Ex-BND-Chef Hans-Georg Wieck erzählt, dass er früher auch unverschlüsselt telefonierte – und warum Edward Snowden weder Held noch Verräter ist

Hamburg. In den letzten Jahren des Kalten Krieges stand Hans-Georg Wieck an der Spitze des deutschen Auslandsgeheimdienstes. Er war von 1985 bis 1990 Präsident des Bundesnachrichtendiensts (BND). Als Deutscher sei man immer gut an Quellen in Krisenstaaten gekommen, sagt er. Das Land genieße hohes Ansehen. Ein Land, dem Wieck viele Jahre gedient hat. Nach der Jugend und dem Studium in Hamburg begann er eine Laufbahn als Diplomat – erst im Auswärtigen Dienst, später als Botschafter in Teheran und Moskau.

Hamburger Abendblatt:

Herr Wieck, Sie waren viele Jahre Präsident des Auslandsgeheimdienstes. Hat Sie die Spionage der NSA in Deutschland überrascht?

Hans-Georg Wieck:

Das Ausmaß dieser Abhörmaßnahmen durch die USA und Großbritannien gegen Deutschland, aber auch gegen die EU, hat mich durchaus überrascht. Die massenhafte Spionage lässt sich mit einem „Krieg gegen den Terror“ nicht mehr rechtfertigen. Nun sagt die Kanzlerin: Unter Freunden gehört sich so etwas nicht. Dem kann ich nur antworten: Es geht nicht um Freundschaft, sondern um Partnerschaft, also vor allem um Zusammenarbeit statt um Verbundenheit. Wer jedoch hinter dem Rücken des Partners spioniert, zahlt einen hohen politischen Preis für den Vertrauensverlust. Die USA haben das Bündnis mit Deutschland belastet.

Was muss die Antwort Deutschlands sein auf die US-Spionage?

Wieck:

Es wird nun darum gehen müssen, eine wirksame Spionageabwehr gegen die nachrichtendienstlichen Abhörmaßnahmen der USA zu errichten. Wir haben klare Abwehrtechniken gegen Spionage aus China oder Russland, Länder, von denen wir wissen, dass sie Wirtschaftsspionage betreiben. Aber uns fehlt der Sicherheitsapparat, um auch Geheimdienstangriffe durch Verbündete wie die USA abzuwehren.

Wie kann das aussehen?

Wieck:

Deutschland muss die Verschlüsselung verbessern, gleichzeitig ist ein genaues Wissen über amerikanische Standorte von NSA oder CIA in Deutschland unabdingbar.

Hat die Bundesregierung die Macht von ausländischen Geheimdiensten in Deutschland unterschätzt?

Wieck:

Nicht nur die Bundesregierung. Vorab sei gesagt: Die Deutschen nehmen die Geheimdienste generell nicht sehr ernst. Die Grundstimmung der Deutschen war immer misstrauisch. Nach dem Motto: Geheimdienste sind unwichtig oder taugen sowieso nichts.

Weil immer wieder auch Fehler und Skandale öffentlich werden wie zuletzt bei der NSU-Mordserie.

Wieck:

Die NSU-Mordserie und das Versagen der Sicherheitsbehörden haben nur längst bestehende Antipathien bei den Bürgern manifestiert. In anderen Staaten wie den USA sind Geheimdienste hoch angesehen und werden für die Sicherheit des Landes als unerlässlich begriffen. Dabei hatten wir in Deutschland bisher Glück, nicht Opfer des internationalen Terrorismus geworden zu sein. Übrigens im Fall der Sauerland-Gruppe auch dank Tipps durch die NSA.

Die Bundesregierung behauptet, sie habe von den Abhörmaßnahmen der Geheimdienste nichts gewusst. Glauben Sie das?

Wieck:

Das kann ich schwer beurteilen. In Deutschland bewegt sich der Geheimdienst in einem klaren gesetzlichen Rahmen. Der BND überwacht mit gesetzlicher Vollmacht elektronische Auslandsverkehre gezielt nach Stichworten, er sammelt aber nicht Daten über alles und jeden wie offenbar die Dienste der Amerikaner. Was Deutschland nun dringend benötigt, ist ein Untersuchungsausschuss im Bundestag zum NSA-Skandal. Alle mit Deutschland im Zusammenhang stehenden Spionagemaßnahmen der US-Geheimdienste müssen auf den Tisch und debattiert werden. Vor allem deshalb, um sich künftig gegen Angriffe ausländischer Geheimdienste besser zu wappnen. Das hat oberste Priorität. Sicher wird ein Untersuchungsausschuss auch aufklären, welche deutschen Stellen etwas über die Spionage der Amerikaner gewusst haben.

