Die Mitglieder der SPD haben mit über 75 Prozent für eine Große Koalition mit der Union gestimmt. Die Opposition befürchtet eine Legislatur des Stillstands.

Berlin. Es ist ein klares Bekenntnis der Parteibasis: Die Mitglieder der SPD votieren mit über 75 Prozent für eine Große Koalition mit der Union. Rund 400 Helfer hatten die Stimmen seit vergangener Nacht in Berlin-Kreuzberg unter notarieller Aufsicht ausgezählt. Der Parteichef geht bestärkt aus dem Votum hervor. Wochenlang hatte Sigmar Gabriel bei zahlreichen Regionalkonferenzen für das Bündnis geworben.

Verfolgen Sie hier die aktuellen Ereignisse:

Neues Ressort für Verkehr und Digitale Infrastruktur

Der Ressortzuschnitt in der neuen schwarz-roten Bundesregierung steht fest. Die CDU stellt neben der Kanzlerin den Kanzleramtsminister und besetzt fünf Ministerien, die SPD bekommt sechs Ressorts, die CSU drei. Das teilten die drei Parteien am Samstagabend in Berlin und München mit. Neu ist ein Ministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur, das an die CSU geht, sowie ein neu zugeschnittenes Ressort für Justiz und Verbraucherschutz, das die SPD besetzt. Zudem wird die SPD ein neu zugeschnittenes Wirtschaft- und Energieministerium bekommen.

Die CDU bekommt das Innen-, das Finanz-, das Verteidigungs-, das Gesundheits- sowie das Bildungs- und Forschungsministerium. Der Baubereich mit dem wichtigen Teil der Gebäudesanierung wird aus dem Verkehrsministerium herausgelöst und geht in das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

Dieses besetzt auch die SPD. Somit wird der Energiewendekomplex auf Wirtschaft/Energie und Umwelt konzentriert. Die SPD besetzt zusätzlich das Auswärtige Amt, das Arbeits- und Sozialministerium, und das Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Die CSU bekommt neben dem Ministerium für Verkehr und Digitales das Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft sowie das Ministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Kritik von der Opposition: Legislatur des Stillstands

Linken-Vorsitzenden Katja Kipping erklärte, sie habe großen Respekt vor allen SPD-Mitgliedern, die dem großen Druck der Parteiführung standgehalten hätten. Mit diese Votum besiegle die SPD einen Koalitionsvertrag, „der ein offener Verrat des SPD-Wahlprogramms ist und mit ungedeckten Schecks über 23 Milliarden Euro geschlossen wird“.

Kritik kommt auch von den Grünen: Die fast 76-prozentige Zustimmung beim SPD-Mitgliederentscheid sei ein „wichtiges Signal“ für den Gang der Sozialdemokraten in eine „schwierige Koalition“, sagte die Bundesvorsitzende Simone Peter der dpa. Dennoch erwarte sie „nichts Gutes“ von dem Bündnis. „Wir erwarten eine Legislatur des Stillstands und der Trippelschrittchen, aber keine auf die Zukunft gerichtete Politik.“

Peter kritisierte, dass die SPD auf das wichtige Finanzministerium verzichtet habe, und das Umweltministerium durch die Übernahme der Verantwortung der Energiewende durch das Wirtschaftsministerium „gerupft“ werde.

Jubel bei der SPD

Jubel hingegen bei den Sozialdemokraten: Die SPD-Basis stimmte dem Bündnis mit der Union mit großer Mehrheit zu. 75,96 Prozent der Parteimitglieder votierten mit Ja, wie Schatzmeisterin Barbara Hendricks mitteilte. „Ich war lange nicht mehr so stolz, Sozialdemokrat zu sein, wie in diesen Wochen und Monaten“, sagte Parteichef Sigmar Gabriel.

