Schwarz-Grün in Hessen: Die Wahl von Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) wurde von einer peinlichen Panne um die Stimmzettel begleitet

Wiesbaden. Der Jubel in der CDU ist riesig, als im zweiten Anlauf das Ergebnis verkündet wird. Ein erleichterter Volker Bouffier fällt zuerst seinem Fraktionschef in die Arme. Dann geht der Blick hoch auf die Besuchertribüne zu Ehefrau Ursula und der zu Tränen gerührten Mutter. Der 62-Jährige ist am Sonnabend vom Landtag in Wiesbaden mit 62 von 109 Stimmen zum Chef einer schwarz-grünen Regierung in Hessen gewählt worden.

Aufgaben für das neue Bündnis gibt es viele – auch solche, an denen sich Streit entzünden könnte. Am Frankfurter Flughafen soll es leiser werden, bei Hessens üppigem Personal muss gekürzt werden. Doch Bouffier darf sich jetzt rühmen, als Erster in einem deutschen Flächenland eine schwarz-grüne Koalition anzuführen.

Den großen historischen Moment stiehlt ihm bei der konstituierenden Sitzung des neuen Landtags allerdings ein Unbekannter namens Max Mustermann. Dieser steht beim ersten Wahlgang auf mehreren Stimmzetteln anstelle von Bouffier zur Wahl – zum Beispiel beim Grünen-Abgeordneten Frank Kaufmann. Als dieser das moniert, wird ein weiterer Fehldruck entdeckt und ausgetauscht. Doch einer ist unbemerkt bereits in der Urne gelandet. Noch bevor die Wahl für ungültig erklärt wird, machen betretene Gesichter bei der Union deutlich, dass etwas Gravierendes schiefgelaufen ist.

„Unschön“ findet das anschließend Bouffiers Staatskanzlei-Chef Axel Wintermeyer. Der CDU-Minister macht keinen Hehl aus seinem Ärger über die Landtagsverwaltung, die Hessen bundesweit der Lächerlichkeit preisgibt. Diese hatte die Mustermann-Zettel einige Tage vor der Wahl den Fraktionen zur Ansicht geschickt. Am Sonnabend sind offenbar einige irrtümlich in den Stapel mit den vorbereiteten Bouffier-Zetteln gemischt worden.

Hessens Regierungschef darf sich aber über einen Trostpreis freuen. Im ersten Wahlgang haben 60 Abgeordnete für ihn gestimmt. Eine Stimme – vermutlich aus den schwarz-grünen Reihen – geht an Max Mustermann. Beim zweiten Versuch erhält Bouffier dann 62 Stimmen – eine mehr als CDU- und Grünen-Abgeordnete im Landtag haben. Es könnte also sein, dass einer aus der stark geschrumpften Sechserriege der FDP Mitgefühl mit dem alten Chef gehabt hat. Man hätte gern zusammen weiterregiert.

Dagegen wirkt Bouffiers neuer Vize, Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne), während der Wahl ernst und angespannt. „Ob das Ganze historisch ist, wird man in ein paar Jahren, vielleicht Jahrzehnten sehen“, sagt er vor der Sitzung. Der 43-Jährige betont immer wieder, die Allianz mit der CDU sei vor allem zweckorientiert. Am Ende lächelt Al-Wazir dann doch, als er erstmals neben dem Ministerpräsidenten auf der Regierungsbank Platz nimmt. Auf diesen Augenblick hat der bisherige Fraktionschef der Grünen 14 Jahre lang gewartet. „Was viele vor Wochen noch für unmöglich gehalten haben, ist heute Realität geworden“, sagt Bouffier in seiner Dankesrede nach der Wahl. Er beschwört den neuen „Geist des Gesprächs“ – in Hessen haben sich Regierung und Opposition jahrelang im Landtag heftig bekämpft.

Die neu gefundene Harmonie nutzen die fünf Parteien im Landtag am Sonnabend gleich dafür, sich im gegenseitigen Einvernehmen jeweils einen Vizepräsidenten zu sichern. Bisher waren es nur vier. Die CDU stellt mit dem 65-jährigen Norbert Kartmann außerdem noch den Präsidenten. Für dessen Wiederwahl stimmt gemäß der internen Absprache sogar die Linke.

Nur der Alterspräsident kann dieser Postenvermehrung nichts abgewinnen. „Ein Nachdenken über diesen Vorgang kann nicht schaden“, hält Horst Klee unverblümt zur Eröffnung der konstituierenden Sitzung seinen Kollegen vor. Der 74-jährige CDU-Mann ist als unabhängiger Kopf bekannt.

SPD-Fraktionschef Thorsten Schäfer-Gümbel kündigte unterdessen eine engagierte Oppositionsarbeit an, er wolle die neue schwarz-grüne Regierung in Hessen in die Pflicht nehmen. „Wir werden unseren Auftrag als Opposition sehr engagiert wahrnehmen“, sagte Schäfer-Gümbel im Anschluss an die konstituierende Sitzung des neuen Landtags am Sonnabend in Wiesbaden. „Wir werden alle Parteien an dem messen, was sie vor der Wahl gesagt haben.“ Die Rollenverteilung sei klar: „Die Grünen sind in der Regierung, die SPD ist in der Opposition.“ Alle Parteien im hessischen Landtag seien aber ein „Stück weit zusammengerückt“, fügte der SPD-Politiker hinzu. „Ich habe eine gewisse Hoffnung, dass wir anders miteinander umgehen werden.“

Der frühere FDP-Vizeministerpräsident Jörg-Uwe Hahn, jetzt nur noch einfacher Abgeordneter, sagte: „Meine Hoffnung ist, dass sie gut regieren.“ Es gebe viel Sprengkraft in der neuen Koalition.

Nach der Landtagswahl konnte in Hessen weder Schwarz-Gelb fortgesetzt werden, noch gab es eine rot-grüne Mehrheit. Alle Parteien sondierten über Lagergrenzen hinweg mögliche Bündnisse, CDU und Grüne einigten sich schließlich.

Zu Vizepräsidenten wurden Frank Lortz (CDU), Heike Habermann (SPD), Ursula Hammann (Grüne), Ulrich Wilken (Linke) und Wolfgang Greilich (FDP) gewählt. „Ein historisches Ereignis im #hlt (Hessischer Landtag) ist untergegangen: Linksfraktion wählt LT-Präsidenten von der CDU, CDU wählt Linken-Vizepräsident. #NeuerStil“, kommentierte Al-Wazir am Sonntag auf Twitter.