Kanzlerin Angela Merkel inszeniert ihre Verletzung beim Skilanglauf genauso wie ihre ganze Person: minimalistisch

Berlin. Eine Kanzlerin auf Krücken – für dieses seltene Fotomotiv machten sich am Dienstagmorgen ganze Heerscharen auf in die Regierungszentrale. Selbstverständlich wusste Angela Merkel, was auf sie zukam. Dennoch sagte sie den Empfang der Sternsinger – seit Helmut Kohls Zeiten traditionell jedes Jahr der erste öffentliche Termin im Kanzleramt – nicht ab. Und so schritt sie auf zwei schwarzen Aluminium-Gehhilfen der Marke Koch zwischen eine kleine Heerschar von kleinen Königen aus dem ganzen katholischen Deutschland. Sie schritt, sie humpelte nicht. Auch verzog sie bei ihrer Ansprache keine Miene.

Business as usual, alles kein Drama, war die Botschaft. Ihr neuer Kanzleramtschef Peter Altmaier, der den Marathon von 27 Fotos mit Gruppen aus allen Diözesen für sie absolvierte, hatte den Ton vorgegeben: „Ein Missgeschick“ sei seiner Chefin passiert, sie müsse sich „ein bisschen schonen“. Merkel selbst ging nur einmal beiläufig auf ihren Unfall ein. Nach einer kurzen Ansprache wandte sie sich einem Mitarbeiter zu: „So, jetzt brauche ich noch die Krücken – Gehhilfen, wie man medizinisch-korrekt heute sagt.“ Das klang ironisch, und so sollte es auch klingen. Merkel, die deutsche Queen, ist keine Drama-Queen.

Die Meldung vom Vortag, Merkel müsse alle Termine absagen, stimmt genau genommen gar nicht. Schon am Montag ließ sie sich zu einer Telefonschaltkonferenz mit deutschen Soldaten im Auslandseinsatz verbinden. Ihren Neujahrsbesuch beim Bundespräsidenten wird sie am Mittwoch absolvieren, selbstverständlich auch die Kabinettssitzung leiten. Lediglich Reisen sind gestrichen. Nach Polen, aber auch nach Erfurt, wo die CDU am Freitag eine Vorstandsklausur abhalten wollte. Weil die Kanzlerin nicht kommt, sagte die Kanzlerinnenpartei dann gleich das ganze Treffen ab.

Details vom Unfall verbreiten Merkels Leute nur äußerst spärlich. Auf menschelnde Geschichten, gar einen Mitleidsbonus verzichtet diese Kanzlerin. Viel gibt es freilich auch nicht zu erzählen: Merkel stürzte beim Langlauf in der Loipe, dachte, sie hätte nur eine Prellung. Litt aber auch nach ihrer Rückkehr unter Schmerzen und absolvierte so auch die Aufzeichnung ihrer Neujahrsansprache. Erst am Freitag ging sie zum Röntgen, wo eine sogenannte Infraktur festgestellt wurde. Der Anbruch des oberen Beckenrings. Therapie. Ein paar Wochen lang möglichst viel liegen. Merkel lässt ihren Unfall inszenieren wie ihre ganze Person: minimalistisch. Sie ist für die immer gleichen Gesten wie die Raute bekannt. Merkel geht damit gegen den Trend – denn international setzten Staatsmänner immer öfter ihren Körper ein, um ihr Programm darzustellen.

So begann das große Wahlkampfporträt Barack Obamas in der amerikanischen „Vanity Fair“ nicht zufällig mit der Schilderung, wie der Reporter mit dem Präsidenten und seinen Freunden Basketball spielt. Wladimir Putin lud in dieser Woche den weißrussischen Autokraten und kremlnahe Industrielle zum gemeinsamen Eishockey. Darüber würde sich Merkel nie lustig machen: Russland regiere man ganz anders als Deutschland, sagte sie einmal Vertrauten, die über Putins Inszenierung als Kraftpaket witzelten. Im Umkehrschluss darf man annehmen: Das sanfte, saturierte Deutschland schätzt es, ohne den Ausdruck besonderer körperlicher Vitalität repräsentiert zu werden.

Das war vor wenigen Jahren noch anders. Merkels Vorgänger, Gerhard Schröder, etwa fand das niedliche Theater, das die Sternsinger einmal im Jahr veranstalten, für sein Kanzleramt zu bieder. Er lud deshalb 1999 noch Jugendliche vom Deutschen Fußball-Bund dazu. Neben Weihrauch, Myrrhe und Gold wurden damals auch Fußbälle vor die Kameras getragen. Und Schröder ließ es sich nicht nehmen, selbst für die Fotografen ein bisschen herumzukicken. Auch Merkel schätzt Sport – aber nur als Zuschauerin. Selbst hat sie nie viel Sport getrieben. „Ein kleiner Bewegungsidiot“ sei sie gewesen, hat sie gar vor langer Zeit einmal erzählt; wegen einer Entwicklungsstörung habe sie in ganz jungen Jahren gar Schwierigkeiten beim Laufen und Treppensteigen gehabt. Zum sportlichen Wettkampf fand die sonst Leistungsbesessene nie – sie glänzte bei der „Matheolympiade“ oder bei Russisch-Wettbewerben. Nicht aber bei Turnen und Leichtathletik, die im DDR-Schulsystem eine viel größere Rolle spielten als in Westdeutschland.

In Merkels Umgebung wird durchaus Wert auf körperliche Ertüchtigung gelegt. So kann man etwa bei den Reisen der Kanzlerin zu den Vereinten Nationen beobachten, wie sich wichtige Mitarbeiter wie ihr außenpolitischer Chefberater Christoph Heusgen sehr früh zum Joggen durch den Central Park aufmachen. Auch Merkels zweiter Kanzleramtschef Ronald Pofalla lief nachts durch den nahe dem Kanzleramt gelegenen Tiergarten. Eine gemeinsame Lauftour – wie sie etwa der ehemalige Vizekanzler Philipp Rösler bei seinem letzten Kalifornien-Besuch mit Mitarbeitern und Journalisten unternahm – wäre bei Merkel auch in jüngeren Jahren unvorstellbar gewesen.

Wenn Angela Merkel Sport macht, lässt sie es langsam angehen. Im Sommer beim Bergwandern in Südtirol oder eben beim Langlauf in der Schweiz, wo jetzt „das Missgeschick“ passiert ist. Das sind eher intensive Naturerlebnisse als „höher, schneller, weiter“.