Nach Kinderporno-Vorwurf lebt er zurzeit in Südeuropa. Innenpolitiker greift SPD an. Nord-Genossen kritisieren ihn

Hamburg/Berlin. Zuerst fuhr Sebastian Edathy nach Skandinavien, dann wieder quer durch Deutschland in Richtung Mittelmeer. Nur einmal, sagt er, habe er angehalten. An einer Tankstelle sah er sein Bild auf den Titelseiten der Zeitungen. Seit zwei Wochen lebt er nun in einem Apartment in Südeuropa. Edathy sagt in einem Interview mit dem „Spiegel“: „Kindesmissbrauch ist verwerflich und ist zu bestrafen. Diesen habe ich weder begangen noch unterstützt.“ Viele sehen das anders. Auch in seiner eigenen Partei, der SPD.

Eine Entschuldigung lehnt der Innenpolitiker ab. „Ich muss und werde mich für mein Privatleben nicht entschuldigen oder rechtfertigen. Niemand, der sich im privaten Bereich rechtskonform verhält, muss das.“ Der Schutz der Privatsphäre sei elementar für einen Rechtsstaat. Edathy war im Februar als Abgeordneter zurückgetreten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen des Verdachts des Besitzes von Kinderpornografie. Er kam auf, weil Edathy 31 Nacktaufnahmen von Kindern und Jugendlichen bei einem kanadischen Internetunternehmen gekauft hatte. Auch gegen die Firma wird ermittelt. Mindestens ein Viertel deren Angebots sei kinderpornografisch. Edathy verteidigte in dem Interview, dass er Nacktaufnahmen gekauft hat. „Man muss daran keinen Gefallen finden, man darf es aber.“ Wenn jemand das nicht gut finde, „kann ich das verstehen“, sagte er. In der Kunstgeschichte habe der männliche Akt aber eine lange Tradition, auch der Kinder- und Jugendakt. Der SPD-Politiker beklagte, er sei in Deutschland gewissermaßen verfemt. „Es ist eine völlig surreale Lage, in der ich bin: meine Arbeit, meine Privatsphäre und mein Zuhause – alles das ist erst mal weg.“

Vorwürfe erhob Edathy auch gegen seine Partei. Das von SPD-Chef Sigmar Gabriel angestrebte Ordnungsverfahren sei unhaltbar, bevor die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abgeschlossen seien. Er halte es für problematisch, „wenn die Kategorie des moralischen Verhaltens im privaten Bereich für ein Ausschlussverfahren leitend sein soll“. Bekannt wurde der 44 Jahre alte Innenpolitiker als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses.

Gabriel wollte sich im Abendblatt nicht zu den Vorwürfen äußern. Auch SPD-Vorstandsmitglied und Hamburgs Bürgermeister, Olaf Scholz, lehnte eine Stellungnahme ab. Viele in der SPD wollen sich nicht öffentlich äußern. Wer mit Abgeordneten aus dem Norden spricht, hört, dass man „die Debatte nicht befeuern wolle“. In der Edathy-Affäre gebe es nur Verlierer, kein Wunder beim Thema „Kindesmissbrauch“, heißt es. Andere wie der Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete Metin Hakverdi sagen, dass die Arbeit der Großen Koalition durch den Fall Edathy nicht beeinträchtigt sei. „Ein wie auch immer geartetes Misstrauen vonseiten der Kollegen aus der Union konnte ich nicht feststellen“, so Hakverdi.

Nicht alle Fraktionsmitglieder der SPD waren aber offenbar einverstanden mit Gabriels Vorpreschen, heißt es. Der Hamburger Bundestagsabgeordnete Matthias Bartke hob hervor: „Edathy war für mich ein beeindruckender Politiker. Umso mehr war ich über seine persönlichen Neigungen erschüttert. Trotzdem fände ich einen Ausschluss aus der SPD im jetzigen Stadium schwierig. Edathy hat selbst Konsequenzen gezogen, und er ist schon jetzt politisch und privat erledigt.“ Wichtig sei, dass nun die Aufmerksamkeit auf das Wohl der Kinder gerichtet werde, die für solche Fotos missbraucht würden. „Dies hätte auch Edathy sehen müssen“, sagt Bartke.

Zuletzt hatte es auch starke Kritik an der niedersächsischen Justiz und am Bundeskriminalamt gegeben. Den Behörden wird vorgehalten, die Ermittlungen monatelang verschleppt zu haben. Gegen den als Bundesminister zurückgetretenen CSU-Politiker Hans-Peter Friedrich ermitteln Berliner Beamte ebenfalls. Es geht um möglichen Geheimnisverrat. Er hatte als Innenminister SPD-Chef Gabriel informiert, dass der Name Edathy bei Ermittlungen im Ausland aufgetaucht war.

Andere sagen nun, dass Gabriel aufgrund des öffentlichen Drucks keine Wahl gehabt hatte, außer Position gegen Edathy einzunehmen und einen Ausschluss aus der Partei zu fordern. Der langjährige Pinneberger SPD-Bundespolitiker Ernst Dieter Rossmann hob hervor: „Das Amt des Politikers in einer traditionsreichen Partei wie der SPD ist immer auch ein moralisches Amt.“ Er sei enttäuscht, dass Edathy bisher „kein Bedauern für die Kinder und Jugendlichen ausgesprochen hat, die für solche Fotos missbraucht werden und sich nicht als selbstbestimmte Erwachsene dafür entscheiden“. Ein Volksvertreter könne für sich „keine strikte Trennung von Privatleben und Mandat reklamieren“.

Rossmann kritisierte zudem, dass noch immer „viele Ungereimtheiten“ im Raum stünden, wie das „plötzliche Verschwinden“ von Edathys Laptop. „Ich denke nicht, dass es eine Rückkehr Edathys in den Bundestag gibt. Dennoch wünsche ich ihm, dass er sich in Deutschland oder im Ausland ein neues Leben aufbauen kann.“ Momentan ruht das Ausschlussverfahren gegen Edathy. Die SPD in Niedersachsen will die Ermittlungen abwarten.

Edathy bestritt, er habe Beweismittel beiseitegeschafft. Sein Bundestags-Laptop, mit dem er die Nacktbilder bestellt habe, sei gestohlen worden. Im „Spiegel“-Gespräch machte Edathy deutlich, dass er gern nach Deutschland zurückkehren würde. Doch das scheiterte schon einmal, als er die Post abholen wollte. „Ein Nachbar wies mich darauf hin, dass sich vor dem Haus drei Autos mit Journalisten und zwei mit Neonazis befinden würden.“