Bundesagentur für Arbeit schlägt Sanktionen und schärfere Kontrollen vor. Städte und Gemeinden: Das Thema gehört in die Koalitionsgespräche

Berlin. Wenn es nach der Bundesagentur für Arbeit (BA) geht, kommen auf Hartz-IV-Empfänger im kommenden Jahr einschneidende Änderungen zu. In einem Forderungskatalog für eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die derzeit über Reformen bei Hartz IV berät, plädiert die Behörde für schärfere Sanktionen und Kontrollen sowie Leistungskürzungen. Wer dreimal einen Termin im Jobcenter versäumt, „dessen Leistungen werden vorläufig eingestellt“, lautet ein Vorschlag. „Einladungsresistente Leistungsberechtigte“ könnten so zur „Vorsprache im Jobcenter“ bewegt werden, argumentiert die Bundesagentur.

Derzeit wird die Unterstützung lediglich um zehn Prozent gekürzt, wenn ein Arbeitsloser ohne Grund nicht zum Termin erscheint. Außerdem schlägt sie vor, die Hartz-IV-Zuschläge für Alleinerziehende abzuschaffen. „Der Mehrbedarf wird nur noch gewährt, wenn der Leistungsbezieher eine Erwerbstätigkeit ausübt oder an einer Maßnahme zur beruflichen Qualifizierung bzw. Eingliederung in Beschäftigung teilnimmt“, heißt es in dem Forderungskatalog. Die Bundesagentur verlangt auch, den Datenabgleich mit anderen Behörden zu intensivieren, um Missbrauch besser bekämpfen zu können.

Eine Arbeitsgruppe aus Bund und Ländern, in der neben der Bundesagentur auch die kommunalen Spitzenverbände vertreten sind, berät seit dem Sommer im Auftrag der Arbeits- und Sozialministerkonferenz über „Rechtsvereinfachung im SGB II“. Dabei geht es nicht nur um die Verfahren, sondern auch um das Leistungsrecht. In einem Zwischenbericht listet die Arbeitsgruppe 124 Verbesserungsvorschläge auf, die diskutiert werden – darunter auch die BA-Forderungen. Einen Konsens gibt es bislang nur in wenigen Punkten. „Eine abschließende Bewertung bleibt einem gegebenenfalls folgenden Gesetzgebungsverfahren vorbehalten“, heißt es in dem Zwischenbericht.

Städte, Gemeinden und Landkreise fordern, dass die Vorschläge auch Eingang in die Koalitionsverhandlungen von CDU/CSU und SPD finden. „Nach wie vor ist unser Sozialsystem, insbesondere die Organisation der Hartz-IV-Leistungen, zu kompliziert und zu bürokratisch“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg. Ziel müsse es sein, die Verfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen. „Die in diese Richtung gemachten Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe müssen jetzt zügig umgesetzt werden“, forderte Landsberg. „Wir hoffen sehr, dass die Vorschläge der Arbeitsgruppe in den Koalitionsverhandlungen eine Rolle spielen werden“, sagte die zuständige Sozialdezernentin des Deutschen Landkreistages, Irene Vorholz. Das Leistungsrecht sei unnötig kompliziert. „Wir müssen den Jobcentern die Arbeit erleichtern, das Handwerkszeug ist zu sperrig.“

Die Linkspartei reagierte empört. „Was da hinter verschlossenen Türen verhandelt wird, ist nichts anderes als eine Giftliste“, sagte Parteichefin Katja Kipping. Der Vorschlag, Arbeitslosen die Leistung zu streichen, wenn sie dreimal einen Termin versäumen, sei verfassungswidrig. „Da wird Schlimmes noch schlimmer gemacht“, kritisierte die Politikerin. Hartz IV sei eine Gesetzgebungsruine. „Verfassungswidriger Regelsatz, grundrechtswidrige Sanktionen, Monsterbürokratien, es gibt so viele Baustellen, dass eigentlich ein Neubau hermuss.“

