Im NSU-Prozess sagt die Mutter des mutmaßlichen Terroristen aus und versteigt sich zu Verschwörungstheorien

München. Wie viel Bitterkeit, wie viel Misstrauen gegen Polizei und Staat – und wie erstaunlich wenige Vorwürfe an den eigenen Sohn Uwe Böhnhardt, wie wenig oder gar kein Ausdruck dafür, in welch braunem Sumpf er sich bewegte: Erstmals hat beim NSU-Prozess eine Angehörige der mutmaßlichen Rechtsterroristen ausgesagt.

Und Brigitte Böhnhardt, Mutter des toten Uwe Böhnhardt, richtete an Tag 57 der Verhandlung schwere Vorwürfe an die Politik und die Ermittler, äußerte aber zunächst kein Wort des Bedauerns über seine Taten. Im Gegenteil klang das, was sie sagte, fast nach Verschwörungstheorie gegen ihren Sohn und seine beiden Freunde Uwe Mundlos und Beate Zschäpe.

Sie habe den Verdacht, dass das Trio nach seinem Untertauchen Anfang 1998 zwar von Verfassungsschutz, Landeskriminalamt und Staatsanwaltschaft gesucht worden sei. „Aber verschiedene Kreise und Behörden wollten in Wahrheit gar nicht, dass sich die drei wirklich stellen.“ Deshalb habe die Staatsanwaltschaft mit großen Drohgebärden gearbeitet, statt ein konkretes Angebot zur Strafmilderung vorzulegen. Warum, wisse sie nicht. „Darüber mache ich mir seit 14 Jahren Gedanken.“ Die Behörden drohten gar, die drei zu erschießen, „wenn sie sie im Untergrund stellen“. Außerdem sei ihrem Sohn von der Polizei belastendes Material untergeschoben wurde.

Wie erstaunlich weit weg sie das Handeln der drei mutmaßlichen Terroristen, denen Mord an zehn Menschen vorgeworfen wird, geschoben hat, machte sich in einer seltsamen Äußerung fest: „Mir war gar nicht klar, was Uwe Mundlos und Beate Zschäpe überhaupt vorgeworfen wurde.“ Dann schwieg Brigitte Böhnhardt kurz und fügte an: „Ach ja, der Sprengstoff in der Garage. Das war mir grad entfallen.“

Beate Zschäpe, die mit der Situation zunächst Schwierigkeiten zu haben schien und nicht recht wusste, wo sie hinschauen wollte, als die Mutter ihres Ex-Freundes in den Saal kam, hörte der 65-jährigen ehemaligen Lehrerin danach sehr aufmerksam und konzentriert zu. Ihren Laptop, in dem sie während vieler Aussagen von Opferangehörigen gelesen und getippt hatte, ließ sie an diesem Morgen geschlossen.

Vor ihrem Abtauchen hatte Beate Zschäpe, die zeitweise mit Uwe Böhnhardt liiert war, engen Kontakt zur Familie Böhnhardt. Sie wohnte zeitweise in deren Wohnung und nahm umgekehrt auch Uwe Böhnhardt bei sich auf, als die Wohnung renoviert wurde. „Ich empfand Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben als nette, junge, höfliche Leute“, erinnerte sich die Frau.

Ihr als Mutter seien von der Staatsanwaltschaft „irrwitzige“ Strafen für ihren Sohn in Aussicht gestellt worden. Uwe Böhnhardt war vor seinem Untertauchen schon zweimal in Haft gewesen, die er als Jugendlicher in einer Erwachsenenanstalt verbringen musste. Das habe ihn traumatisiert. Sicher seien die Ermittler davon ausgegangen, dass die Eltern diese trüben Aussichten an den Sohn und seine beiden Freunde weitergeben würde. „Zehn Jahre!“, sagte Brigitte Böhnhardt ein ums andere Mal mit erstaunter Stimme. „Zehn Jahre sollte Uwe ins Gefängnis! So viel bekommt nicht mal ein Kinderschänder, der fünf Kinder getötet hat. Mein Sohn hatte große Angst vor dem Gefängnis. Deshalb sind die drei geflohen.“

Sie habe ihren Sohn gefragt, ob sich Beate Zschäpe und Uwe Mundlos stellen wollten, da sie ja nicht einmal vorbestraft waren. „Nein, wir sind Freunde, wir bleiben zusammen.“

Brigitte Böhnhardt und ihr Mann Jürgen hatten als einzige Eltern mit den drei Untergetauchten noch Kontakt gehalten, allerdings auf konspirative Weise. Wo die drei jungen Leute Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe untergekommen waren, habe sie nicht gewusst, sagte Frau Böhnhardt. Sie habe anfangs gedacht, das Trio sei im Ausland. „Im Nachhinein war das für uns der Super-GAU, dass die nur anderthalb Stunden von uns entfernt gelebt haben.“

Nach einigen Monaten steckte im Briefkasten aber ein Zettel mit der Aufforderung, an einer Telefonzelle zu warten. Dort riefen die drei Untergetauchten an. Uwe Böhnhardt befürchtete zu Recht, dass das Telefon zu Hause abgehört würde. Danach kam es zu vereinzelten Telefonaten und auch persönlichen Treffen. Die drei hätten gesagt, sie würden von Freunden unterstützt.

