Nach Abschalten der Atomkraftwerke boomt Kohlestrom. CO2-Ziele geraten unter Druck

Berlin. Es gibt ein Foto, bei dem sicher viele Deutsche an den Klimaschutz denken. Im Sommer 2007 flog Angela Merkel nach Grönland, um sich mit eigenen Augen ein Bild von schmelzenden Gletschern, steigenden Meeresspiegeln und verlorenen Lebensräumen der Eisbären zu machen. In dicken roten Funktionsjacken stellten sich die Kanzlerin und ihr damaliger Umwelt- und heutiger Energieminister Sigmar Gabriel (SPD) bei strahlender Polarsonne vor die Fotografen. Die Kulisse lieferte der Eqi-Gletscher, die Botschaft Merkels an die Bürger daheim war: Ich kümmere mich auch ums Weltklima.

Doch nicht erst seit mehreren weitgehend gescheiterten Klimaschutzkonferenzen weiß man, dass das leichter gesagt als getan ist. Ausgerechnet Deutschland, von Merkel als Vorreiter gepriesen, läuft Gefahr, beim Einhalten der selbst gesteckten nationalen Ziele zu patzen. Um 40 Prozent soll der deutsche Treibhausgas-Ausstoß 2020 niedriger sein als im Jahr 1990. Aktuell sind aber nur 23,8 Prozent geschafft, wie das Umweltbundesamt (UBA) ausgerechnet hat. Die Experten schlagen Alarm, weil im zweiten Jahr in Folge der CO2-Ausstoß gestiegen ist. „Hält das an, wird es kaum möglich, das Klimaschutzziel der Bundesregierung im Jahr 2020 zu erreichen“, heißt es bei der Behörde in Dessau-Roßlau.

Zwischen 2008 und 2009 waren die Emissionen infolge der Finanz- und Wirtschaftskrise zunächst deutlich gesunken. Seit 2009 aber steigen sie in der Tendenz jährlich leicht an, 2010 war ein Sonderjahr auch wegen klimatischer Effekte. Wenn die Bundesregierung das 2020-Ziel noch schaffen will, müsste sie in den verbleibenden sieben Jahren den Treibhausgas-Ausstoß ab sofort jährlich um etwa 2,8 Prozent reduzieren. „Die derzeit gegebenen Rahmenbedingungen lassen dies nicht zu“, konstatiert das Umweltbundesamt in einer Analyse schonungslos. Auch Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), erst seit Dezember im Amt, ist beunruhigt: „Wir haben einen Teil der bereits erreichten Treibhausgasminderungen wieder verspielt.“

Woran aber liegt es konkret, dass im vergangenen Jahr mit 951 Millionen Tonnen fast zwölf Millionen Tonnen mehr Treibhausgase in die Luft gepustet wurden und Kohlekraftwerke durchlaufen? Zahlen die Verbraucher nicht die gigantische Summe von 23,5 Milliarden Euro pro Jahr für den Ausbau erneuerbarer Energien, damit – wie von der Politik versprochen – sauberer, grüner Strom aus der Steckdose kommt? Tatsächlich jedoch wurde 2013 so viel Braunkohlestrom produziert wie seit der Wiedervereinigung nicht mehr. Zwar ging dank neuer, effizienterer Kraftwerke, die weniger Kohle brauchen, der CO2-Ausstoß im Braunkohle-bereich laut UBA-Zahlen leicht um 0,9 Prozent zurück. Nach den Mineralölen hatte die Braunkohle 2013 aber mit geschätzt 181,5 Millionen Tonnen den höchsten Anteil an den energiebedingten Kohlendioxid-Emissionen.

Besonders negativ machte sich der um 4,3 Prozent höhere CO2-Ausstoß bei der Steinkohle-Verstromung bemerkbar. Damit fangen bei der Energiewende vor allem Kohlekraftwerke den Wegfall von acht Atomkraftwerken auf, während sich CO2-ärmere, aber im Betrieb teurere Gaskraftwerke kaum noch rechnen. Zudem wurde im strengen Winter 2013 mehr mit Öl und Gas geheizt. Dazu erhöhte auch der um über sieben Prozent gestiegene Nettostromexport auf 33 Milliarden Kilowattstunden die Emissionen.

Schuld an diesem Dilemma der Energiewende ist auch das Scheitern des europäischen Handels mit Verschmutzungsrechten – kurz CO2-Papiere. Diese muss die Industrie für jede Tonne Kohlendioxid kaufen, die durch die Schornsteine in die Luft gelangt. Unternehmen können die Papiere auch untereinander handeln. Eigentlich sollte der Preis bei 30 Euro liegen, er dümpelt aber zwischen drei und fünf Euro, weil geschätzt zwei Milliarden CO2-Papiere zu viel im Markt sind. Die EU will befristet nur 900 Millionen Zertifikate zurückhalten, um das Angebot zu verknappen und den Preis zu treiben.