Koalition will Beitragssatz stabil halten, Gesetz aber erst später beschließen. Arbeitgeber und Grüne sehen Rechtsbruch

Berlin. Es ist das erste wichtige Gesetz von Union und SPD in der geplanten Koalition, doch Kritiker sehen in ihm einen dubiosen Winkelzug. Opposition und Arbeitgeber sind empört, sogar die unabhängigen Juristen des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags schlagen hinter den Kulissen Alarm. Rententrick heißt das Stichwort. In einem beispiellosen Manöver wollen CDU, CSU und SPD erreichen, dass ein noch unfertiges Gesetz bereits Geltungskraft erlangen soll, noch bevor es überhaupt in Bundestag und Bundesrat endgültig beschlossen ist. Doch mit dem Kniff gehen die Koalitionäre ein hohes Risiko ein.

Union und SPD haben im Koalitionsvertrag den Rentnern zahlreiche Verbesserungen versprochen, das Geld dafür soll zum Großteil aus der Rentenversicherung kommen. Die Kassen sind derzeit so üppig gefüllt, dass nach einer gesetzlichen Vorschrift zum Jahreswechsel der Beitragssatz für Arbeitgeber und Arbeitnehmer sinken müsste – von 18,9 auf 18,3 Prozent. Doch Union und SPD wollen mit den Rücklagen ihre neuen Rentenversprechen finanzieren.

Hier beginnt die Trickserei: Statt eine Verordnung zur Beitragssenkung zu erlassen, will die Regierung ein Gesetz beschließen, das die Beiträge auf dem bisherigen Niveau festschreibt. Dass das Gesetz noch vor dem Jahresende kommt, ist wichtig: Denn die Arbeitgeber, die die Beiträge in der Personalbuchhaltung direkt vom Gehalt der Beschäftigten abziehen und auf der Gehaltsabrechnung ausweisen, müssen in den letzten Werktagen des Jahres wissen, wie hoch der Beitragssatz ab Januar ist.

Für ein herkömmliches Gesetzgebungsverfahren, das den aktuellen Beitragssatz festschreibt, aber wird die Zeit zu knapp. Üblicherweise gibt es eine Erste Lesung des Gesetzesentwurfs im Parlament, danach beraten die Fachausschüsse, dann debattiert der Bundestag in Zweiter und Dritter Lesung – und stimmt ab. Dann berät noch der Bundesrat. Wegen Zeitmangels wollen Union und SPD nun lediglich eine Erste Lesung im Bundestag abhalten – und zwar am 19. Dezember. Allein schon mit der ersten Beratung im Bundestag sei gesichert, dass die Arbeitgeber Klarheit hätten, so das Kalkül. Das eigentliche Gesetz soll erst im Januar beschlossen werden und im Februar den Bundesrat passieren. Das Manöver ist ungewöhnlich: In der Vergangenheit wurde selbst bei dringlichsten Gesetzen etwa in den dramatischen Wochen der Bankenkrise 2008 Wert darauf gelegt, ein vollständiges Gesetzgebungsverfahren zumindest im Eilverfahren zu gewährleisten. Darüber setzen sich Union und SPD nun hinweg.

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags meldete schwer wiegende Bedenken gegen den Rententrick an: Wenn die Beiträge nicht gesenkt werden sollten, „wäre bis zum Jahresende eine gesetzliche Regelung zu verabschieden“, heißt es in einem Papier der Juristen. Komme diese Regelung erst später zustande, könne sie nicht rückwirkend zum 1. Januar 2014 gelten, sondern „nur für die Zukunft“.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch ein Gutachten im Auftrag der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). „Das geplante Vorgehen ist in rechtlicher Hinsicht fragwürdig und wirft verfassungsrechtliche Zweifel auf“, heißt es in der Expertise. „Hierdurch riskiert die Bundesregierung einen rechtswidrig festgelegten Beitragssatz und damit auch die rechtmäßige Beitragserhebung zum Jahresbeginn 2014.“ Es „stünde zu erwarten, dass eine Anzahl von Arbeitgebern und Arbeitnehmern diese Beitragsfestlegung gerichtlich überprüfen lassen würde“, so die Gutachter. Dies könne bis zum Bundesverfassungsgericht gehen.

Die Grünen-Wirtschaftsexpertin Kerstin Andreae ist verärgert: „Wenn Schwarz-Rot einen niedrigeren Rentenbeitragssatz verhindern will, dann müssen sie jetzt eine entsprechende Gesetzesänderung im Eiltempo durchpeitschen. Rückwirkend geht es nicht, so viel ist sicher“, sagte sie. „Die Opposition hat ein Recht auf eine gründliche Beratung im Bundestag, darauf wird von Schwarz-Rot aber offenbar gepfiffen.“

Die Union weist die Vorwürfe zurück. „Wir haben das Gesetz bewusst nicht im Dezember noch schnell über die Bühne gebracht, um einen normalen Gesetzgebungsprozess zu gewährleisten“, hieß es aus Kreisen der Unions-Bundestagsfraktion. „Das Gesetz wird wie jedes andere auch im Januar dem Fachausschuss zugewiesen, mit allem was dazugehört.“ Auch die verfassungsrechtlichen Zweifel kann die Union nicht nachvollziehen.

Einen Ausweg aus der Zeitnot bot am Mittwoch ausgerechnet die Linkspartei: In dem provisorischen Hauptausschuss des Bundestags, der bis zur Regierungsbildung tagt, legte die Fraktion einen Gesetzesentwurf zur Stabilisierung der Rentenbeitragssätze vor. Hätten sich Union, SPD und Linke erstmals auf eine gemeinsame Gesetzesinitiative verständigen können, wäre das Gesetz aller Voraussicht nach noch pünktlich zum Jahreswechsel in Kraft getreten. Ohne große Trickserei. Aber die Vertreter von Union und SPD wiesen den Gesetzesentwurf einmütig zurück – Parteiräson geht vor.