Insgesamt votierten 256.643 Frauen und Männer mit Ja, 80.921 sagten Nein. Insgesamt 31.800 Wahlzettel konnten wegen Formfehlern nicht berücksichtigt werden. Mit 369.680 Frauen und Männern haben sich fast 78 Prozent der 474.820 stimmberechtigten Sozialdemokraten an der bisher einmaligen Mitgliederbefragung beteiligt, sagte SPD-Schatzmeisterin Hendricks.

Die SPD soll in der großen Koalition sechs Ministerien bekommen. Gabriel soll Wirtschaft und Energie übernehmen, Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier das Außenministerium, Schatzmeisterin Barbara Hendricks Umwelt, Generalsekretärin Andrea Nahles Arbeit/Soziales, SPD-Vize Manuela Schwesig Familie und der saarländische Wirtschaftsminister Heiko Mass das Justizministerium.

„Ein Fest innerparteilicher Demokratie“

SPD-Chef Sigmar Gabriel hat das Mitgliedervotum zur großen Koalition als wegweisend für alle Parteien bezeichnet. Dieser Tag werde nicht nur in die Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, sondern in die Geschichte Deutschlands eingehen, sagte Gabriel am Sonnabend in Berlin bei der Bekanntgabe, dass die SPD-Basis mit großer Mehrheit Ja zum schwarz-roten Koalitionsvertrag gesagt hat. „Es war ein Fest innerparteilicher Demokratie“, rief er jubelnden SPD-Anhängern zu. Die SPD habe einen neuen Standard gesetzt. Menschen träten Parteien bei, wenn sie zu den entscheidenden Themen befragt würden.

SPD-Landeschef Nils Schmid hat das Mitgliedervotum seiner Partei zur großen Koalition im Bund als „wegweisend“ bezeichnet. Es zeige aber auch, „dass diese Koalition keine Liebesheirat ist, sondern ein Zweckbündnis auf Zeit“, sagte Schmid am Sonnabend in Stuttgart. Der Vertrag trage die Handschrift der SPD – „sonst hätte es trotz aller grundsätzlichen Vorbehalte gegen eine große Koalition nicht dieses klare Basisvotum gegeben“.

SPD-Vize Scholz: Votum stärkt gesamte Partei

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz hat das klare Votum der SPD-Mitglieder für eine gemeinsame Regierung mit der Union als Erfolg gewertet. Das Ergebnis zeige, dass die überwiegende Mehrheit der SPD-Mitglieder den Koalitionsvertrag als gutes Verhandlungsergebnis werte, erklärte der SPD-Vize. Dies sei ein wichtiges Signal, das die Arbeit der SPD in der Koalition unterstütze und die gesamte Partei stärke.

Merkel gratuliert Gabriel

Auch die CDU hat den erfolgreichen Mitgliederentscheid der SPD über die große Koalition begrüßt. CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel habe dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel zur Beteiligung und zum Ergebnis des Mitgliederentscheids gratuliert, teilte die CDU mit. Merkel freue sich auf die Zusammenarbeit in der großen Koalition.

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe erklärte: „Wir freuen uns, dass nun die gemeinsame Regierungsarbeit zügig beginnen kann.“ Der gemeinsame Koalitionsvertrag sei „ein gutes Fundament, um dafür zu arbeiten, dass unser Land erfolgreich bleibt und es den Menschen in vier Jahren noch besser geht“.

„BamS“ und „SZ“: Von der Leyen wird Verteidigungsministerin

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) soll neuen Medienberichten zufolge Verteidigungsministerin werden. Die „Bild am Sonntag“ und die „Süddeutsche Zeitung“ berichteten ohne Angaben von Quellen, von der Leyen löse Minister Thomas de Maizière (CDU) im Amt ab und werde erste Frau an der Spitze des Verteidigungsressorts. Kurz zuvor hatte die „Bild“ berichtet, von der Leyen werde Innenministerin. Im Gespräch war sie zuletzt auch als mögliche Bundesgesundheitsministerin. Neu ins Kabinett einziehen könnte nach Informationen von „Focus“ und „Spiegel Online“ CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Er soll demnach Gesundheitsminister werden.

