Das meiste Geld sammeln Hilfsorganisationen kurz vor dem Weihnachtsfest. Das Deutsche Zentralinstitut für soziale Fragen informiert bundesweit über die Seriosität von Spendenorganisationen.

Und da war er, alle Jahre wieder. Pünktlich wie der Nikolaus. Dieser freundliche Mann mit der Spendendose in der einen Hand, dem Mitgliederantrag in der anderen. Er stand in der Haustür der alten Dame und bat um Einlass. Dann um ein offenes Ohr. Dann um ein paar Euro. Und schließlich um eine Unterschrift. Er sprach von Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit. Davon, dass Weihnachten die Zeit des Gebens und Teilens sei. Ein Anlass, um nicht nur das Herz zu öffnen, sondern auch den Geldbeutel. Die alte Dame zog einen Schein heraus. Ob ihre Spende wirklich angekommen ist, hat sie nie hinterfragt.

In keiner Zeit des Jahres spenden die Menschen so viel wie in der Zeit vor Weihnachten. Im Radio, Fernsehen und in Zeitungen – überall wird zu Spenden aufgerufen. Und die Deutschen geben wie nie zuvor. Bei der großen „Ein Herz für Kinder“-Spendengala von „Bild“ und ZDF kamen am vergangenen Wochenende 16.386.291 Euro zusammen. Eine Rekordsumme. 2012 lag das Geldspendenvolumen bei etwa sechs Milliarden Euro. 2013 hat es sich um mindestens 200 Millionen Euro erhöht. Grund sind die Sonderspenden für die Flutopfer im Juni in Deutschland und die vom Taifun betroffenen Menschen auf den Philippinen im November. Bis zum Nikolaustag waren für die Taifunopfer 104 Millionen Euro Geldspenden aus Deutschland zusammengekommen.

Es sind gewaltige Zahlen, die Burkhard Wilke zusammengetragen hat. Wilke ist Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen (DZI). Die Einrichtung mit Sitz in Berlin sammelt und dokumentiert seit mehr als 100 Jahren Informationen über die soziale Arbeit in Deutschland. Darüber hinaus widmet sich die Spendenberatung dem praktischen Verbraucherschutz. Sie informiert die Öffentlichkeit über die Seriosität von Spendenorganisationen und warnt vor unlauteren Praktiken. Und sie vergibt das DZI Spenden-Siegel an vertrauenswürdige Organisationen. Es ist das wichtigste Qualitätszeichen im deutschen Spendenwesen. Es schafft Vertrauen.

Vertrauen, das ist die Währung, von der die Spendenindustrie lebt. Die Spender setzen darauf, dass ihr Geld wirklich dafür eingesetzt wird, wofür sie es gespendet haben. Bei insgesamt rund 600.000 gemeinnützigen Vereinen und etwa 20.000 Stiftungen, die sich alle über Spenden freuen, ist es schier unmöglich, den Überblick zu behalten. Staatliche Kontrolle gibt es so gut wie nicht. „So ist zum Beispiel das bekannte Kürzel ‚e.V.‘ (beim Amtsgericht eingetragener Verein) nur an wenige formale, rechtliche Voraussetzungen geknüpft und darf nicht als Qualitätszeichen missverstanden werden“, sagt Burkhard Wilke. „Stiftungen bürgerlichen Rechts werden bei der jeweiligen Landesstiftungsbehörde registriert und von dieser insbesondere hinsichtlich der Erhaltung des Stiftungsvermögens und der Satzungsmäßigkeit der Ausgaben beaufsichtigt. Insofern unterliegen Stiftungen bürgerlichen Rechts einer etwas stärkeren staatlichen Kontrolle.“ Dennoch sei Vorsicht geboten, warnt Wilke. Auch GmbHs, Vereine oder sogar Aktiengesellschaften dürften sich „Stiftung“ nennen, denn dieser Begriff sei leider nicht für die besondere Rechtsform der Stiftung privaten Rechts reserviert. Und auch der Status der steuerlich anerkannten Gemeinnützigkeit bedeute lediglich, dass das örtliche Finanzamt etwa alle drei Jahre anhand der Satzung und der Rechnungslegung kontrolliere, ob die formalen Voraussetzungen der Steuerbegünstigung gegeben seien. „Eine detaillierte Prüfung der Vertrauenswürdigkeit ist mit der Gemeinnützigkeitsprüfung aber nicht verbunden.“ Die früher in allen Bundesländern vorhandene staatliche Sammlungsaufsicht gibt es nur noch in Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Thüringen. In den übrigen Ländern wurden die Sammlungsgesetze seit 1998 mit dem Argument des „Bürokratieabbaus“ sukzessive aufgehoben. Und das, obwohl die Erfolge der Aufsicht deutlich sind. Allein in Rheinland-Pfalz hat diese seit 2004 jährlich durchschnittlich etwa zehn bis 15 Sammlungsverbote gegen Organisationen oder Unternehmen verhängt.

Bleibt also nur das DZI, dessen Spendensiegel belegt, dass eine Organisation mit den ihr anvertrauten Geldern sorgfältig und verantwortungsvoll umgeht. Das Siegel dient als Vertrauensbrücke zu Hilfswerken, die Spender nicht aus eigener Erfahrung heraus beurteilen können. Derzeit tragen 246 Organisationen mit einem gemeinsamen jährlichen Geldspendenvolumen von 1,2 Milliarden Euro das Siegel. Die Organisationen verpflichten sich freiwillig, die Spenden-Siegel-Standards zu erfüllen. Bei den jährlichen Überprüfungen müssen sie unter Beweis stellen, dass sie wirkungsvoll und transparent arbeiten, sparsam wirtschaften, zutreffend informieren und unangemessenen Druck in der Spendenwerbung unterlassen. Außerdem müssen sie über wirksame Kontroll- und Aufsichtsstrukturen verfügen.

