Vieles deutet darauf hin, dass sich die drei Parteichefs in der Affäre Edathy auf inhaltliche Kompensation statt auf Rücktritte einigen

Berlin. Es war der Abend, als einem Horst Seehofer schon klar sein musste, dass er seinen Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich nicht im Amt wird halten können. Donnerstag vergangener Woche hielt der CSU-Chef in Berlin vor der CDU Steglitz/Zehlendorf eine Rede. Während sein Pressesprecher am Telefon hing und davon sprach, dass „die Kacke gewaltig am Dampfen“ sei, scherzte sich Seehofer durch den Abend. Dabei gab er den Anwesenden eine Weisheit mit, die er bewusst nicht auf vergangene, sondern auf zukünftige Ereignisse bezog. Seehofer zog dafür einen Vergleich zum Sport. Er war lange Handballer. „Es passiert immer wieder, dass einige die Laufwege nicht kapiert haben. Seien Sie versichert, das gilt nicht für die Spitze.“ Gemeint waren Merkel, Gabriel und er .

Auffallend oft verwies der CSU-Chef seit der Regierungsbildung auf sein sehr gutes Verhältnis zu SPD-Chef Sigmar Gabriel. Tat er es nicht selbst, ließ er Vertraute aus Gesprächen zwischen ihm und Gabriel berichten. Die Botschaft lautete immer: Der Austausch ist eng, die beiden wissen, wo es langgeht. Es sollte nicht der Eindruck entstehen, dass diese Koalition unter dem Nicht-Verhältnis ihrer Chefs krankt, wie es die schwarz-gelbe Zeit tat.

An dieser Interpretation will Seehofer nicht rütteln lassen. Nicht am Donnerstag vergangener Woche und bis heute nicht. Da fügt sich das Treffen der drei Parteichefs als Reaktion auf den Rücktritt Friedrichs und die Affäre um den SPD-Politiker Sebastian Edathy, das für den Dienstagabend im Kanzleramt angesetzt war, ein. Natürlich wird kommuniziert, dass es großen Gesprächsbedarf gebe; doch wollen die drei damit vor allem das Signal aussenden, dass sie es sind, die Kriegsbeile aus- und wieder eingraben. Nicht jene, die eben nicht immer wissen, wie die Laufwege gehen.

Das Treffen wurde in der CSU immens aufgeladen. „Das Entscheidende ist das Dreiergespräch“, sagt Generalsekretär Andreas Scheuer. „Die Vorsitzenden müssen sich offen aussprechen“, Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt. Das heißt aber auch: Beteuern die drei anschließend, dass sie sich ausgesprochen hätten, wird die Affäre für die Koalition nicht mehr bestimmendes Thema sein. Zumindest nicht nach außen.

Als Vorbereitung rüstete die CSU schon einmal vorsorglich deutlich ab. Scheuer erneuerte seine Forderung nach einem Rücktritt des Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann nicht, auf den sich – wohl auch um Gabriel zu schützen – die Kritik der Union konzentriert. Hasselfeldt beteuert ihrerseits: „Uns geht es nicht um Auge um Auge, Zahn um Zahn.“

Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Michael Grosse-Brömer, attestiert Oppermann Einsicht: „Ich habe den Eindruck, Herr Oppermann hat eingesehen, dass eine Bringschuld der SPD besteht.“ Unionsfraktionschef Volker Kauder hatte am Vortag betont, dass es nicht um Rücktritte gehe. Oppermann selbst trat am Dienstagnachmittag vor die Presse. Als wäre nichts, begann er seine Ausführungen mit den bevorstehenden Entscheidungen des Parlaments zu den Bundeswehreinsätzen in Afrika. Erst danach teilte er mit, dass er vom Vorsitzenden des Innenausschusses für den Mittwoch eingeladen worden sei und er dort alle Fragen beantworten werde. „Wir können das meistern. Ich bin zusammen mit Herrn Kauder ein Stabilitätsanker der Koalition“, sagte Oppermann selbstbewusst. Hasselfeldt zollt ihm Respekt: „Ich sehe das Bemühen von Herrn Oppermann, die Dinge wieder ins Lot zu kriegen.“

Allen Vertretern von Union und SPD gemeinsam ist, dass sie in fast schon inflationärer Häufigkeit von beschädigtem Vertrauen sprechen, das man nun wieder aufbauen müsse. Die Union sieht hier natürlich allein die SPD am Zug. Doch wie baut man Vertrauen eigentlich wieder auf? Immerhin handelt es sich um zugrunde liegende Vorgänge, die zwar in eine Zeit fallen, in der man schon miteinander wollte, aber noch nicht miteinander verbündet war: In den Herbst des vergangenen Jahres, als Friedrich bekanntermaßen Sigmar Gabriel über die Ermittlungen im Fall Edathy informierte, der wiederum den späteren Außenminister Frank-Walter Steinmeier und eben Thomas Oppermann einweihte. Obwohl Gabriel offensichtlich Geheimnisse weitergab und damit das politisch nachvollziehbare Anliegen Friedrichs zur Affäre machte, schont ihn die Union. Warum? Zum einen, weil das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteichefs wohl doch weit besser ist, als es aktuell vermittelt wird. Sie wollen diese Koalition. Vor allem will sie Seehofer. Zum anderen, weil nur Gabriel der CSU eine Wiedergutmachung für das Opfer Hans-Peter Friedrich bieten kann. Ein Rücktritt in der SPD – und das Druckpotenzial wäre weg. Die CSU treibt ihren Preis in die Höhe, indem sie auf Oppermanns Sturz verzichtet. Vieles deutet darauf hin, dass Seehofer inhaltliche Zugeständnisse als Vertrauensbeweis verlangen wird. Zwischen den Zeilen ist es zu lesen. Bei Hasselfeldt etwa: „In der Sacharbeit kann ein Vertrauensbeweis liegen.“ Die inhaltliche Arbeit an Sachthemen und die Wiederherstellung des Vertrauens müssten „ein Stück weit Hand in Hand gehen“. Generalsekretär Scheuer sagt: „Vertrauen entsteht durch Arbeit an konkreten Projekten.“

Die Projekte, die Seehofer mit am meisten interessieren und Sorgen bereiten, liegen auf dem Feld der Energiepolitik. Und damit in der Zuständigkeit von Gabriel. Seehofer möchte ihn dazu bringen, die Ausbaugrenzen für die Biomasse zu korrigieren. Bayern setzt stark auf die Bioenergie. Doch Gabriels Pläne zur Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes bremsen die bayerischen Ambitionen empfindlich. Auch verlangt Seehofer eine stärkere Förderung konventioneller Kraftwerke und ein neues Marktdesign. Bis Sommer will er ein Konzept sehen. Bisher macht die Bundesregierung aber kaum Anstalten, ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Bisher.