Bundesumweltministerin folgt Empfehlung von Strahlenschützern. Demnach würden Jodtabletten auch in Hamburg an die Bevölkerung verteilt

Berlin/Hamburg. Die Bundesregierung befürwortet eine deutliche Ausweitung der Sicherheitszonen um die deutschen Atomkraftwerke (AKW). Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) erklärte am Montag in Berlin, sie unterstütze die Empfehlungen der Strahlenschutzkommission und werde diese an die Innenministerkonferenz weiterleiten. Ihr Ziel sei zudem eine Harmonisierung der Katastrophenschutz-Regeln auf EU-Ebene.

Den Kommissionsempfehlungen zufolge, die das Umweltministerium am Montag veröffentlichte, sollen im Fall eines schweren Atomunfalls alle Anwohner im Umkreis von fünf Kilometern um ein AKW schnellstmöglich, spätestens aber innerhalb von sechs Stunden in Sicherheit gebracht werden. Bislang umfasste diese sogenannte Zentralzone nur zwei Kilometer. Die daran anschließende Mittelzone soll demnach von bisher zehn auf 20 Kilometer Entfernung vom AKW ausgedehnt werden. „Die Evakuierung ist so zu planen, dass sie in der Mittelzone 24 Stunden nach der Alarmierung der zuständigen Behörden abgeschlossen werden kann“, heißt es in den Empfehlungen der Kommission.

Die sogenannte Außenzone, in der im Notfall die Bevölkerung zum Schutz vor Radioaktivität mit Jodtabletten versorgt werden soll, würde demnach auf 100 Kilometer erweitert. In Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen würden dann nach einem Reaktorunfall deutlich mehr Menschen als bisher Jodtabletten bekommen. Die für den Katastrophenschutz zuständigen Behörden in den drei Ländern wollen die Empfehlungen der Strahlenschutzkommission nun aufarbeiten. „Wir werden das prüfen und bewerten“, sagte Thomas Giebeler, der Sprecher des Innenministeriums in Schleswig-Holstein. Thomas Butter von der Hamburger Innenbehörde sagte: „Wir werden gemeinsam im Nordverbund die notwendige Anpassung von Schutzmaßnahmen abstimmen.“ Die Sicherheitsempfehlungen gelten für Kernkraftwerke, die noch in Betrieb sind. In den drei Bundesländern gibt es drei solcher Reaktoren: in Brokdorf (Schleswig-Holstein) sowie in Grohnde und in der Nähe von Lingen (beide Niedersachsen).

Um die bislang bestehende Zwölf-Stunden-Frist für die Verteilung von Jodtabletten in der Mittelzone im Notfall einhalten zu können, hatten die Behörden in der Vergangenheit vorab Jodtabletten an die Einwohner dieser Zone verteilt. Im Jahr 2005 bekamen in Schleswig-Holstein rund 128.000 Menschen, die in der Nähe der damals noch aktiven Kraftwerke Brunsbüttel, Brokdorf und Krümmel wohnten, Abholscheine für je 20 Jodtabletten. Doch die Schleswig-Holsteiner nahmen die Aufforderung nicht sonderlich ernst. Nur etwa ein Drittel der Tabletten wurde abgeholt. Deswegen hat der Katastrophenschutz ein Verteilsystem organisiert, das im Ernstfall aktiviert werden kann.

In der laut Empfehlung der Strahlenschützer auf 100 Kilometer erweiterten Außenzone um die drei jetzt noch laufenden AKW würden neben ganz Hamburg auch die beiden Landeshauptstädte Kiel und Hannover liegen. Auch dort müssten dann im Ernstfall Jodtabletten ausgegeben werden, allerdings nicht innerhalb von zwölf Stunden. Ob die Ausgabe über ein Verteilsystem geschieht oder ob vorab jeder Haushalt mit Tabletten bestückt wird, ist unklar. Klar ist hingegen, wer die Kosten trägt: die Kraftwerksbetreiber.

Ein Mengenproblem gibt es offenbar nicht. Thomas Butter von der Innenbehörde sagte dem Abendblatt: „Bevölkerungsnahe Lagerstandorte verteilt über das ganze Bundesgebiet halten für den Bedarfsfall ausreichend Jodtabletten für die Bevölkerung bereit. Somit sind schon heute ausreichend Tabletten für die Hamburger verfügbar.“ Das norddeutsche Jod-Zentrallager befindet sich in Neumünster. Jodtabletten sollen in den betroffenen Gebieten an alle Menschen bis zum Alter von 45 Jahren ausgegeben werden. Jugendliche sowie Schwangere sollen laut Umweltministerium im Katastrophenfall bundesweit mit Tabletten versorgt werden. Die Einnahme von unbelastetem Jod verhindert die Aufnahme von radioaktivem Jod durch die Schilddrüse.

„Die aktuellen Empfehlungen der Strahlenschutzkommission sind ein geeigneter Ansatz für Notfallplanungen bei Unfällen in Kernkraftwerken“, erklärte Barbara Hendricks. Eine Lehre aus dem Super-GAU im japanischen Fukushima sei, „dass Katastrophenschutzplanungen unabhängig von Eintrittswahrscheinlichkeiten stattfinden müssen“.