Anti-Spionage-Abkommen zwischen Deutschland und USA vor dem Scheitern. Washington fürchtet Präzedenzfall. Unmut im Bundestag

Berlin. Wer das Spy-Museum in Washington betritt, wird zunächst einmal darüber aufgeklärt, dass Spionage schon seit Tausenden von Jahren zum Leben von Völkern gehört. Wer mehr über seine Freunde und Feinde weiß, lebt sicherer – so lautet die Philosophie der Ausstellung. Denn der Freund von heute kann schnell der Feind von morgen sein. Einen besseren Ort, um die Probleme in den deutsch-amerikanischen Verhandlungen über ein No-Spy-Abkommen zu verstehen, gibt es nicht.

Denn die US-Regierung und die Bundesregierung bewegen sich aus zwei verschiedenen Universen aufeinander zu, und es scheint immer noch nicht klar, ob sie beim Thema Spionage wirklich zusammenkommen. Im Gegenteil berichtete die „Süddeutsche Zeitung“, dass die Verhandlungen über den Vertrag und den Spionageverzicht vor dem Scheitern stünden. Das wird in der Bundesregierung zwar als „übertrieben“ bezeichnet. Zunächst wolle man die Äußerungen von US-Präsident Barack Obama an diesem Freitag abwarten, in denen er zur Reform der wegen seiner weltweiten Datenspionage umstrittenen NSA Stellung nehmen will. Dass die Gespräche mehr als schwierig werden würden, deutete sich für die deutschen Unterhändler schon im Herbst an. Und schon seit Wochen ist klar, dass eine solche Vereinbarung – sollte sie überhaupt zustande kommen – nicht bindend sein würde. So wollen es die USA. Doch nun sieht es so aus, als ob selbst die geringsten Zugeständnisse nicht mehr schriftlich festgehalten werden könnten.

Zwar zeigt die Überprüfung der NSA-Aktivitäten, die US-Präsident Barack Obama angeordnet hatte, dass auch die amerikanische Regierung langsam zu verstehen beginnt, wie groß der Imageschaden für die Supermacht ist. Die USA werden heute weniger als Weltpolizist denn als Weltspitzel angesehen. Als die Empörung über das Abhören des Handys der Bundeskanzlerin in Deutschland hochkochte, versuchten Barack Obama und Angela Merkel die Öffentlichkeit mit der Aussicht auf ein gemeinsames Abkommen zu beruhigen, das bis Ende 2013 stehen sollte.

Aus deutscher Sicht kamen dann der Wahlkampf, die Regierungsbildung und die personellen Veränderungen im Kanzleramt. Die Opposition wittert allerdings Betrug: „Nun wird klar, dass es sich um eine Beruhigungspille für den Wahlkampf gehandelt hat“, kritisiert der außenpolitischer Sprecher der Grünen, Omid Nouripour. „Da die Bundesregierung in Washington nicht klargemacht hat, wie wichtig solch ein Abkommen ist, muss sie sich nicht wundern, dass die US-Regierung die Notwendigkeit nicht sieht.“

Jedenfalls ließ auf US-Seite mit zunehmender Beruhigung der NSA-Debatte nach Eindruck deutscher Unterhändler die Bereitschaft nach, wirklich ein solches No-Spy-Abkommen abzuschließen. Der Grund: Die US-Seite hat Angst vor einem Präzedenzfall. Sichert man den Deutschen den völligen Verzicht auf die Ausspähung der Regierung zu, wollen dies auch andere – dabei spionieren sich nach Einschätzung aus Geheimdienstkreisen selbst Briten und Amerikaner gegenseitig aus, Franzosen ohnehin.

In Berlin weist man den Vorwurf der Naivität zurück und betont, dass man sich nie Illusionen über die Spionageaktivitäten etwa von Russen und Chinesen gemacht habe. Aber der Frust und die Empörung über das Ausspähen durch Freunde ist deshalb so groß, weil man ein anderes Datenschutzverständnis hat – zumal die Deutschen feststellen müssen, dass man sich nicht einmal in der EU einig ist. Den Unterlagen des früheren NSA-Mitarbeiters Edward Snowden zufolge spionieren auch die Briten fleißig. Die Iren nutzen einen niedrigen Datenschutzstandard als Lockmittel für die Ansiedlung von US-Konzernen. Von den Amerikanern kam schon der dezente Hinweis, wo denn ein deutsch-britisches No-Spy-Abkommen bleibe. Deshalb sind seit Sommer zwei Züge aufeinander zugerast – und die Bundesregierung steckt in einer misslichen Lage, wenn Washington sich weiter zieren sollte.

Denn bisher konnte Merkel Sanktionsforderungen gegen die USA immer mit dem Hinweis auf das No-Spy-Abkommen und die gelobte Besserung der Amerikaner abbügeln. Jetzt braut sich parteiübergreifend im Bundestag neuer Unmut zusammen. „Infolgedessen wäre ich deshalb wirklich sehr enttäuscht, wenn es nicht zu diesem Abkommen käme“, warnt der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Michael Grosse-Brömer, noch zurückhaltend.

Andere Abgeordnete werden da schon deutlicher: „Wenn das Abkommen nicht kommen sollte, muss die Bundesregierung erklären, wie sie mit diesem eklatant unterschiedlichen Verständnis von Datenschutz umgehen will“, mahnt der Grüne Nouripour. „Das betrifft alle transatlantischen Vereinbarungen von Swift über die Fluggastdaten bis hin zu klassischer Spionage.“ Der innenpolitische Sprecher der Union, Stephan Mayer (CSU), droht sogar mit Folgen für US-Firmen bei Ausschreibungen in Deutschland. Auch Merkels Lieblingsprojekt, das geplante umfassende transatlantische Handelsabkommen, gerät in Gefahr. Michael Hartmann, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, fordert im Deutschlandfunk Konsequenzen. Sollten die Berichte zutreffen, müssten Deutschland und die EU ihre Position zum geplanten Freihandelsabkommen sowie zum Austausch von Fluggastdaten überdenken. „Wir sind doch nicht Nordkorea“, sagte Hartmann.

Am Ende, so meint ein hoher CDU-Politiker, könnte auch die Transatlantikerin Merkel in die Not geraten, zwischen zwei Übeln wählen zu müssen: Entweder sie steckt die Kritik ein, dass der Plan für das Abkommen wirklich nur ein Ablenkungsmanöver war. Oder sie gibt den Druck an Washington weiter. Der Eindruck einer wieder beginnenden Erwärmung zwischen den USA und Deutschland, die sich nach dem Telefonat zwischen Obama und Merkel Ende vergangene Woche breitmachte, ist jedenfalls wieder verflogen.