Der SPD-Chef und Minister prangert die bisherige „Anarchie“ auf dem Gebiet an und verspricht einen Neustart

Berlin. Alle machen mit, aber keiner weiß wohin – kurz und prägnant umschreibt Sigmar Gabriel so das bisherige Management der Energiewende. Das „größte Problem“ der schwarz-roten Regierung sei das, sagt der SPD-Chef. Mit seiner Entscheidung, das Wirtschafts- und Energieministerium in der Großen Koalition zu übernehmen, ist es auch Gabriels größtes Problem. Er hat damit die Verantwortung für den erfolgreichen Umbau des Energiesystems der größten Volkswirtschaft in der Europäischen Union übernommen. Gelingt ihm die Energiewende, dann – so Gabriel –„werden wir einen großen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Ländern in Europa haben“.

Statt der bisherigen „Anarchie“ in der Energiepolitik plant Gabriel nun den Neustart. Da gibt es eine Menge zu tun. Zunächst ist da das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das dringend reformiert werden muss. Mit dem rasanten Aufbau von Sonnenkollektoren und Windrädern in Deutschland sind die Subventionen für die erneuerbaren Energien ebenso rasant gestiegen – und damit auch die Belastung der Verbraucher, denn die Subventionen müssen alle Stromkunden über eine Umlage tragen. Um den Anstieg der Strompreise zu dämpfen, werde er rasch Eckpunkte für für eine EEG-Reform vorlegen, kündigt Gabriel an. Viel Zeit hat er nicht: Im Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und SPD vereinbart, die Reform bis Ostern vorzulegen. An „Anarchie“ und Zeitdruck in der Energiepolitik ist die SPD allerdings nicht ganz unschuldig.

„Wir könnten bei der Reform des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes viel weiter sein“, sagt Unionsfraktionsvize Michael Fuchs. Die SPD habe viele gute Vorschläge – darunter die Strompreisbremse vom damaligen Umweltminister Peter Altmaier – abgelehnt.

Fuchs vermisst „sinnvolle Vorschläge, wie wir hier jetzt endlich weiterkommen“. Aber immerhin habe Sigmar Gabriel erkannt, dass es schnell gehen muss. „Sonst explodieren die Kosten durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz weiter“, warnt Fuchs. Wie die Reform konkret aussehen soll, ist noch nicht klar. Nur so viel steht fest: Die bisherigen Subventionsempfänger sollen verschont bleiben. Die Koalitionäre haben sich vorgenommen, einen Zielkorridor für den Ausbau der Erneuerbaren gesetzlich festzulegen. Jährlich soll der Ausbau überprüft werden – auch auf die Bezahlbarkeit hin.

Der Empfehlung des Wirtschaftsweisen Christoph Schmidt, „einmal durchzuschnaufen und die Förderung nach dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz zum 1. Januar zu stoppen“, dürfte Gabriel kaum folgen. Wahrscheinlicher ist eine zaghafte Reduzierung der Fördersätze und eine Entlastung der Verbraucher über eine Reduzierung der Stromsteuer, wie sie der mächtige Chef der IG Metall, Detlef Wetzel, fordert.

Alleine eine Reform des EEG wird aber nicht reichen. Den Industriegewerkschaften Metall und Bergbau, Chemie, Energie (BCE) geht es vor allem darum, die Ausnahmen für die Unternehmen zu erhalten, die viel Strom verbrauchen. Sie ziehen mit der Industrie und den Arbeitgebern an einem Strang.

Auch hier drängt die Zeit. Die EU-Kommission prüft, ob die Ausnahmeregelungen wettbewerbswidrige Beihilfen sind. „Als Erstes muss die neue Bundesregierung sicherstellen, dass die energieintensiven Betriebe nicht durch die Kosten der Energiewende überfordert werden“, verlangt IGBCE-Chef Michael Vassiliadis. Darum müsse die energieintensive Industrie von der Umlage befreit bleiben. Ohne diesen „Nachteilsausgleich“ wäre eine energieintensive Produktion in Deutschland kaum möglich. „Das muss man der EU-Kommission erklären“, sagt Vassiliadis.

Deutlicher wird IG-Metall-Chef Wetzel: Der „widersinnige Vorstoß aus Brüssel, die Befreiung von der Ökostromumlage zu kippen“, müsse gestoppt werden. Dem dadurch drohenden Ende der Stahl-, Aluminium- und chemischen Industrie könne die Regierung durch eine „notwendige Konzentration der Ausnahmen auf besonders energieintensive Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, entgegentreten“. Die deutsche Industrie brauche Planungssicherheit. Sonst wären 200.000 Arbeitsplätze bedroht, warnt Wetzel. Diese Gefahr sieht auch der neue Superminister: „Es darf nicht sein, dass die Energiewende die deutsche Industrie nachhaltig schädigt“, versichert Gabriel.

Die dritte Herausforderung für Gabriel: die Energiewende gegen technische und bürokratische Hemmnisse voranzubringen: Es geht um den Netzausbau quer durch 16 Bundesländer. Und es geht darum, Energiereserven zu sichern, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. An kalten Tagen, bei Flaute und Hochnebel liegt die Wind- und Solarstromproduktion darnieder. Gelingt es nicht, die sichere Versorgung zu stabilisieren, drohen Blackouts. Noch fehlen die Stromspeicher, die Solar- und Windstrom für Flautezeiten aufbewahren könnten.