudem hätte der Vorsitzende die Möglichkeit, dem Parteitag eine beliebige Zahl neuer Stellvertreter vorzuschlagen. Diese Regelung sei problematisch, meint der Parteienrechtler Jörn Ipsen. „Durch die Kombination dieser Regeln wächst dem Vorsitzenden der AfD und seinen Getreuen eine enorme Macht zu“, sagte er dem „Spiegel“. Das verletze die verfassungsrechtlich vorgeschriebene innerparteiliche Demokratie. Nach der Satzung soll der Kassenwart nicht Mitglied des Vorstandes sein, sondern Angestellter der Partei. Seine Arbeit würde durch einen „Finanzvorstand“ kontrolliert. Ipsen sieht auch in dieser Regelung einen Verstoß gegen das Parteiengesetz.

Trotz der heftigen Auseinandersetzungen in den Landesverbänden, durch die wiederholt ganze Vorstände ausgetauscht werden mussten, liegt die AfD in den Umfragen zur Europawahl zwischen sechs und acht Prozent. Sollte sie ein solches Ergebnis erreichen, würde sie mit etwa ebenso vielen Mandaten in das EU-Parlament einziehen. Dann säße neben den Spitzenkandidaten Lucke und Henkel auch die wegen ihrer religiös-konservativen Haltung umstrittene Kandidatin Beatrix von Storch im Straßburger Parlament.