Energiewende, Rentenpläne, 32-Stunden-Woche für Eltern – in der Tagespolitik dominieren die Themen der sozialdemokratischen Minister

Berlin. An diesem Mittwoch und Donnerstag wird im Konrad-Adenauer-Haus und im Willy-Brandt-Haus das Gleiche getan: Fernsehen geschaut. Die Regierung trifft sich zu einer Klausurtagung im Schloss Meseberg, 60 Kilometer vor Berlin. Dabei werden Bilder entstehen, die Angela Merkel und Sigmar Gabriel in trauter Einheit gemeinsam zeigen. Die Funktionäre in den Parteizentralen von CDU und SPD werden genau hingucken: Denn sie bekamen ihre Chefs zuletzt weder gemeinsam noch einzeln, sondern fast gar nicht zu sehen. Die nach einem Skiunfall an einer schmerzhaften Beckenfraktur leidende CDU-Vorsitzende quält sich zwar fast täglich ins Kanzleramt, aber nicht mehr ins Adenauer-Haus. Die Spitzengremien der CDU werden auch in der kommenden Woche nicht zusammenkommen – sie tagen nur noch in Telefonkonferenzen.

Auch Sigmar Gabriel machte sich rar in Berlin-Kreuzberg, wo die SPD ihr Hauptquartier hat. Über einen Monat lang trat der SPD-Chef dort nicht öffentlich auf. Nachdem Gabriel Mitte Dezember die sozialdemokratischen Minister präsentiert hatte, stürzte er sich voll in die Regierungsarbeit – und seine Parteifreunde im Kabinett hielten es ebenso. Von einer „doppelten Aufgabe“ der Sozialdemokratie sprach Gabriel nun während seines ersten Auftritts im neuen Jahr am Montag. Die SPD sei „nicht nur Regierungspartei, sondern eine selbstbewusste politische Kraft“. Der Koalitionsvertrag, von Gabriel selbst maßgeblich ausgehandelt? „Wichtig. Aber unsere politischen Vorstellungen enden nicht am Koalitionsvertrag.“

In den vergangenen Wochen, seit der Vereidigung der Minister am 17. Dezember, ist zu beobachten, wie die SPD ihre „doppelte Aufgabe“ erfüllen will. Solides Regierungshandwerk möchten die sozialdemokratischen Minister beweisen. Die meisten von ihnen haben etwas vor, wollen etwas durchsetzen, sind mit ihren Themen in der Öffentlichkeit präsent. Die SPD dominiert die Regierungsarbeit, und mancher hat gar den Eindruck, die 25,7-Prozent-Partei habe sich über den Jahreswechsel zur alleinigen Macht in der Exekutive aufgeschwungen.

Nach vier Jahren in der Opposition ist das verlässliche Regieren Gabriel ein wichtiges Anliegen. Der Parteichef personifiziert diesen Anspruch durch sein eigenes Amt: Als Wirtschaftsminister will Gabriel die Energiewende meistern. Es ist ein hoher Anspruch, gepaart mit allerhand Risiken. Die Verständigung mit dem Kanzleramt – für den Vizekanzler ist sie längst eine Selbstverständlichkeit. Schnell legte Gabriel die Rolle des raubeinigen Wahlkämpfers ab. Jüngst amüsierte ihn die Frage, ob denn sein Eckpunktepapier zur Energiewende in der Regierung abgestimmt sei. „Das Bundeskanzleramt“, verkündete Gabriel feierlich, „ist unserem Vorschlag gefolgt.“ Die Regierungszentrale habe die Leitlinien des Wirtschaftsministeriums für „ziemlich gut“ befunden.

Unter noch größeren zeitlichen Druck hat sich Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) gestellt, die die Rentenbeschlüsse der Großen Koalition nun umsetzt. Mit den Milliardengeschenken für ältere Arbeitnehmer und Mütter dominiert Nahles die Sozialpolitik. Und mit dem Mindestlohngesetz steht für sie in der zweiten Jahreshälfte 2014 ein weiteres Großprojekt auf der Tagesordnung.

„Motor“ in der Regierung werde die SPD sein, sagte Fraktionschef Thomas Oppermann der „Bild“-Zeitung – und brachte damit Gabriels und Nahles’ politische Wirbelei auf den Punkt. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hält es ebenso. So erfreut viele Diplomaten im Auswärtigen Amt (AA) über Steinmeiers Rückkehr sind, so rasch macht er sich an die Arbeit. „Die haben einen Plan – und ein Drehbuch“, hieß es im AA nach Steinmeiers forscher Rede zur Amtsübernahme. Die Europapolitik will Steinmeier zurückerobern, er ist schon jetzt im Nahen Osten präsent – und prüft nun einen Einsatz deutscher Soldaten in Mali.

