Bayern plante kommentierte Ausgabe von Hitlers Hetzschrift. Ministerpräsident verhindert das

München. „Es gibt nichts, wovor man in ,Mein Kampf‘ Angst haben müsste. Deutschland hat eine intakte Demokratie, und daher ist es besser, sich dem Buch zu stellen, als es zu verstecken und ein mystisches Traktat daraus zu machen.“ Mit diesem Statement hat der renommierte britische Hitler-Biograf Ian Kershaw die Meinung der überwiegenden Historiker-Mehrheit zusammengefasst. Als er es formulierte – im April 2013 –, zeichnete sich ein Ende dieses Zustandes ab. Der Freistaat Bayern hatte sich dazu aufgerafft, eine historisch-kritische Edition von Hitlers Buch zu finanzieren. Der Landtag hatte einen entsprechenden Beschluss verabschiedet. Bislang floss bereits eine halbe Million Euro in das Projekt.

Doch nun hat der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) die Reißleine gezogen. Die Staatsregierung wolle eine Veröffentlichung von Hitlers Hetzschrift trotz des Auslaufens der Urheberrechte verhindern, erklärte die Chefin der Staatskanzlei, Christine Haderthauser (CSU). Sollte ein Verlag dann dennoch das Buch veröffentlichen, werde man Strafanzeige stellen. „Ich kann nicht einen NPD-Verbotsantrag stellen in Karlsruhe, und anschließend geben wir sogar noch unser Staatswappen her für die Verbreitung von ,Mein Kampf‘ – das geht schlecht“, begründete Seehofer die Kehrtwende.

Damit desavouierte er seinen eigenen Finanzminister Markus Söder (CSU), dessen Haus als Rechtsnachfolger des nationalsozialistischen Eher-Verlages der Rechte-Inhaber von Hitlers Werk ist. Da die Urheberrechte 2015 auslaufen, hatte Söder 2012 die Verbotspolitik Bayerns ad acta gelegt: „Wir wollen in allen Veröffentlichungen deutlich machen, welch großer Unsinn darin steht – allerdings mit fatalen Folgen.“ Das wurde der Startschuss für die kritische Edition, auf die sich das Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München vorbereitet hatte. „Wir kommen gut voran“, sagte eine IfZ-Sprecherin Anfang der Woche zum Stand der Arbeiten.

Beim Institut zeigte man sich sehr überrascht über den Sinneswandel der Staatsregierung. Gesprochen habe niemand mit ihnen, heißt es. Ein Signal, die Arbeit abzubrechen, habe es nicht gegeben. Die Wissenschaftler, die ihr Projekt auch ohne Unterstützung Bayerns fortsetzen wollen, argumentieren damit, dass „Mein Kampf“ eine zentrale Quelle zum Nationalsozialismus sei, mehr allerdings nicht. Wie Finanzminister Söder mit der Ohrfeige vom Chef umgehen wird, ist noch unklar. „Das ist kein guter Stil“, kommentierte der Vorsitzende des Hochschulausschusses Oliver Jörg (CSU) Seehofers Entscheidung. „Eigentlich ist entscheidend, was der Landtag sagt.“ Die SPD-Hochschulpolitikerin Isabell Zacharias sprach verärgert von „Rückschritt“. Heftige Kritik kam von den Grünen: „Das ist eine Unverschämtheit erster Güte. Es gibt einen ganz klaren Auftrag des Landtags.“