Der zuständige BA-Vorstand Heinrich Alt verteidigte die Vorschläge. „Wir sollten das Leistungsrecht einfacher machen, um mehr Zeit dafür zu haben, die Menschen in Ausbildung und Beschäftigung zu bringen“, sagte er. Darauf zielten die Rechtsvereinfachungsvorschläge von Bund, Ländern und Bundesagentur. Es gehe aber auch darum, „kritisch die Anreizsysteme zu überdenken, die manchmal in die falsche Richtung weisen“. Bei der Alleinerziehendenzulage stelle sich zum Beispiel die Frage, „ob man diese nicht lieber Müttern gibt, die sich aktiv um Arbeit kümmern, sich ausbilden lassen, etwas für ihre Integration in die Gesellschaft tun, und nicht pauschal denjenigen, die passiv staatliche Leistungen beziehen.“ Der Vorstand räumte ein: „Wenn wir es einfacher machen wollen, wird es sicher auch wieder etwas ungerechter werden. Aber wenn wir nicht bereit sind zu etwas mehr Ungleichheit, wird das System so komplex bleiben.“

Teilweise dürfte das komplexe System durch die Vorschläge der Bundesagentur aber noch komplexer gemacht werden. So will sie den Datenabgleich mit anderen Behörden ausbauen, um Hartz-IV-Betrügern auf die Schliche zu kommen. So könnten nicht angegebene Lebensversicherungen und Immobilien mit einem automatischen Datenabgleich bei Versicherungsunternehmen und Grundbuchämtern aufgespürt und so Leistungsmissbrauch aufgedeckt werden. Bislang werden die Daten nur vierteljährlich abgeglichen, nach den Vorstellungen der BA soll dies künftig monatlich geschehen. Im Visier hat die Behörde auch Hartz-IV-Empfänger, die im Internet Geschäfte machen. Die Behörde geht davon aus, dass auch Hartz-IV-Empfänger „Einkünfte im Internet durch Handel und Dienstleistungen erzielen, ohne dies dem Jobcenter mitzuteilen“. Eine stärkere Überprüfung könne hier Missbrauch bekämpfen.

Auch mit Selbstständigen, die mit Hartz IV aufstocken, beschäftigt sich die Bund-Länder-Arbeitsgruppe. Bei „unrentabler Selbstständigkeit“ sollte ihr Leistungsanspruch auf 24 Monate begrenzt werden, lautet ein Vorschlag. Der Deutsche Landkreistag plädiert für eine Streichung der Lernförderung im Bildungspaket für Hartz-IV-Kinder. Die Kreise sehen hier die Schulen in der Pflicht: „Auswirkungen eines unzureichenden Lernniveaus bleibt in der Verantwortung der Schule.“

Nicht durchsetzen konnten sich allerdings Maßnahmen, mit denen die große Zahl von Klagen und Widersprüchen gegen Hartz IV verringert werden sollte. So wollte Rheinland-Pfalz eine Gebühr von 20 Euro für jede Hartz-IV-Klage einführen. Außerdem schlug das Land ein Schiedsverfahren mit Anwesenheitspflicht der Kläger vor. Bund, Länder und Bundesagentur lehnten das ab.

Städtebund-Vertreter Landsberg forderte, insbesondere die Anrechnung von Einkommen und Vermögen müsse einfacher ausgestaltet werden. Das würde auch die Verständlichkeit der Bescheide erhöhen und einen Beitrag dazu leisten, die Klagen gegen die Bescheide einzudämmen.

Einig ist man sich, den Bewilligungszeitraum zu verlängern. „Wir schlagen im Konsens vor, Hartz IV nicht länger nur für sechs Monate, sondern gleich für ein ganzes Jahr zu bewilligen“, sagte Vorholz. „Das halbiert in den Jobcentern – und bei den Antragstellern – die Arbeit und schafft Raum für das wichtige Fallmanagement.“

Es gehe nicht um die Einschränkung von Rechten oder Kürzungen für die Hartz-IV-Empfänger, sondern um eine bessere Handhabung des Gesetzes in den Jobcentern, betonte Vorholz. Einzelne Beschlüsse führten sogar zu Leistungsausweitungen, etwa die Möglichkeit für Hartz-IV-Empfänger, Darlehen vom Jobcenter zu bekommen. „Dies erleichtert komplizierte Verrechnungen mit dem Regelsatz.“