Wie wichtig ein solches Kontrollorgan ist, zeigen Beispiele wie das von Wolfgang U., der für den bisher größten Spendenskandal der Republik verantwortlich ist. In den 90er-Jahren war er Chef des Deutschen Tierhilfswerks (DTHW), das gemeinsam mit seiner Schwesterorganisation, dem Europäischen Tierhilfswerk (ETHW), allein von 1994 bis 1999 rund 200 Millionen Mark, gut 102 Millionen Euro, einsammelte. Angeblich, um Tieren zu helfen. Doch geholfen hat U. vor allem sich selbst. Mindestens 70 Millionen Mark, knapp 36 Millionen Euro, zweigte er in dieser Zeit für sich ab. In den eigentlichen Vereinszweck, den Tierschutz, flossen lediglich sieben Prozent der Spenden. 2003 wurde U. zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Drei Jahre später aber kam er bereits aus dem Gefängnis raus. Das war 2006. Pikant ist, dass sich das DTHW im gleichen Jahr umbenannte. Es heißt jetzt „Aktion Tier – Menschen für Tiere e.V.“ und ist noch immer aktiv. Und zweifelhaft. Eine Organisation, von deren Unterstützung das DZI dringend warnt.

Insgesamt führt das DZI auf seiner Website derzeit rund 30 Organisationen namentlich auf, von deren Förderung ausdrücklich abgeraten wird. Zu den nicht förderungswürdigen Einrichtungen gehören unter anderem auch der Bund Deutscher Tierfreunde e.V., das Förderwerk für Kinder weltweit e.V., Hilfe für behinderte Menschen e.V., die International Childrens’s Fund gGmbH, der Verein Quo Vadis Vereinte Jugend- und Altenhilfe und die Sir Peter Ustinov Stiftung.

Wie kann man sicher spenden? Burkhard Wilke hört diese Frage oft. Die Antwort kann der DZI-Geschäftsführer aus dem Ärmel schütteln. „Spenden sollte man mit Herz und mit Verstand, also nicht nur aus dem Bauch heraus“, so sein Rat. „Am besten überlegt man sich zunächst, welchem Spendenthema man sich besonders nahe fühlt. Das kann die Entwicklungshilfe oder die Nothilfe sein, wie aktuell zum Bespiel für die Taifunopfer auf den Philippinen. Auch in den Bereichen Kultur, Umwelt-, Tier- oder Naturschutz kann ich mit Spenden viel Gutes bewirken. Dann sollte man sich nicht verzetteln und das ‚Gießkannenprinzip‘ meiden. Wenn ich die Spende auf eine oder auf ganz wenige Organisationen konzentriere, minimiere ich die entstehenden Verwaltungskosten und kann außerdem auch viel leichter die Seriosität im Blick behalten.“ Es sei viel besser, 100Euro an eine einzige Organisation zu spenden als jeweils zehn Euro an zehn verschiedene Einrichtungen. Denn jede Spende löse einen Verwaltungsaufwand und meistens auch wieder zukünftige Spendenaufrufe aus. Beides multipliziere sich, je mehr verschiedene Organisationen man unterstütze, so Wilke.

Damit die Spenden künftig mehr in die Sache und weniger in die Verwaltung fließen, hat das DZI seine Kriterien für das Spenden-Siegel verschärft. So dürfen Organisationen, die das Siegel tragen, ab 2014 unter anderem nicht mehr als 30 Prozent der Spenden für Werbung und Verwaltung ausgeben. Das wären bei 200 Euro – so hoch war der Durchschnittsbetrag je Spender im Jahr 2010 – 60 Euro.

Und die Höhe der Spenden nimmt weiter zu. Laut der weltweiten Studie „World Giving Index“ ist die Spenderquote in Deutschland von 2011 auf 2012 gestiegen: von zunächst 43 Prozent der Bevölkerung auf 47 Prozent im Jahr 2012.

Wohin die Milliarden genau fließen, kann keiner so genau sagen. Gesetzlich gibt es hier keinerlei Vorgaben. „Aber gerade deshalb ist den Spendern zu empfehlen, nur solche Organisationen in die engere Wahl zu nehmen, die freiwillig detailliert über ihre Programme, deren Wirkungen und die Finanzen berichten“, sagt Wilke, der mit Wohlwollen erlebt, wie durch das Internet die Transparenz im Spendenwesen zwangsläufig wächst. „2012 wurden rund 300.000 Einzelporträts der DZI-Spenderberatung kostenlos online abgerufen“, sagt er. „Vorher verschickten wir jährlich gerade einmal 2000 dieser Einzelauskünfte.“

Wie die Organisationen letztendlich zu Geld kommen, bleibt ihnen selbst überlassen. Hätte Wilke der alten Dame an der Haustür jedoch einen Tipp geben können, so hätte er ihr von einer spontanen Spende an den Mann mit der Spendenbüchse abgeraten. Weil bei solchen Aktionen keine anderen Personen – also Zeugen – zugegen seien. „Und es damit ein deutlich höheres Risiko gibt, auf unwahre Werbeargumente oder psychologische Werbetricks hereinzufallen.“

Weitere Infos: www.dzi.de und www.spendenrat.de