Staatssekretär Schmitz tritt nach Steuervergehen zurück. Opposition: Regierender Bürgermeister soll Urlaub abbrechen

Berlin. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) zeigt sein bekannt dickes Fell. In der Hauptstadt kriselt es heftig wegen des Rückzugs seines Kulturstaatssekretärs André Schmitz – und Wowereit genießt weiter seinen Skiurlaub fern der Heimat. Dabei steht der SPD-Regierungschef jetzt selbst im Fokus der Steuerbetrugsaffäre von Schmitz. Wowereit wusste als Einziger in der SPD seit 2012 darüber Bescheid, schwieg und wollte seinen Vertrauten noch am Montag halten. Nach dem Abgang von Schmitz fragt die Opposition, wie lange sich Deutschlands dienstältester Ministerpräsident selber noch halten kann.

Wowereit wird genau erklären müssen, warum er über ein Jahr lang den Steuerbetrug seines engen Vertrauten deckte, ohne Konsequenzen zu ziehen. Die Opposition attackiert den bereits durch das Flughafen-Desaster schwer angeschlagenen Regierungschef. Die Grünen fordern vehement seine Rückkehr aus dem Urlaub, um die offenen Fragen aufzuklären. Wowereit – bis Dezember SPD-Bundes-Vize – brockte damit seiner eigenen Partei eine unliebsame Debatte ein. Schmitz hat am Montag zugegeben, jahrelang die Erträge eines ererbten Guthabens in Höhe von 425.000 Euro auf einem Schweizer Bankkonto nicht versteuert zu haben.

Die SPD war im Bundestagswahlkampf dezidiert gegen die Steuerflucht wohlhabender Bundesbürger zu Felde gezogen und hatte eine schärfere Strafverfolgung gefordert. Und dann hält ein hochrangiger SPD-Politiker auch noch schützend die Hand über einen Steuerbetrüger. Ausgerechnet der Koalitionspartner CDU legte als Erster den Finger in die Wunde. „Es stellt sich die Frage, wie dieser Vorfall mit den moralischen Äußerungen der SPD vor allem im Bundestagswahlkampf zu vereinbaren ist“, fragte ihr Berliner Generalsekretär Kai Wegner. Dem Bundesvorsitzenden Sigmar Gabriel schwoll deshalb am Montag der Kamm. Unverhüllt gab er den Berliner Genossen mit auf den Weg, dass schnell Konsequenzen zu ziehen seien. „Wir haben klar gesagt, dass wir dafür sind, Steuerhinterziehung strenger zu verfolgen und zu bestrafen“, unterstrich Gabriel. Das Unter-den-Teppich-Kehren des Steuerbetrugs dürfte das bekannt gespannte Verhältnis Gabriels zu seinem Ex-Stellvertreter Wowereit nicht verbessern.

Auch der Bundesschatzmeister der CDU, Helmut Linssen, sieht sich nun Vorwürfen ausgesetzt, jahrelang Geld in einer Briefkastenfirma auf den Bahamas verborgen zu haben. Er habe 1997 umgerechnet mehr als 400.000 Euro bei der Bank HSBC Trinkaus&Burkhardt International S.A. in Luxemburg eingezahlt, berichtete das Magazin „Stern“. Mit Hilfe der Bank sei das Geld auf eine Briefkastenfirma transferiert worden, die zunächst auf den Bahamas, dann in Panama gesessen habe. Ende 2004 sei das Bankkonto geschlossen worden. Linssen war von 2005 bis 2010 Finanzminister in Nordrhein-Westfalen. Die Details über sein Luxemburger Konto stammen von einer CD, die das Bundesland 2010 – inzwischen unter rot-grüner Regierung – von einem Datendieb gekauft hatte. Ein Strafverfahren gegen Linssen wurde 2012 eingestellt. Aufgrund von Verjährungsfristen habe er nur die Zinserträge von 2001 bis 2005 nachweisen müssen, jedoch habe er in dieser Zeit gar keinen Gewinn mit dem Geld im Ausland gemacht. Linssen erläuterte in einer Stellungnahme: „Bei dem Geld handelt es sich um privates Vermögen meiner verstorbenen Eltern, das unsere Familie steuerlich korrekt erwirtschaftet hat.“ Er fügte hinzu: „Ich bedaure den öffentlich zwischenzeitlich entstandenen Eindruck.“

Nach dem Steuerhinterziehungs-Fall der „Emma“-Herausgeberin Alice Schwarzer und den jüngsten Vorwürfen gegen Politiker diskutiert die Große Koalition kontrovers über mögliche Gesetzesverschärfungen. Die Strafverfolgung bei Steuersündern müsse dringend intensiviert werden, sagte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann „Spiegel Online“. „Wir wollen zudem die strafbefreiende Selbstanzeige überprüfen und gegebenenfalls ändern.“ SPD-Fraktionsvize Joachim Poß sagte der „Bild“-Zeitung vom Dienstag: „Die strafbefreiende Selbstanzeige für Steuersünder gehört vom Tisch, weil sie Steuerhinterziehung gegenüber anderen Straftaten privilegiert.“

Laut Bundesfinanzhof hat sich die Steuermoral in Deutschland verbessert

Der haushalts- und finanzpolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Bartholomäus Kalb, sagte hingegen: „Das Institut der Selbstanzeige hat funktioniert.“ Es sei „vollkommen verfehlt“, die Abschaffung der Selbstanzeige zu fordern. Der Unionsobmann im Bundestags-Finanzausschuss, Hans Michelbach (CSU), verwies darauf, dass die Union 2009 und 2011 das Instrument der strafbefreienden Selbstanzeige verschärft habe. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki lehnt eine Abschaffung der strafbefreienden Selbstanzeige bei Steuerbetrug ab. Ohne Selbstanzeigen müsste die Steuerfahndung jeden einzelnen Steuerbetrüger überführen: „90 Prozent der Fälle würden wir nicht mehr erreichen. Das wäre ein unglaublicher Aderlass an öffentlichen Einnahmen“, meinte Kubicki.

Trotz spektakulärer Fälle von Steuerhinterziehung hat sich aus Sicht des Bundesfinanzhofs (BFH) die Steuermoral in Deutschland verbessert. „Wir haben heute ein ganz anderes Steuerbewusstsein als noch vor 20 Jahren“, sagte BFH-Präsident Rudolf Mellinghoff bei der Vorstellung des Jahresberichts des höchsten deutschen Steuergerichts am Dienstag in München. Es sei den meisten Menschen bewusst, dass „Steuerhinterziehung kein Kavaliersdelikt ist, sondern strafbares Unrecht“. Zu aktuell diskutierten Fällen wollte er sich aber nicht äußern.