Justizminister Heiko Maas und Familienministerin Manuela Schwesig, die beiden Neulinge auf Bundesebene, machten sich mit Positionierungen schon einmal bekannt. Maas mit dem Hinweis, er lege den Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung „auf Eis“, solange das entsprechende Urteil des Europäischen Gerichtshofes ausstehe. Schwesig zeigte ihre Sympathie für eine 32-Stunden-Woche für Eltern – steuerfinanziert, versteht sich. Der Koalitionspartner widersprach prompt, und Regierungssprecher Steffen Seibert distanzierte sich. Als Schlager für den nächsten Wahlkampf bleibt die 32-Stunden-Woche der SPD erhalten.

Und die Union? Sie schaut den SPD-Aktivitäten erstaunlich gelassen zu. Der kleinste Koalitionspartner, die CSU, ist vor allem mit sich selbst beschäftigt. Der Parteivorsitzende Horst Seehofer initiierte eine Debatte über „Armutsmigration“, die für Aufregung sorgte, aber außer zur Einrichtung eines neuen Gremiums, einer Staatssekretärsrunde, nicht in Regierungshandeln münden wird. Seitdem schlagen sich die Bayern mit der peinlichen Doktorarbeit ihres neuen Generalsekretärs Andreas Scheuer herum. Hans-Peter Friedrich ließt als neuer Landwirtschaftsminister Sprechzettel über die Welternährung vor. Der neue Entwicklungshilfeminister Gerd Müller wirkt bis auf die Ankündigung, seinen Namensvetter, den „Bomber der Nation“, zur Mitarbeit bewegen zu wollen, bisher im Verborgenen. Einzig Seehofers Musterschüler Alexander Dobrindt sorgte für Aufsehen, als er seinen Masterplan zum Breitbandausbau vorlegte. Einen anderen Plan ist Dobrindt aber bisher schuldig geblieben: das Konzept für die Maut – das ja noch in diesem Jahr Gesetz werden soll. Sogar hier – beim Wahlkampfschlager der CSU – war die SPD schneller und legte ein eigenes Mautkonzept vor.

Noch weniger rührt sich in Merkels eigener Partei. Innenminister Thomas de Maizière wird in Meseberg Überlegungen zur Demografie präsentieren. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat mit dem ihr eigenen Mediengewitter eine neue Familienfreundlichkeit bei der Bundeswehr proklamiert, meidet aber inhaltliche Festlegungen zu den heißen Eisen: Reform der Rüstungsprojekte und Auslandseinsätze. Wie Bildungsministerin Johanna Wanka das unsinnige Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern in der Hochschulpolitik knacken will – unbekannt. Der neue Gesundheitsminister Hermann Gröhe hat sich zu den wichtigen Themen seines Ressorts (Krankenhäuser, Ärztemangel auf dem Land) noch nicht geäußert. Sein Plan, das überfällige Verbot der Sterbehilfe im Sommer mit fraktionsübergreifenden Anträgen im Parlament zu entscheiden, droht zu scheitern. Die SPD möchte das Verbot verzögern, indem sie die Debatte mit Ausschusssitzungen und Expertenanhörungen noch einmal ganz neu beginnt. Setzt sie sich durch, wird über die Sterbehilfe erst 2015 entschieden. In einer anderen Frage verweigert Gröhe selbst die Entscheidung: Ob die umstrittene „Pille danach“ künftig ohne Rezept ausgegeben wird, hat er noch nicht mitgeteilt. Finanzminister Wolfgang Schäuble stellt in Meseberg die Etatplanung vor – sonst ist er vor allem damit beschäftigt, die deutschen Vorstellungen über die Haftung für scheiternde Banken im Euro-Raum durchzusetzen.

Und Merkel? Sie verzichtet darauf, öffentliche Akzente zu setzen, und überlässt Gabriel die Bühne. Dahinter steht Kalkül: Solange die Konjunktur gut läuft, der Arbeitsmarkt gesund ist und der Geldwert stabil, können innenpolitische Probleme Merkels Reputation nicht belasten. Wirklich schaden können ihr nur ganz große Flops: Ein Scheitern der Energiewende würde in diese Kategorie fallen. Die liegt nun aber ganz bei Gabriel. Außerdem blickt Merkel auf den Terminkalender: Anders als Gabriel glaubt sie, Zeit zu haben. Wenn mit der Neujustierung der Energiewende und den Rentenreformen in einem Jahr die großen SPD-Projekte abgearbeitet sind, dauert die Legislaturperiode immer noch drei Jahre. Lang genug, um in Erinnerung zu bringen, wer wirklich die Regierung führt.