Ob Energiewende oder Rente: Schwarz-Rot hat in Meseberg alles abgedeckt. Zum ersten Mal kamen sich SPD und Union richtig nahe

Meseberg. Jeweils zwölf Minuten, zeitlich also ganz auf Augenhöhe, berichten Sigmar Gabriel und Angela Merkel über die Regierungsklausur auf Schloss Meseberg. Energiepolitik, Rentenpaket und Elektromobilität, die Lage in der Ukraine und die europäische Bankenunion, nicht zu vergessen die „digitale Agenda“ – über all das referieren Bundeskanzlerin und Vizekanzler. Ausgerechnet über den gemeinsamen Abend im Weinkeller des Schlosses aber geben sich beide wortkarg. „Es war schön“, lautet Merkels Fazit. „Harmonisch“ sei es zugegangen, „an meinem Tisch sowieso“. Gesundheitsbedingt habe sie jedoch „früher“ aufbrechen müssen, berichtet Merkel, die weiter auf Krücken angewiesen ist. Wirtschaftsminister Gabriel lässt die Frage nach dem gemütlichen Abend zunächst unbeantwortet: „So etwas erzählt man nicht öffentlich.“ Dem Kennenlernen, der guten Atmosphäre sollte die erste Regierungsklausur des Kabinetts Merkel III vor allem dienen. Bewusst hatte sich die große Koalition auf eine Übernachtung in Meseberg verständigt.

Abends, bei Wein und Bier und vor allem abseits von Kameras und Reportern, lassen sich persönliche Beziehungen besser herstellen als in der Öffentlichkeit Berlins. Über Mitternacht hinaus saßen die meisten Minister zusammen, berichtet ein Teilnehmer. „Wir haben uns alle lieb“ sei die Stimmung gewesen, sagt einer, der dabei war, und fügt dazu: „Netter als beim letzten Mal. Beim üblichen „Familienfoto“ am Donnerstagmorgen demonstrierten Angela Merkel und ihre Minister gute Laune. Bundeskanzlerin und Vizekanzler bauten sich Seit an Seit auf. Auch die Staatsminister Monika Grütters (Kultur, CDU), Aydan Özoguz (Integration, SPD) und Michael Roth (Auswärtiges Amt, SPD) durften mit aufs Bild, sie haben „Kabinettsrang“. Justizminister Heiko Maas (SPD) zeigte sich ohne Krawatte, die meisten Minister legten während ihrer Beratungen das Jackett ab. Trotz der vorwiegend atmosphärischen Intention des Treffens berichteten alle Minister über ihre Vorhaben in diesem Jahr, eine ganz förmliche Kabinettssitzung fand ebenfalls statt.

Wichtigstes Thema war die von Wirtschaftsminister Gabriel vorangetriebene rasche Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), besser bekannt als Energiewende. Gabriels Eckpunkte wurden bereits am Mittwoch gebilligt, verbunden mit einer etwas skurril anmutenden „Protokollnotiz“ der drei Minister der CSU. Sie wenden sich gegen Kürzungen bei den – von Gabriel als teuer kritisierten – Biomasseanlagen. Als ein „Kraftakt“ bezeichnet Merkel am Donnerstagmittag die Pläne ihres Wirtschaftsministers, sehr entschieden habe das Kabinett die Eckpunkte „insgesamt gebilligt“. Merkel wie Gabriel beschwören die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Ressorts. Die Botschaft lautet abermals: Wir sind eine Regierung.

Beim zweiten großen Projekt neben der Energiewende, dem Rentenpaket, macht die Große Koalition Dampf. Bereits am Mittwoch kommender Woche soll das Kabinett den Gesetzentwurf von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) beraten. Dann ist der Bundestag am Zuge. Bei der abschlagsfreien Rente nach 45 Beitragsjahren sollen nicht bis zu fünf Jahre Arbeitslosigkeit berücksichtigt werden, stellt Gabriel klar.

Dieses Thema war auch nach den Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD umstritten. Nun ist offenbar klar: Integriert werden dürfen nur die Zeiten, in denen Arbeitslosengeld I (früher: Arbeitslosengeld) bezogen worden sind. „Das ALG II ist ausgeschlossen“, sagt der SPD-Vorsitzende. Kritik an Rente mit 63 und Mütterrente, dem von Arbeitnehmern zu zahlenden Milliardensegen für die Senioren, weist er zurück. Eine „moralische Verpflichtung“ sei es, Älteren einen „fairen Lebensabend“ zu gewährleisten. Außenpolitisch fand Merkel ungewohnt drastische Worte. Harsch kritisiert sie die „sehr bedrückende Lage in der Ukraine“, die Gewalt und die fehlende Freiheit für friedliche Demonstranten. Außenminister Steinmeier hatte dem Kabinett zuvor die Situation in der Ukraine dargestellt. Sanktionen gegen Kiew seien „im Augenblick nicht das Gebot der Stunde“, sagt Merkel. Nach Zentralafrika würden „keine Kampftruppen“ entsendet, in diesem Land habe Deutschland „wenig Erfahrungen“.

Bei aller beschworenen Gemeinsamkeit: Die in diesem Jahr stattfindenden Wahlen werden Union und SPD zu inhaltlichen Abgrenzungen veranlassen. Die CSU ließ dies bereits zur Jahreswende erkennen mit ihrer Kritik an der Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa („Wer betrügt, der fliegt“). Derlei Parolen sind gemünzt auf die Kommunalwahlen in Bayern Mitte März, bei der die CSU Einbußen auf Kosten von Freien Wählern und Alternative für Deutschland (AfD) befürchtet. Bereits an diesem Sonntag, auf ihrem Europaparteitag, dürfte die SPD sich von den „Konservativen“ in der EU abgrenzen – mithin von der bisherigen Politik Angela Merkels. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) ist europaweiter Spitzenkandidat seiner Parteienfamilie bei der Europawahl am 25. Mai. Schulz würde gern Präsident der Kommission werden. Die Bürger erwarteten wohl kaum gemeinsame Wahlveranstaltungen von Union und SPD, fügt die CDU-Chefin lakonisch hinzu. Gabriel beginnt gleich mit dem Wahlkampf – aber nicht etwa gegen die CDU. Nein, er klagt über Rechtspopulisten und sagt, er wundere sich über Linke, die sich zwar auf ein aufgeklärtes Weltbild beriefen, aber doch gegen Europa wetterten.

Ganz so friedlich wird es zwischen Union und SPD nicht bleiben. Am 25. Mai, dem Tag der Europawahl, werden in zehn Ländern die Kommunalparlamente gewählt. Diese Wahlen sind Stimmungstests, unter anderem für die Landesregierungen in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Es folgen Landtagswahlen in Sachsen (31. August) sowie in Brandenburg und Thüringen am 14. September. Während die SPD Umfragen zufolge in Brandenburg vorn liegt, können die christdemokratischen Regierungschefs in Thüringen und Sachsen mit ihrer Wiederwahl rechnen.

Ein mögliches Ende der schwarz-roten Koalition in Erfurt wäre gewiss Gesprächsstoff für „Berlin“, ebenso eine Ablösung des letzten schwarz-gelben Bündnisses in Dresden durch eine schwarz-grüne Koalition. Vergleichsweise ruhig wird es dann erst im kommenden Jahr. Nach jetzigem Stand wird 2015 nur in Bremen und Hamburg gewählt. Doch natürlich will jeder in der Großen Koalition die Stimmung im Volk spüren: Unter dem Motto „Gutes Leben – Lebensqualität in Deutschland“ wird die Bundesregierung über 100 sogenannte Bürgerdialoge starten.