Durch Snowden kam die Reichweite der Geheimdienste ans Licht. Spionage-Experte Anthony Glees über Bespitzelung und die Aufsicht über Geheimdienste.

London. Durch den Whistleblower Edward Snowden kam nicht nur das Ausmaß der geheimdienstlichen Ausspähung ans Licht, sondern auch die Reichweite der Geheimdienste. Für die Öffentlichkeit eine wichtige Erkenntnis – die Terrorabwehr aber wird erschwert, sagt der Geheimdienstexperte Prof. Anthony Glees, 64. Er leitet das Zentrum für Geheimdienststudien an der Buckingham-Universität.

Hamburger Abendblatt: Herr Professor Glees, die Snowden-Papiere haben enthüllt, dass der britische Abhördienst GCHQ mit viel Geld aus Amerika subventioniert wird. Dazu sagt ein früherer GCHQ-Boss: „Die haben das Geld, wir haben das Köpfchen.“

Anthony Glees: Eine arrogante und eindeutig unwahre Aussage. Sie soll von einer schmerzhaften Tatsache ablenken: Bei der Geheimdiensttätigkeit ist Großbritannien in enormem Ausmaß von den USA abhängig. Das Selbstbild eines Landes mit globalen Interessen fußt ein bisschen auf den Atomwaffen, vor allem aber auf weltweiter Spionage.

Viele Leute glauben ja, Spionage werde heute überwiegend mittels Satelliten betrieben. Sie übersehen, was Snowden offengelegt hat: Viele Glasfaserkabel, die das Internet zusammenhalten, verlaufen entlang der alten Kommunikationslinien, die zu Zeiten des Empire gelegt wurden. Da wird sogar Neuseeland wichtig.

Deutschland gilt in London offenbar nicht als Freund. Jahrelang haben Amerikaner und Briten das Mobiltelefon der Regierungschefin Angela Merkel abgehört.

Glees: Merkel anzuzapfen war idiotisch. Dass sie ein unverschlüsseltes Mobiltelefon benutzt und offenbar seit Jahren ihre Nummer nicht gewechselt hat, ist ebenso idiotisch. Denn Sie können sicher sein: Abgehört wird nicht nur von Freunden wie den USA, sondern auch von autoritären Staaten wie China oder Russland.

Die wichtigsten EU-Partner auszuspähen – das verstärkt das Bild von Großbritannien als einem wenig zuverlässigen Verbündeten.

Glees: Da kann ich nicht widersprechen. Ich bin ein klarer Befürworter der engeren europäischen Zusammenarbeit, auch für die Nachrichtendienste.

Im Gefolge der Snowden-Enthüllungen gab es jetzt zum ersten Mal eine öffentliche Anhörung der britischen Geheimdienstchefs vor dem Parlament in London.

Glees: Das war eine wichtige Neuerung. Sie wird hoffentlich fester Bestandteil des parlamentarischen Kalenders. In einer Demokratie ist es wichtig, die Mächtigen öffentlich unter die Lupe zu nehmen.

Waren die Fragesteller ihrer Aufgabe gewachsen?

Glees: Kurz gesagt: Nein. Das Kontrollgremium hatte einen furchtbaren Tag. Manche Parlamentarier wollten erkennbar den Zeugen helfen, was wirklich nicht ihre Funktion sein sollte. Das Komitee machte den Eindruck von chaotischen Amateuren. Es gibt viel zu verbessern. Statt wie bisher vom Premierminister bestimmt sollten die Mitglieder des Kontrollgremiums vom Parlament gewählt werden. Der Vorsitzende sollte wie in Deutschland stets der Opposition angehören. Außerdem braucht das Komitee eine bessere Ausstattung für seine Untersuchungen. All das sage ich als jemand, der die Arbeit der Geheimdienste für wichtig und rechtsstaatlich geboten hält.

Die Leiter des Inlandsdienstes MI5, der Auslandsspionage MI6 sowie von GCHQ machten nicht den Eindruck, als könnten ihnen die Parlamentarier etwas anhaben.

Glees: Das war ohne Zweifel eine gut vorbereitete und eingeübte Vorstellung. Das Trio konnte aber nur deshalb einen guten Eindruck machen, weil die Dienste nichts zu verbergen haben. Sie leisten gute Arbeit in der Bekämpfung von organisierten Kriminellen und Terroristen. Die Enthüllungen des früheren NSA-Mannes Edward Snowden machen diese Arbeit schwieriger.

Das wird immer behauptet. Konkrete Beispiele gibt es keine.

Glees: Das ist problematisch, weil man über Einzelheiten gerade nicht reden sollte. Zweifellos kann man aber sagen: Die Kommunikation von Extremisten im Internet ist deutlich weniger geworden, die Dienste wissen weniger als zuvor.

Wollen Sie wirklich sagen, die potenziellen Terroristen hätten mit ihrer Beobachtung nicht gerechnet?

Glees: Sehr viele dieser Leute kennen sich mit technischen Details nicht gut aus. Durch Snowden kam die Reichweite unserer Dienste ans Licht. Die Veröffentlichungen des „Guardian“ haben die Arbeit der Geheimdienste erschwert und damit die Sicherheit des Landes gefährdet.