Er gilt als Profilierungskünstler und Allround-Manager der SPD: Thomas Oppermann löst Frank-Walter Steinmeier ab

Berlin. An Kurt Schumacher, Helmut Schmidt und Herbert Wehner kommt kein SPD-Abgeordneter vorbei. Für Hans-Jochen Vogel und Peter Struck gilt das ebenso: Große Porträtfotos erinnern auf dem Weg zum SPD-Fraktionssaal im Reichstag an jene bedeutenden Männer, die einst die sozialdemokratischen Abgeordneten geführt haben. Bald wird auch Frank-Walter Steinmeier hier wachen – am Montag wurde der designierte Außenminister an der Spitze der SPD-Fraktion abgelöst. Sein Nachfolger ist Thomas Oppermann. Er hatte keinen Gegenkandidaten und wurde in geheimer Abstimmung mit 90,8 Prozent der Stimmen zum neuen Fraktionschef gewählt.

Sehr gerne wäre Oppermann Minister geworden, etwa im Innenressort

Oppermann steht damit vor dem größten Karrieresprung seines Lebens, wenngleich der Fraktionsvorsitz nicht das Ziel seiner Träume war. Der 59-jährige, recht jugendlich wirkende Niedersachse wäre sehr gern Minister geworden, etwa im Innenressort. Einen Hehl aus seinen exekutiven Ambitionen hat er, anders als Steinmeier, nie gemacht. Man könnte auch sagen: Oppermann agierte offener und auch ein wenig ehrlicher als Steinmeier.

Sigmar Gabriel musste also Argumente liefern, um Oppermann zu überzeugen, an die Spitze der 193 SPD-Abgeordneten zu treten. Der SPD-Chef schätzt den begabten Oppermann, der sowohl drauflosholzen als auch ganz seriös den Staatsmann geben kann. Diese rhetorischen Fertigkeiten brachten ihm in den vergangenen Jahren den Titel des „echten“ oder „geschäftsführenden SPD-Generalsekretärs“ ein. Während die Amtsinhaberin Andrea Nahles allerlei Schwächen zeigte, ließ Oppermann keine Gelegenheit aus, sich zu profilieren. An Flexibilität hat es Oppermann noch nie gemangelt, seine Kritiker sprechen von Beliebigkeit – oder Opportunismus. „In Oppermanns Augen sehe ich öfter einen Mephisto“, sagt ein SPD-Abgeordneter, der nicht genannt werden will. „Er findet sich selbst schon sehr, sehr gut“, meint ein anderer. Sein eigentliches Amt als Erster Parlamentarischer Geschäftsführer (PGF) der SPD-Fraktion füllte Oppermann mehr als nur aus. Er gewann, nicht zuletzt dank seines Pressesprechers, zunehmend an Profil.

Sechs Jahre lang war er in dieser Managerfunktion tätig, er hatte 2007 Olaf Scholz beerbt, der in der damaligen Großen Koalition Arbeitsminister wurde. In der Opposition zu wirken, das hatten die wenigsten dem Exekutivpolitiker Oppermann zugetraut. Doch erst nach der Niederlage von 2009 fuhr er zu wirklich großer Form auf.

Bei dem Frühstück, zu dem Oppermann an jedem Mittwochmorgen in den Parlamentswochen einlud, präsentierte er den Medienvertretern eine Mischung aus Kabarett und Volkshochschule. An seiner Formulierungskunst kann sich der studierte Jurist und beurlaubte Richter zuweilen selbst berauschen. Ein Platz in der „Tagesschau“ und ein Sessel in allerlei Talkshows sind ihm daher stets sicher. In den vergangenen Monaten konnte er längst nicht allen TV-Anfragen folgen.

So hat es Oppermann denn auch nie an Neidern in der SPD-Fraktion gefehlt. Arrogant geriere sich der sogenannte PGF, war immer wieder zu hören. Das Problem: Als Fraktionsvorsitzender muss er nun mit all diesen Abgeordneten auskommen, er darf sie nicht nur kommandieren, sondern hat noch mehr zu koordinieren und zu kooperieren. Die zuweilen banalen Bedürfnisse von Arbeits- oder Landesgruppen wird sich Oppermann zumindest anhören müssen. Die stoische Gelassenheit seines Vorgängers Steinmeier wird ihm dabei gewiss fehlen.

Dogmatismus war diesem Mann immer ein Gräuel

Wie Gabriel und Steinmeier begann Oppermann seine politische Karriere in Niedersachsen, einem Kernland der SPD. Seit 1989 führt er den traditionell linken SPD-Unterbezirk Göttingen. Im Jahr darauf wurde er, wie Gabriel, in den Landtag gewählt. Es war die große Zeit Gerhard Schröders, in Niedersachsen herrschte politischer Aufbruch. Die SPD versammelte viele Talente. Von 1998 bis 2003 war Oppermann Wissenschafts- und Kultusminister. Die Idee der Stiftungs-Universität setzte er um, gegen den Mainstream seiner Partei befürwortete er Studiengebühren.

Im politisch aufregenden Biotop Göttingen hatte Oppermann studiert. Mit Jürgen Trittin („Kommunistischer Bund“) saß er im Studentenparlament, mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil (SPD) gründete der 78er Oppermann die „Basisgruppe Jura“, eine pragmatisch ausgerichtete linke Initiative. „Freiheit oder Sozialismus“ plakatierte die CDU/CSU im Bundestagswahlkampf 1980. „Wir hielten dagegen: Freiheit und Sozialismus“, erinnert sich Oppermann. Im Herbst 1980, mit 26 Jahren und damit verhältnismäßig spät, trat er der SPD bei. Politisch sozialisiert worden war Oppermann zuvor in den USA: Seinen Zivildienst hatte er für Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste in Washington und New York absolviert. Dogmatismus war diesem Mann immer ein Gräuel. Der Erfolg war ihm wichtiger. Nach sieben Semestern meldete er sich zum ersten juristischen Examen.

Im Gegensatz zu Parteichef Gabriel sind Oppermann in den vergangenen Jahren keine schweren Fehler unterlaufen. In jüngster Zeit trat er vor allem durch seine Arbeit als Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKG) öffentlich in Erscheinung. Immer wieder prangerte er das Agieren der schwarz-gelben Regierung an, der er in der NSA-Spähaffäre eine systematische Verschleierungstaktik vorwarf. Als Fraktionschef wird Oppermann eine wichtige Stütze der Großen Koalition sein. Mit der übergroßen Mehrheit der Koalition im Parlament muss Oppermann die Eigenständigkeit der SPD-Fraktion herausstellen. Er dürfte die Fraktion jedenfalls vitaler als unter Steinmeier erscheinen lassen.