Nach dem Rücktritt nimmt SPD-Chef Gabriel den Ex-Minister in Schutz. Staatsanwalt zeigt sich „fassungslos“

Berlin. Freitag, 17Uhr. Hans-Peter Friedrich (CSU) stellt sich vor die Presse, erklärt in wenigen Sätzen seinen Rücktritt vom Amt des Agrarministers. Er sei immer noch überzeugt, dass er damals, als Innenminister, richtig gehandelt habe, sagt er. Aber in den vergangenen Stunden sei der Druck auf ihn so gewachsen, dass er seine Aufgabe im Agrarressort nicht mehr mit der nötigen Konzentration, Ruhe und politischen Unterstützung bewältigen könne. Kaum mehr als eine Minute – und seine politische Karriere ist vorerst beendet.

Friedrich ist über ein Ereignis aus seiner alten Amtszeit gestolpert – über den verworrenen Fall des SPD-Politikers Sebastian Edathy. Nur 29 Stunden vor Friedrichs Abschiedsstatement tauchten jene Zeilen auf, die ihn das Amt kosteten. Die SPD verschickte am Donnerstagmittag um kurz vor zwölf eine Pressemitteilung. Darin das überraschende Eingeständnis: Schon seit Ende Oktober 2013, also seit den Koalitionsverhandlungen mit der Union, wusste die SPD-Spitze davon, dass etwas auf Edathy zurollt. Und zwar vom damaligen Innenminister Friedrich. Auf die Pressemitteilung folgte große Empörung: Der Minister habe ungeniert ein Dienstgeheimnis an den angehenden Koalitionspartner verraten, die Ermittlungen gegen Edathy behindert und sei untragbar, riefen Linke, Grüne, FDP. Nun also der Rücktritt.

Ein Blick zurück. Am Freitagmorgen kurz nach elf Uhr sitzt in Hannover Jörg Fröhlich, der Leiter der Staatsanwaltschaft, vor vielen neugierigen Journalisten. Tagelang schwieg die Behörde zu den Hintergründen für die Hausdurchsuchungen bei Edathy. Tagelang machten nur Spekulationen die Runde. Nun ist es offiziell: Fröhlich berichtet ausführlich, was Edathy vorgeworfen wird. Er soll sich über mehrere Jahre per Internet aus Kanada Videos und Fotos von nackten Jungen bestellt und Material heruntergeladen haben. Es sollen Bilder aus dem „Grenzbereich zur Kinderpornografie" gewesen sein.

Fröhlich macht seinem Unmut über die Informationswege im Fall Edathy Luft. „Wir sind fassungslos“, sagt er. Inzwischen sei klar, dass Edathy vorgewarnt gewesen sei, dass er schon seit November mit einem Verfahren gerechnet habe. Die Ermittler seien „hoffnungslos in der Hinterhand“ gewesen. Bei den Durchsuchungen fanden sie kaum verwertbares Material. Hatte Edathy also einen Tipp bekommen? Hat er möglicherweise Beweise vernichtet oder weggeschafft? Und war Friedrichs Wink an die SPD der Ursprung für all das?

Während Fröhlich in Hannover referiert, findet in Berlin fast zur gleichen Zeit ein Krisengespräch der CSU-Spitze um Parteichef Horst Seehofer statt. Um 11.25 Uhr lässt Friedrich noch mitteilen, dass er sich wegen des Winks an die SPD nichts vorwerfe und erst mal weitermachen wolle: „Ich war davon überzeugt, dass ich politisch wie rechtlich richtig gehandelt habe.“ Sollte die Staatsanwaltschaft das aber anders sehen und ein Ermittlungsverfahren gegen ihn einleiten, werde er sein Amt aufgeben.

Kurz darauf lässt Kanzlerin Angela Merkel (CDU) über ihren Regierungssprecher ausrichten, was sie von der Sache hält. Und das klingt nicht besonders erbaulich. Merkel habe mit Friedrich „ein intensives“ Telefonat geführt, sagt ihr Sprecher Steffen Seibert. Sie selbst will von alldem nichts gewusst haben. Auf richtige Rückendeckung für den Minister verzichtet Merkel. „Der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, Hans-Peter Friedrich, hat mir heute Nachmittag seinen Rücktritt angeboten. Ich habe sein Rücktrittsgesuch angenommen, mit großem Respekt und großem Bedauern“, so Merkels Erklärung.

Mit seinem Schritt stelle Friedrich „einmal mehr seine aufrechte Haltung unter Beweis, die eigenes Interesse und eigenes Wohl hinter das Wohl des Ganzen stellt. Und mit der er unabhängig von rechtlichen Bewertungen politische Verantwortung übernimmt“, heißt es weiter. Es sei noch zu früh, über die Nachfolge zu sprechen.

Friedrich sei sich der „Dimension des Sachverhalts bewusst“, sagt Steffen Seibert. Und auf die Frage, ob es stimme, dass die Regierungschefin erbost sei, erklärt er: „Es geht hier nicht um emotionale Einordnungen.“ Wie aus Regierungskreisen zu hören ist, war es am Ende wohl die Kanzlerin, die Friedrich dann doch zum Rücktritt gedrängt hat.

Ist die Affäre damit schon ausgestanden? Wohl kaum. Die SPD lieferte in der Sache bislang kein Glanzstück ab. Die Mitteilung vom Donnerstag – verfasst von SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann – löste viel Ärger und Ungereimtheiten aus. Friedrich und auch der Präsident des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, widersprachen öffentlich einzelnen Angaben Oppermanns. Dort steht Aussage gegen Aussage. Verantwortung wird hin- und hergeschoben. Die Beteiligten sind nervös.

Die Information, die Friedrich dem SPD-Chef Sigmar Gabriel steckte, bahnte sich von dort ihren Weg zu Oppermann – zu der Zeit noch Fraktionsgeschäftsführer – und zum damaligen SPD-Fraktionschef und jetzigen Außenminister Frank-Walter Steinmeier. Offen ist immer noch, ob sie – auf welchen Wegen auch immer – auch Edathy selbst erreichte. Im Raum steht der Vorwurf der Strafvereitelung.

Und war es sauber, was sich da abspielte? Für den Außenstehenden sieht es so aus, dass ein Innenminister in den Koalitionsverhandlungen den künftigen Vizekanzler zur Seite nimmt und warnt, damit Edathy auch ja keinen wichtigen Posten in der Koalition bekommt. Das hat Gabriel am Freitagabend sogar indirekt bestätigt, als er Friedrich nach dessen Rücktritt in Schutz nahm.

Friedrich habe mit seinem Hinweis an die SPD möglicherweise verhindert, dass Edathy bei der Bildung der Großen Koalition mit einem hohen Amt, etwa als Staatssekretär, bedacht worden sei, sagte Gabriel dem ARD-„Hauptstadtstudio“.

Die Partei hätte sonst „Personalentscheidungen getroffen, die wir heute vielleicht sehr, sehr bedauern würden“, sagte der Parteichef weiter. „Man würde Herrn Friedrich heute den Vorwurf machen: Warum hast du das damals nicht gesagt, bevor Menschen in ihre Ämter gekommen sind?“

Friedrich habe durch seinen Hinweis „versucht, Schaden abzuwenden“, bekräftigte Gabriel, und das sei ihm letztlich „auch gelungen“.