Sie habe die beiden Männer und Beate Zschäpe aufgefordert, sich zu stellen. Ein Anwalt habe sie für ihren Sohn beraten, ein anderer, der Beate Zschäpe vertreten sollte, wurde von den Böhnhardts sogar mit 800 Mark bezahlt. Doch während sich Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe hätten stellen wollen, sei Uwe Mundlos dagegen gewesen. „Der hat denen wohl von Anfang an nicht getraut. Er sollte ja auch recht behalten. Das war ein ganz linkes Ding.“

Bittere Worte fand Brigitte Böhnhardt für dessen Vater Siegfried Mundlos. Der habe nach dem Untertauchen Uwe Böhnhardt die ganze Schuld gegeben. Seinen eigenen Sohn habe er für vollkommen unschuldig gehalten. „Das war wohl seine Art, mit Trauer umzugehen. Für mich waren alle drei erwachsen, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe hätten auch Nein sagen können.“

Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe waren 1998 untergetaucht, als in ihrer Garage Sprengstoff gefunden worden war. Zudem wurden ihnen weitere Taten zur Last gelegt, darunter das Aufhängen einer „Juden-Puppe“ an der Autobahn oder ein fingierter Anschlag auf ein Theater. Auch sei ihm die Verbreitung rechtsradikaler Inhalte vorgeworfen worden, sagte Brigitte Böhnhardt. „Es hieß auch, er soll da und dort an Demos und Veranstaltungen teilgenommen haben. Ich habe mich gefragt: Wie hat er das bezahlt? Er hatte doch ganz wenig Geld. Später habe ich dann erfahren, das haben Timo Brandt und der Verfassungsschutz bezahlt.“ Brandt galt als führender Rechtsextremist im Osten, später zeigte sich, dass er ein V-Mann des Verfassungsschutzes war.

Einige Zeit pflegten die drei noch Kontakt zur Familie von Böhnhardt. Im November 2011 erschossen sich Mundlos und Böhnhardt nach einem missglückten Banküberfall. Beate Zschäpe, die sich Tage später stellte, wird zur Last gelegt, die letzte Wohnung der drei in Zwickau angezündet zu haben. Mundlos und Böhnhardt sollen zehn Menschen ermordet haben.

Brigitte Böhnhardt war von Richter Manfred Götzl aufgefordert worden, die Entwicklung des 1978 geborenen Uwe zu schildern. Er sei ein „Wunschkind“ gewesen, ein Nesthäkchen. Wer ihre Schilderung verfolgte, musste den Eindruck gewinnen, dass es vor allem das mit dem Umbruch in Ostdeutschland verbundene Versagen der Behörden, Schulen und Lehrer war, das ihren Sohn auf den falschen Weg brachte. Früh hätten sich Probleme in der Schule gezeigt, doch niemand habe sich darum gekümmert. Sogar dass ihr Sohn wochenlang die Schule schwänzte, habe ihr niemand mitgeteilt. „Das nehme ich meinen Kollegen sehr übel“, sagte Brigitte Böhnhardt, die pensioniert ist. „Die Lehrer haben sich nicht gekümmert und an den Kindern kein Interesse gehabt.“

Immer wieder sei ihr Sohn von Schulen geflogen, immer wieder habe sie sich ans Schulamt, ans Jugendamt oder direkt an Schulen gewandt mit der Bitte um Hilfe. „Aber überall nur großes Achselzucken und die Auskunft: Da müssen Sie selbst sehen, was Sie machen.“ Jeder Versuch, Uwe in bessere Bahnen zu lenken, sei gescheitert. Hoffnung gab es, als der Jugendliche eine Lehre als Maurer abschloss. Doch danach wurde er arbeitslos.

Vorwürfe richtete Brigitte Böhnhardt an die Polizei, die im Januar 1998 Wohnung und Garage durchsuchte. „Da habe ich Uwe gewarnt, dass nichts gefunden wird, was vorher nicht da war.“ Sie habe das Gefühl gehabt, die Polizei habe bei früheren Gelegenheiten Dinge in der Wohnung der Familie deponiert, „um die hinterher finden zu können“.