Offiziell sind Personalfragen bei den Koalitionsverhandlungen kein Thema. Im Hintergrund aber gibt es schon detaillierte Gedankenspiele

Berlin. Sigmar Gabriel ist seit der Bundestagswahl schon für viele Posten gehandelt worden. Finanzminister könnte der SPD-Vorsitzende in einer Großen Koalition werden. Oder Wirtschaftsminister. Zuletzt galt er als Favorit fürs Arbeitsministerium. Der 54-Jährige selbst will sich auf die Personalspekulationen nicht einlassen. Nur eines ist klar: Neben Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wird Gabriel Vizekanzler in einer Großen Koalition.

Nun wabert ein neues Gerücht durch Berlin. Im Wirtschaftsministerium wird fest damit gerechnet, dass Gabriel bald in das Büro von Philipp Rösler (FDP) einziehen wird. Demnach will Gabriel das derzeit relativ bedeutungslose Haus zu einem Super-Wirtschaftsministerium ausbauen, das allein für die Energiewende zuständig sein soll. „Das ist so gut wie sicher“, sagt ein Beamter. Auch in der SPD kann man sich Gabriel gut in dem Amt vorstellen. „Als Super-Wirtschaftsminister wäre Gabriel sicher schlagkräftiger als als Arbeitsminister“, sagt einer.

Bestätigen will das angebliche Interesse Gabriels an dem Posten niemand aus der SPD. Wenige Tage vor dem Parteitag in Leipzig käme es bei der sensiblen Basis gar nicht gut an, wenn der Eindruck entstünde, die Führungsmannschaft verteile bereits die Dienstwagen, bevor die Partei einer Koalitionsbildung zugestimmt hat. Und Gabriel will sich erst einmal als Parteivorsitzender wiederwählen lassen.

Doch: Vieles spricht dafür, dass Gabriel tatsächlich Kurs aufs Wirtschaftsministerium nehmen könnte. Direkt nach der Wahl hatte die SPD Anspruch auf das Finanzministerium erhoben. Aus gutem Grund: Das Haus hat in den vergangenen Jahren dem Auswärtigen Amt den Rang als wichtigstes Ministerium abgelaufen. Das Grundgesetz gesteht dem Bundesfinanzminister ein Vetorecht bei allen finanzpolitischen Entscheidungen der Bundesregierung zu. Der Finanzminister kann deshalb in allen anderen Ressorts hineinpfuschen, sogar ins Bundeskanzleramt. Vor allem aber durch die Euro-Krise hat das Finanzministerium einen enormen Bedeutungszuwachs erlangt. Zusammen mit dem Kanzleramt gestaltet der deutsche Kassenwart das Euro-Krisenmanagement. Nur ein SPD-Finanzminister könne in einer Großen Koalition auf Augenhöhe mit der Kanzlerin verhandeln, lautet eine weit verbreitete Logik.

Doch die Union will das Ministerium partout nicht hergeben. Und je länger die Koalitionsverhandlungen andauern, desto mehr scheint den Sozialdemokraten die Lust auf das Finanzressort zu vergehen. Zu groß ist der Frust nach den bisherigen Verhandlungstagen. Die Union hat zwar große Ausgabenpläne, sperrt sich aber bislang vehement gegen jede Form von Steuererhöhungen oder Subventionsabbau. „Wenn die Koalitionsverhandlungen auf höhere Schulden hinauslaufen, sollten wir auf das Finanzministerium verzichten“, sagt ein SPD-Unterhändler. „Sonst kriegen wir den Schwarzen Peter dafür zugeschoben.“

Außerdem stehen in den nächsten Jahren harte Verhandlungen bei den Bund-Länder-Finanzbeziehungen an. Ausgerechnet ein SPD-Finanzminister müsste dann den vielen Ministerpräsidenten aus der eigenen Partei erklären, warum deren Wünsche nicht machbar sind. Parteiinterner Streit wäre programmiert.

Sollte die SPD auf das Finanzressort verzichten, blieben Gabriel zwei Ministerien zur Auswahl: Das Arbeits- und das Wirtschaftsministerium. Im Arbeitsministerium könnte Gabriel die Kernkompetenz der SPD ausspielen. Er könnte einen Mindestlohn einführen und die Rechte für Leiharbeiter stärken. Damit könnte der Parteivorsitzende leicht bei der eigenen Wählerklientel punkten. Zudem gäbe es viel zu verteilen, das Arbeitsministerium verfügt über den größten Etat aller Ministerien. Allerdings zählt der Arbeitsmarkt derzeit nicht gerade zu den drängenden Probleme im Land. Die Arbeitslosigkeit ist gering, der Gestaltungsspielraum des Arbeitsministers daher begrenzt.

Ganz anders wäre das in einem Super-Wirtschaftsministerium, das Gabriel ganz nach seinem Gusto gestalten könnte. „Wenn die SPD auf das Finanzministerium verzichtet, kann Gabriel alles von der CDU fordern“, heißt es aus Verhandlungskreisen. Derzeit ist das Wirtschaftsministerium zwar ein vergleichsweise großes Ressort, aber ohne klare Zuständigkeiten: Der Wirtschaftsminister macht ein bisschen Energiewende, ein bisschen Außenwirtschaft, ein bisschen Rüstungspolitik. Aufgrund der eingeschränkten Zuständigkeiten kann der Wirtschaftsminister nicht viel mehr tun, als das ordnungspolitische Gewissen der Bundesregierung zu geben.

Nach den Plänen Gabriels soll das Haus aber nicht mehr nur für den Netzausbau, sondern für die komplette Energiewende zuständig sein. Die entsprechenden Abteilungen aus dem Umwelt- und Verkehrsministerium sollen ans Wirtschaftsministerium gehen. Einige Planspiele gehen sogar noch weiter: So könnte die Europaabteilung aus dem Auswärtigen Amt ebenso ins Wirtschaftsressort wandern wie die Grundsatzabteilung des Finanzministeriums. Das Wirtschaftsministerium würde dann auch bei Europafragen ein gewichtiges Wörtchen mitreden.

Das dürfte zwar Wunschdenken sein. Doch auch als Super-Minister für Energie und Wirtschaft besäße Gabriel eine enorme Machtfülle im neuen Kabinett. Daher wäre der Posten für ihn äußerst reizvoll. Wenn es ihm gelänge, die Energiewende in geordnete Bahnen zu lenken, wäre das ein großer politischer Erfolg, mit dem die SPD neue Wähler gewinnen könnte.

Schon seine Zeit als Umweltminister in der Großen Koalition war nicht die schlechteste in Gabriels politischem Leben. Im Amt legte er sein Image als „Siggi-Pop“ ab und zeigte, dass er ministrabel war. Und bei allem Themen-Hopping („Wir Politiker sind Universal-Dilettanten“) ist Gabriel vor allem mit der Energiepolitik seit Jahrzehnten vertraut. Ein Superminister-Wirtschaftsministerium wäre daher eine gute Bühne für Gabriel, um sich für eine Kanzlerkandidatur warmzulaufen.