Eine Bestätigung für die Berichte gab es zunächst weiter nicht. In Regierungskreisen wurde zur Vorsicht angesichts der vielfältigen Personalspekulationen gemahnt. Die CDU will ihre Ministernamen offiziell erst am Sonntag nennen.

Heiko Maas soll Bundesjustizminister werden

Er ist die große Überraschung auf der Kabinettsliste der SPD. Der Saarländer Heiko Maas soll übereinstimmenden Berichten zufolge Bundesjustizminister in der großen Koalition werden. Der 47-Jährige ist bundesweit wenig bekannt, in seiner Partei aber gut vernetzt. Zudem kennt er sich aus mit großen Koalitionen: Im Saarland regiert er als Vize-Ministerpräsident zusammen mit der CDU.

Für den Familienvater dürfte der Wechsel in die Bundespolitik eine Genugtuung sein: Dreimal schon war er angetreten, Ministerpräsident des Saarlands zu werden. Und dreimal scheiterte er. Aufgegeben hat er jedoch nie. Zuletzt war der SPD-Politiker wieder eher oben angekommen: Als Juniorpartner von Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) führte er die Sozialdemokraten an die Regierung des kleinen Bundeslands, er selbst arbeitet bislang als Minister für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Energie in Saarbrücken. Dass er als Parteilinker Teil einer funktionierenden großen Koalition ist, dürfte seinen Rat auch in dem geplanten schwarz-roten Bündnis in Berlin wertvoll machen.

Pofallas Paukenschlag: Raus aus Merkels Machtzentrum

Damit hat keiner gerechnet. Einer der engsten Vertrauten von Angela Merkel verlässt das politische Machtzentrum. Heftig war spekuliert worden, was Kanzleramtsminister Ronald Pofalla denn künftig auf der großen Bühne machen würde – als Belohnung für jahrelanges hartes, auch gnadenloses Arbeiten ohne Privatleben. Und nun geht er. Nicht ins Kabinett, sondern raus aus der Schaltzentrale, die die Geschicke dieses Landes lenkt. Nach einer Auszeit will der 54-jährige CDU-Mann in die Wirtschaft wechseln. Sein Bundestagsmandat will er behalten. Seit 1990 gehört er dem Parlament an.

Als Wirtschafts- oder Arbeitsminister wurde Pofalla gehandelt. Sogar als Innenminister, obwohl er als Zuständiger für die deutschen Nachrichtendienste in der Aufarbeitung der Affäre um den US-Geheimdienst NSA keine rühmliche Rolle spielte. Zu früh hatte er den Skandal für beendet erklärt. Danach wurde bekannt, dass selbst das Mobiltelefon der Bundeskanzlerin abgehört wurde.

Verteilung der SPD-Ministerposten sickerte durch

Noch vor der Auszählung des Votums sickerte die Verteilung der SPD-Ministerposten durch. Dabei hatten die Sozialdemokraten stets darauf gedrungen, mit Blick auf die Mitglieder die Bekanntgabe der Postenverteilung auf die Zeit nach dem offiziellen Ergebnis zu verschieben. Inhalte seien entscheidend, nicht Posten, hatte die Führung stets betont. In SPD-Kreisen wurde das Durchsickern der Ressortbesetzungen als unglücklich bezeichnet.

Die SPD hatte am 22. September nur 25,7 Prozent erreicht, die Union 41,5 Prozent. CDU/CSU fehlen aber fünf Sitze zur absoluten Mehrheit. Viele SPD-Mitglieder waren skeptisch gegenüber dem Bündnis mit der Union. Um zu verhindern, dass die Partei zerreißt, hatte Gabriel das Mitgliedervotum über den Ende November vorläufig unterzeichneten Koalitionsvertrag vorgeschlagen. Endgültig soll der Vertrag an diesem Montag unterschrieben werden.

Mit Material von dpa