160 Milliarden Euro Kosten. „So zeigt sich die Menschlichkeit einer Gesellschaft“

Berlin. Es ist das teuerste und umstrittenste Rentenpaket der deutschen Geschichte: Das schwarz-rote Bundeskabinett hat am Mittwoch die Reformpläne der neuen Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) gebilligt. Vorgesehen sind eine abschlagsfreie Rente ab 63 Jahren nach 45 Jahren Beitragszeit, eine Erhöhung der sogenannten Mütterrente und Verbesserungen für Erwerbsminderungsrentner. Experten rechnen mit 160 Milliarden Euro Mehrkosten bis 2030. Zunächst sollen die Ausgaben aus der derzeit prall gefüllten Rentenkasse beglichen werden. Eigentlich fällige Beitragssenkungen wird es deshalb nicht geben. Kritiker warfen der Regierung vor, Rentengeschenke auf Kosten der jungen Generation zu verteilen.

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) erklärte dagegen, den Leistungsempfängern werde „nichts geschenkt“: „Diese Rente ist verdient.“ Ausdrücklich verteidigte Nahles ihre Rentenpläne auch gegen Altkanzler Gerhard Schröder (SPD). Dieser fragt in seinem neuen Buch, aus dem die „Bild“-Zeitung zitierte: „Wie soll das finanziert werden?“ Schröder schreibt, er wundere sich, dass sich die Frauen zur abschlagsfreien Rente ab 63 nicht zu Wort gemeldet hätten, denn das Ergebnis sei eindeutig: „Der männliche Facharbeiter, relativ gut verdienend, wird das nutzen können, Frauen eher weniger, weil die meistens gar nicht auf die 45 Beitragsjahre kommen.“

Nahles sagte, die Maßnahmen wie Mütterrente und Rente mit 63 sorgten für spürbare Verbesserungen vieler Menschen in ihrem Alltag. Sie habe im Kabinett einen „ganz, ganz kleinen Moment des Stolzes“ erlebt.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stellte sich ausdrücklich hinter das Gesetzesvorhaben. Die Erhöhung der Mütterrente sei für rund neun Millionen betroffene Frauen die „Anerkennung für ihre Erziehungsleistung“. Auch die vorzeitige Rente nach 45 Beitragsjahren sei schon bei der Einführung der Rente mit 67 berücksichtigt worden. Jetzt werde dies modifiziert, sagte Merkel im Bundestag. „Die Menschlichkeit einer Gesellschaft zeigt sich im Umgang mit Schwachen, wenn sie alt sind und wenn sie krank sind.“

Scharfe Kritik übte der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates, Kurt J. Lauk. Die Rente mit 63 setze das „völlig falsche Signal“. Angesichts des demografischen Wandels werde „viel eher die Rente mit 69“ gebraucht. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt, bemängelte, Frauen und viele Ostdeutsche würden nicht in den Genuss der Rente mit 63 kommen. Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer und Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer kritisierten die Reform als teure Mehrbelastung für die Beitragszahler. Der Gesetzentwurf habe eine deutliche Schieflage zulasten der jüngeren Generation, sagte Kramer. Wollseifer betonte, anstatt die Frührente zu subventionieren, müsse die Arbeit für Ältere attraktiver werden.

Nahles versicherte, die abschlagsfreie Rente ab 63 Jahren solle keine Brücke zur Frühverrentung bedeuten. Bisher sei zwar noch keine verfassungskonforme Lösung zur Verhinderung des Missbrauchs gefunden – dies werde aber im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren gelingen. Befürchtungen, dass die Regelung 50.000 zusätzliche Arbeitslose produziere, wies Nahles als nicht nachvollziehbar zurück.

Unterdessen legten die Fraktionen in der Hamburger Bürgerschaft einen Antrag vor, wonach die Abgeordneten künftig erst mit 67 Jahren ihre Altersbezüge bekommen. Beschlossen werden soll die FDP-Initiative in der kommenden Parlamentssitzung am 12. Februar. Die geplanten Regelungen entsprächen jenen für Senatoren und sollen aus Gründen des Vertrauensschutzes nach der Wahl 2015 in Kraft treten.