Viele Abgeordnete klagen, dass schon die Kontrolle der deutschen Nachrichtendienste schwierig genug ist.

Wieck:

Das deutsche System zur Kontrolle von Geheimdiensten ist Vorbild für viele Staaten. Denn es beruht auf dem Rechtsstaat und dem Parlamentarismus – und eben nicht nur auf einer Kontrolle durch die Regierung. In dem Kontrollgremium können Abgeordnete des Bundestages Einblick in die Arbeit der Dienste gewinnen, und sie können sich eine Meinung darüber bilden, ob die Operationen des BND, des Militärischen Abschirmdienstes und des Verfassungsschutzes rechtmäßig sind.

Von den mehr als 600 Abgeordneten im Bundestag sitzen bisher nur elf Politiker in diesem Kontrollgremium.

Wieck:

Ich halte es für sinnvoll, dass die Mitglieder einen Apparat aus Mitarbeitern bekommen, der sich kontinuierlich mit den Aktivitäten der deutschen Geheimdienste befassen kann. Die Abgeordneten des Kontrollgremiums, die ja noch in anderen parlamentarischen Ausschüssen sitzen, sind mit einer umfassenden parlamentarischen Kontrolle der Dienste zeitlich überfordert. Wenn der BND wirksam parlamentarisch kontrolliert wird, ist das für den Nachrichtendienst von Vorteil: Denn er ist durch den Rechtsstaat legitimiert.

Hätten Sie der Kanzlerin abgeraten, ihr Handy ohne Schutz zu benutzen?

Wieck:

Ja, ich hätte ihr davon abgeraten, wenn die Frage aufgekommen wäre. Der BND war und ist nicht für die innere Sicherheit zuständig. Auch ich habe während meiner Zeit als BND-Präsident auf meinem privaten Telefon in nichtdienstlichen Angelegenheiten unverschlüsselt telefoniert. Die Möglichkeiten des Datensammelns und Auswertens sind heute andere als damals. Regierungschefs müssen sich mit abhörsicheren Telefonen schützen.

Wie oft haben Sie sich als BND-Chef mit den Kollegen aus den USA ausgetauscht?

Wieck:

Die Leiter beider Seiten tagten regelmäßig, noch häufiger fanden Treffen der Fachleute statt. Es gab einen intensiven Austausch mit den Amerikanern zu neuen Entwicklungen in der Sowjetunion oder in Krisenstaaten in Afrika. Die deutsche Seitebewertete die Situation für einen Umbruch im Ostblock immer etwas optimistischer als die USA. Ziel der Aufklärung der Bündnispartner während des Kalten Krieges war immer, einen eventuellen Angriff des Warschauer Pakts gegen Nato-geschütztes Territorium mindestens acht Tage vor Beginn der Operationen zu erkennen. So viel Zeit wäre nötig gewesen, um die deutschen und die alliierten Streitkräfte in Europa in ihre Verteidigungspositionen zu bringen.

Gab es zur Aufklärung auch einen Austausch von Informanten zwischen Deutschland und den USA?

Wieck:

Nein. Woher ein Geheimdienst seine Informationen hat, wird nie offengelegt. Quellenschutz steht ganz oben.

Spionieren deutsche Geheimdienste in den USA oder bei anderen Verbündeten?

Wieck:

Nein, ich habe nie einen Auftrag der Bundesregierung erhalten, einen Nato- oder EU-Partnerstaat auszuspionieren. Und die Bundesregierung hat dies auch offiziell immer wieder bekräftigt, auch heute noch. Nicht, weil wir Deutschen nette Menschen sind. Mit diesem Grundsatz wird das beiderseitige Vertrauen gefördert. Außerdem: Als EU- und Nato-Partner erfährt man offiziell, inoffiziell und in vielen Kontakten auf der Arbeitsebene fast alles, was wissenswert ist, auch über interne Meinungsbildungsprozesse der Partner.

Das Ausmaß der amerikanischen Spionage wurde erst durch die Enthüllungen von Edward Snowden richtig bekannt. Ist er für Sie ein Held oder ein Verräter?

Wieck:

Weder noch. Ich halte es gegenüber den Amerikanern auch nicht für politisch geboten, Snowden in Deutschland Asyl zu gewähren. Allerdings halte ich eine Befragung Snowdens in Moskau durch Mitglieder eines Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages zu diesem Fragenkomplex für wünschenswert.