Der Konflikt um neue Stromtrassen wird zur Belastungsprobe in der Großen Koalition. Die Kanzlerin stellt sich gegen CSU-Chef Seehofer

Erfurt. Für Angela Merkels Verhältnisse ist es fast schon ein Machtwort. Immer wieder spricht sie von den „HGÜs“, die man brauche – gemeint sind neue Leitungstrassen mit Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung. Es kann die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende nicht freuen, dass die Debatte um neue Nord-Süd-Leitungen aus den Fugen geraten ist: In Bayern kämpfen Bürger gegen angebliche Monstertrassen, durch die Energie in das Land fließen soll, das derzeit noch stark von Atomstrom abhängig ist. Die Folge sind politische Verwerfungen.

Merkel äußert nach der CDU-Klausur am Wochenende in Erfurt zwar Verständnis für die Einwände von CSU-Chef Horst Seehofer gegen neue Trassen und kündigt eine Prüfung der Planungen an. Aber sie sagt zugleich klipp und klar, dass neue Leitungen unverzichtbar sind: „Es wird Gleichspannungsleitungen geben.“

Merkel sagt, es gehe um eine stetige Anpassung der Netzplanungen an den Ausbau erneuerbarer Energien, aber an den großen Linien will sie nichts ändern. Ein von Bayern ins Spiel gebrachtes Moratorium, einen Stopp der Netzausbaupläne, lehnt sie ab. Zuvor hatte sich Bayerns Ministerpräsident all jene Kritiker vorgeknöpft, die ihn zuletzt attackiert hatten. „Das Geschwätz, das dazu eingesetzt hat von EU-Kommissar (Günther) Oettinger und anderen Ortsunkundigen, wird an dieser bayerischen Forderung nichts ändern“, polterte Seehofer.

Im Kern des Konflikts geht es darum, ob die großen Stromtrassen nach Bayern wegen der Drosselung beim Ausbau der Windenergie tatsächlich notwendig sind. Dabei ist das übergeordnete Ziel weiterhin, bis zum Jahr 2050 den Ökostromanteil in Deutschland auf 80 Prozent anzuheben. In Süddeutschland soll dazu Windstrom aus dem Norden und Osten das fest terminierte Abschalten von Atomkraftwerken abfedern.

Seehofer, dessen CSU im März bei den bayerischen Kommunalwahlen bestehen muss, fordert nun sogar, die Eckpunkte der Energiewende mit Blick auf die Versorgungssicherheit und die Kosten für die Bürger noch einmal gründlich zu überprüfen. Doch erst 2013 hatten Bundestag und Bundesrat den Netzausbau so beschlossen – und Zeit hat man eigentlich nicht mehr. Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) bietet bereits Wetten darauf an, dass 2022 nicht das letzte deutsche Atomkraftwerk abgeschaltet wird.

Aber bei allem Theaterdonner: Seehofer legt den Finger in die Wunde, der Protest gegen bis zu 70 Meter hohe Masten dürfte massiv werden. Per Gesetz wurden Klagezeiten für die 36 wichtigsten Trassen bereits verkürzt, es kann nur noch beim Bundesverwaltungsgericht geklagt werden. Aber wie sollen die Bürger für neue „Stromautobahnen“ gewonnen werden, wenn führende Politiker selbst Zweifel daran säen?

Der Streit lässt auch das Klima in der Großen Koalition rauer werden. SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi wirft Seehofer vor, nur auf die Kommunalwahlen zu schielen, sie spricht von „politischer Raserei“. NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) will den „energiepolitischen Irrläufer“ Seehofer gleich ins Abklingbecken stecken. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer kontert, die SPD stehe unter dem Einfluss von „Kohlelobbyisten wie Hannelore Kraft“. Bayern mache halt eine Energiewende mit den Bürgern.

Wird die von Energieminister Gabriel geplante Reform nun zerrieben?

Es geht munter hin und her, seit Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) Eckpunkte für eine Ökostromreform vorgelegt hat – und die Netzbetreiber erste Streckenpläne für die Trassen mit bis zu 500 Kilovolt Spannung präsentiert haben. So will Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) nun die von Gabriel geplante Zwangsabgabe für Unternehmen kassieren, die sich Kraftwerke gekauft oder Solaranlagen auf das Dach geschraubt haben und zu Selbstversorgern geworden sind. Droht Gabriel ein Zerfasern seiner Reform? Fällt die geplante Strompreisdämpfung dadurch nur minimal aus?

Der Energiekoordinator der Unionsfraktion, Thomas Bareiß (CDU), ist zunehmend fassungslos ob der Diskussionen. „An allen Ecken und Enden gibt es Akzeptanz-Probleme“, sagt er. Interessanterweise sähe man heute bei der „Anti-Monster-Mast-Initiative“, die gegen den Ausbau kämpfe, „die gleichen Menschen wie früher bei der Anti-Atomkraft-Demo in Gorleben“. Die Energiewende sei eben doch nicht so einfach, „wie uns über viele Jahre sogenannte grüne Energie-Experten versucht haben, weiszumachen“.