Ex-Kanzlerkandidat Steinbrück fordert vor Parteitag Zurückhaltung gegenüber neuen Partnern

Hamburg/Berlin. Ein bisschen schräg liegt er schon in der politischen Landschaft, der SPD-Bundesparteitag, der von Donnerstag bis Sonnabend in Leipzig stattfindet. Über eine Große Koalition können Führung und Delegierte zwar debattieren, doch eigentlich fehlt dafür noch die inhaltliche Grundlage. Denn die Verhandlungen über wichtige Themen wie Energiepolitik, doppelte Staatsbürgerschaft oder Mindestlohn sind in Berlin noch in vollem Gange.

Deshalb lautet die offizielle Sprachregelung: Noch ist über eine Große Koalition nicht entschieden, wir verhandeln ergebnisoffen. Es ist noch nicht geklärt, ob wir den Ergebnissen mit den Unionsparteien zustimmen werden.

Ernster zu nehmen ist der Hinweis, dass das letzte Wort die 473.000 Mitglieder der SPD haben werden. Sie dürfen – das ist ein Novum – über die Koalitionsvereinbarung mit der Union abstimmen. Das Ergebnis dieser voluminösen Briefwahl-Aktion namens Mitgliedentscheid soll am 15.Dezember vorliegen. Geht es nach dem Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel, dann wird an diesem Abend die dritte schwarz-rote Koalition auf Bundesebene gefeiert.

Vor Beginn des Parteitags und der Diskussion über die Verhandlungen mit der Union fordert der Hamburger Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs: „Die SPD muss sich in einem Koalitionsvertrag klar wiederfinden: Das geht nicht ohne die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft, des Mindestlohns und der vollständigen Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Ehen. Wir müssen viele Fehler der schwarz-gelben Regierung der vergangenen Jahre korrigieren.“

Die Stimmung an der SPD-Parteibasis sei „eher kritisch einer Großen Koalition gegenüber“, sagte Kahrs dem Abendblatt. „Viele Mitglieder sehen natürlich, dass die SPD einen Wahlkampf gegen Merkel und die Union geführt hat. Nun wollen wir in eine Koalition mit der Union. Das sorgt für Widerspruch.“ Zugleich fordert Kahrs, dass sich die SPD in einer Koalition das Finanzministerium sichert: „Eine inhaltliche Forderung muss der Anspruch auf das Finanzministerium sein. Über den Haushalt regiert das Ministerium in alle anderen Ressorts mit hinein.“ Bei Fragen wie Euro-Rettung und der Bankenregulierung habe das Finanzministerium ein Veto-Recht. Die SPD könne mit einem Finanzminister und Vize-Kanzler in einer Person auf Augenhöhe mit Merkel regieren, sagte Kahrs.

Die von der SPD geplante Öffnung für neue Koalitionsoptionen auch mit der Linkspartei sorgt vor dem Bundesparteitag für Diskussionen. Anstoß dafür ist das Vorhaben der Parteispitze, vor Wahlen keine Bündnisse mehr auszuschließen – außer mit Rechtsextremen. Dies sollen die Delegierten beschließen. Während sich mehrere führende SPD-Politiker zustimmend äußerten, riet der frühere Kanzlerkandidat Peer Steinbrück zu Zurückhaltung. Es wäre besser, wenn die SPD zunächst beobachten würde, wie sich die Linkspartei entwickele.

Generalsekretärin Andrea Nahles machte bei der Vorstellung des Leitantrags klar, dass die Öffnung für andere Koalitionen nicht für diese Wahlperiode gelte. Sie trat damit Sorgen in Teilen der Union entgegen, die SPD könnte die geplante Große Koalition vor 2017 platzen lassen und eine Regierung mit Grünen und der Linkspartei bilden.