Dürfen verfremdete Porträts von Diktatoren wie Hitler und Stalin in einem Parlament hängen?

Potsdam. Noch vor der ersten Sitzung im Neubau des Potsdamer Landtags gibt es den ersten handfesten Krach: Die Auseinandersetzung entzündet sich an verfremdeten Porträts von Hitler, Stalin und Goebbels, die seit dem vergangenen Wochenende in den Fluren des gerade erst bezogenen Parlaments hängen. In insgesamt 112 Bildern hat der Berliner Künstler Lutz Friedel knapp 400 Jahre deutsche Geschichte aufgereiht, auch Helmut Schmidt, Franz Kafka oder Anne Frank sind neben den Diktatoren zu sehen.

„Mörder und Tyrannen haben im Landtag nichts zu suchen“, schimpft FDP-Fraktionschef Andreas Büttner. Der CDU-Abgeordnete Ingo Senftleben stört sich darüber hinaus auch an einem Bild von Hilde Benjamin, die zu DDR-Zeiten als Vorsitzende Richterin in Prozessen gegen Oppositionelle an Todesurteilen beteiligt war und daher im Volksmund „Blutige Hilde“ genannt wurde. „Eine Ausstellung zum Land Brandenburg mit seiner Kultur und seinen Landschaften wäre passender“, meint Senftleben.

Hitler im Parlament – diese Mischung stößt auch bei Opferverbänden und dem Zentralrat der Juden auf öffentliche Kritik. Der Künstler selbst ist empört über die Richtung der Diskussion: „Es ist schlicht Bosheit, mir zu unterstellen, dass ich Hitler und diese ganze braune Scheiße damit verherrlichen wolle“, sagte der 65-Jährige. Vielmehr wolle er die Betrachter der Bilder zum Nachdenken über die Geschichte anregen. Das umstrittenste Porträt der Ausstellung heißt „Selbst als Helge Schneider als Hitler“. „Das ist nicht Hitler“, betont der Künstler. „Das ist ein Porträt von Helge Schneider als Schauspieler in einem Komikerfilm über Hitler, wo auch gefragt wurde, ob man das darf.“

Senftleben will im Präsidium nun dafür kämpfen, dass die Bilder wieder abgehängt werden – doch dort beißt er bei den regierenden Sozialdemokraten und Linken auf Granit. „Ich will nicht mehr in einem Land leben, wo irgendwer bestimmt, welche Bilder aufgehängt werden und welche nicht“, sagte Gerrit Große (Linke). Susanne Melior (SPD) meinte: „Es ist unsere Geschichte, und Geschichte ist nicht teilbar. Ich wäre auch lieber Anne Frank – aber es gab auch die bösen Gestalten Hitler und Goebbels.“ Die Diskussion stehe dem Landtag gut an, sagt die Grünen-Abgeordnete Marie Luise von Halem. „Wir brauchen keine Wohlfühlausstellung mit brandenburgischen Landschaften.“

Ein Antrag der CDU, die Ausstellung wieder abzuhängen, dürfte am heutigen Mittwoch im Landtagspräsidium scheitern. SPD-Fraktionschef Klaus Ness warnte sogar vor „Bilderstürmerei“, sollten die Werke, die eigentlich ein Jahr hängen bleiben sollen, nun wieder entfernt werden.

„Wenn Kunst nicht gut ist, provoziert sie nicht“, sagte Ausstellungskuratorin Brigitte Rieger-Jähner vom Museum Junge Kunst in Frankfurt (Oder). „Ich meine, dass wir der Wahrheit ins Auge schauen müssen, der Wahrheit, dass wir alle von Mördern abstammen, dass die Tünche, das Furnier der Zivilisation sehr dünn ist“, schrieb die Professorin zu der Ausstellung. Die Werke stammen aus der Serie „Ich! Meine Selbstporträts zwischen 1635 und 2003“, für die Friedel Plakate und Bildvorlagen übermalte. Die Werke seien keine Geschichtsaufarbeitung, sondern Kunst. Am kommenden Wochenende können sich die Brandenburger selbst ein Bild von der Schau machen: Tausende Bürger können erstmals ihr neues Parlament hinter der wiedererrichteten Fassade des Stadtschlosses besichtigen.