Innenminister Friedrich legt Bericht zum Stand der deutschen Einheit vor. Bei den Einkommen gibt es eine unsichtbare Mauer

Berlin. Gute Nachrichten zu verkünden, war Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) zuletzt selten vergönnt. Die Spähaffäre um den US-Geheimdienst NSA, der Streit um die Vorratsdatenspeicherung oder auch die Diskussion über eine Fahndung mit Mautdaten – es sind Themen, die für ihn mehr mit Ärger als mit Aufatmen verbunden sind. Nun war es einmal anders, und das lag allein am Bericht zum Stand der Deutschen Einheit, dessen Vorstellung dem Chef des Innenressorts vorbehalten ist.

23 Jahre nach der Wiedervereinigung konnte Friedrich positive Entwicklungen vermelden. Die einst so dramatische Abwanderung aus dem Osten ist nahezu gestoppt. Während nach der Wiedervereinigung jährlich Hunderttausende den Osten verließen, zwischen 2000 und 2005 noch im Schnitt 66.000 pro Jahr, belief sich der Wanderungsverlust von Ost nach West im vergangenen Jahr nur noch auf gut 2000 Menschen. Auch die Geburtenrate hat sich wieder stabilisiert, sie liegt sogar höher als in Westdeutschland. Der Osten hat sich zu einem Energieland entwickelt, in dem vor allem Ökostrom aus Wind und Sonne produziert wird. Das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner steigt ebenso wie die verfügbaren Einkommen.

Also wieder alles dufte im Osten? Die Wahrheit ist differenzierter. Auch wenn sich der materielle Wohlstand in den vergangenen Jahren deutlich verbessert hat, bleibt bei der Angleichung der Lebensverhältnisse noch einiges zu tun. „Der Aufholprozess muss weitergehen“, sagte Friedrich am Mittwochvormittag bei der Präsentation des 158 Seiten starken Berichts. So würde auch der Osten vom demografischen Wandel nicht verschont bleiben. Die Bevölkerung im erwerbstätigen Alter werde bis zum Jahr 2030 um weitere 27 Prozent schrumpfen. Und das würden gerade die ländlichen Regionen zu spüren bekommen.

Im Bericht ist von „spürbaren Unterschieden“ zwischen Ost und West zu lesen, die es in der Wirtschaftskraft je Einwohner und bei Löhnen und Gehältern gebe. Gleiches gelte auch für das Steueraufkommen. Auch die Arbeitslosenquote liegt nach wie vor deutlich über dem Niveau Westdeutschlands. Immerhin, seit 2005 sei sie von 18,7 stetig auf 10,7 Prozent gesunken. Zugleich sei der Anteil der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung erneut gestiegen, seit 2005 um 9,9 Prozent.

Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Wolfgang Tiefensee, empfand den Tenor des Berichts gar als „Schönfärberei“. Die Lyrik des Berichts entspreche nicht immer den harten Fakten, sagte der frühere Bundesverkehrsminister und Ost-Beauftragte der „Berliner Zeitung“. Er wies darauf hin, dass die Wirtschaftskraft der ostdeutschen Flächenländer bei 71 Prozent des westdeutschen Niveaus liege. Im Bericht sei aber von einer kontinuierlichen Angleichung die Rede, weil sich der Abstand zwischen Ost und West alle drei Jahre um einen Prozentpunkt verringere. „Übersetzt heißt das: Würde das Tempo so weitergehen, hätten wir erst im Jahr 2100 eine annähernd gleiche Wirtschaftskraft“, gab Tiefensee zu bedenken.

Auch andere Passagen im Bericht folgen der Sowohl-als-auch-Rhetorik. Die Ostgehälter steigen demzufolge, bleiben allerdings noch deutlich hinter dem Westniveau zurück. Pro Einwohner ergab sich laut Bericht in den neuen Ländern und Berlin ein „verfügbares Einkommen“ (Sozialtransfers und Steuern sind darin berücksichtigt) von 16.989 Euro und in den alten Bundesländern von 20.670 Euro. Das entspricht 82 Prozent des Niveaus des Westens. Während die Ost-West-Angleichung der Gehälter im öffentlichen Dienst mit 97 Prozent am weitestens vollzogen worden ist, herrscht in mehreren Branchen noch immer ein drastisches Lohngefälle, vor allem im verarbeitenden Gewerbe (67 Prozent), Handel und Reparatur (75 Prozent) und im Baugewerbe (75 Prozent). Auch bei der Rente bleiben Unterschiede.

Mehreren Ost-Ministerpräsidenten kamen diese Details des Berichts sehr gelegen – es sind ja Koalitionsverhandlungen. So forderte der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), zum einen die Angleichung der Renten in Ost und West. „Bei den Renten müssen endlich die alten Grenzen zwischen DDR und Bundesrepublik fallen“, sagte er. Zum anderen verlangte er für den geplanten Mindestlohn keinerlei Unterscheidung nach Ost und West. „Andernfalls werden die Ostländer scharf protestieren“, drohte Haseloff.

Einen gleichen Mindestlohn in Ost- und Westdeutschland verlangte auch sein SPD-Amtskollege aus Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering. Die Wirtschaft in seinem Land suche immer mehr nach Fachkräften, sagte er NDR Info. „Wir brauchen hier jede und jeden.“ Werde das Lohngefälle – auch mit unterschiedlichen Mindestlöhnen – zementiert, bleibe die Gefahr der Abwanderung bestehen.

Der derzeitige Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Christoph Bergner (CDU), erinnerte dagegen an die Gefahr eines bundesweiten Mindestlohns für die ostdeutschen Länder. Im Westen arbeiteten zwölf Prozent der Arbeitnehmer für Löhne unter 8,50 Euro pro Stunde, im Osten seien es 25 Prozent. Die Risiken seien damit für den Osten ungleich höher.