In den Koalitionsgesprächen ist ein neuer Vorschlag zum Thema zweifache Staatsbürgerschaft auf dem Tisch

Berlin . Die sich anbahnende Große Koalition hat ein Projekt ins Auge gefasst, das das Verhältnis zwischen Deutschen und Einwanderern völlig neu definieren würde: die doppelte Staatsbürgerschaft. In den Koalitionsverhandlungen spielt das Thema eine große Rolle. „Ohne Doppelpass keine Große Koalition“, zitierte die türkische Zeitung „Hürriyet“ jüngst die Vizevorsitzende der SPD, die Hamburger Bundestagsabgeordnete Aydan Özoguz.

In der ersten Sitzung der Koalitionsgruppe „Integration und Migration“ zu Beginn der Woche ist das Thema lediglich angetippt worden. Die SPD will die doppelte Staatsbürgerschaft generell einführen und die Optionspflicht streichen. „Unsere Forderung ist auf dem Tisch: Wir wollen die Optionspflicht abschaffen und die Mehrstaatlichkeit ermöglichen“, sagt Özoguz.

Bislang erlaubt Deutschland nur Bürgern der EU und der Schweiz zwei Pässe. Israelis und USA-Bürger etwa bekommen ohne allzu große Umstände Papiere beider Länder. Für Bürger aller anderen Länder müssen besondere Voraussetzungen vorliegen. Die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft ist vor allem eine Frage der Türken. In Deutschland geborene Kinder türkischer Eltern erhalten seit Januar 2000 den deutschen Pass. Zwischen 18 und 23 Jahren müssen sie sich jedoch entscheiden und einen der beiden Pässe wieder abgeben (Optionsmodell). Wer sich nicht bei den Behörden meldet, verliert automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft. Aus Sicht von Wissenschaftlern ein „integrationspolitischer Fehlschlag“.

Für die Union jedoch ist die Optionsregelung bereits ein großer Kompromiss. CSU-Chef Horst Seehofer zeigte nun überraschend Handlungsbereitschaft und brachte den Vorschlag einer „ruhenden Staatsbürgerschaft“ ins Spiel. Hält sich ein Deutscher türkischer Abstammung in der Türkei auf, geht die deutsche Staatsbürgerschaft in eine Art Schlafmodus, wählen etwa darf derjenige dann nur in der Türkei. Kehrt er nach Deutschland zurück, wird die deutsche Staatsbürgerschaft wieder aktiviert. So eine Regelung gibt es etwa zwischen Spanien und lateinamerikanischen Ländern.

Um Seehofers Vorschlag umzusetzen müsste Deutschland mit der Türkei ein zwischenstaatliches Abkommen verhandeln. Nicht nur Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) ist gegen Seehofers Vorschlag. „Ich sehe aufgrund unserer bisherigen Erfahrungen nicht, welchen Vorteil ein solches Modell haben sollte“, sagt auch SPD-Vize Aydan Özoguz. „Wir nehmen Mehrstaatlichkeit ja in vielen Fällen schon hin.“

Nun gilt es einen neuen Vorschlag zu verhandeln: Einen „Doppelpass mit Generationenschnitt“. Das Modell hat der Sachverständigenrat Deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) entwickelt. Demnach sollen in Deutschland geborene Kinder von Zuwanderern den Doppelpass bekommen – und zwar lebenslang. Diese wiederum sollen ihren Kindern aber die Staatsangehörigkeit ihrer Großeltern nicht mehr automatisch, sondern nur noch auf Antrag weitergeben. In der vierten Generation dann soll keine Weitergabe mehr möglich sein. Mit einem solchen Generationenschnitt soll vermieden werden, dass Personen die Staatsangehörigkeit eines Landes besitzen, das ihre Familien bereits vor Generationen verlassen haben. Es gibt Stimmen aus der Union, die den Vorschlag „vernünftig“ finden. Schließlich verhindert eine solche Regelung eine unbegrenzte Weitergabe der Staatsangehörigkeit nach dem „ius sanguinis“ (Abstammungsprinzip) und so eine Anhäufung von Mehrfachstaatsangehörigen. Es wirft vor allem demokratietheoretische Probleme auf, wenn Personen in Staaten wählen können, von deren Gesetzgebung sie kaum betroffen sind. Andererseits: Auch für diese Regelung müsste die Grundlage ein Abkommen zwischen Deutschland und der Türkei sein. Die Regierung in Ankara dürfte nur schwer zu überreden sein, einer Aufgabe der türkischen Staatsbürgerschaft für die dritte, spätestens vierte Einwanderergeneration zuzustimmen. Die große Schlacht findet wohl am Donnerstag nächster Woche statt. Dann wollen die Untergruppe „Migration“ und die Arbeitsgruppe „Innen und Recht“ gemeinsam über den Doppelpass reden.

Am Freitag herrschte beim Treffen der Koalitionsgruppe gute Stimmung. „Wir sind sehr gut im Gespräch“, sagt Markus Ulbig, sächsischer Innenminister (CDU). „Allerdings stehen die Themen, die schwierig zu verhandeln sind, ja erst noch an: Asyl, doppelte Staatsbürgerschaft. Der Vorschlag des SVR ist sicherlich der komplizierteste.“

Beim Thema „Willkommenskultur“ hingegen ist man sich einig – die gilt es zu verbessern. „Die Ausländerbehörden müssen auch Dienstleister sein, da müssen wir umdenken“, sagt Ulbig. „Das darf und muss nicht viel Geld kosten, die Willkommens-Botschaft können vor allem auch die Mitarbeiter der Behörden aussenden.“ Sachsen könnte da Modell sein. Vor zwei Jahren führte Ulbig das Projekt „Akzess“ ein. Fachkräfte und Forscher werden in den Ausländerämtern in Dresden, Leipzig und Chemnitz bevorzugt behandelt. In vier Wochen wird über Aufenthaltstitel und Arbeitsgenehmigung entschieden. Das ostdeutsche Bundesland mit der stärksten Wirtschaft fand für viele Positionen nicht die passenden Bewerber.

Der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Manfred Schmidt, hatte angeregt, gut ausgebildeten Flüchtlingen ein Asylverfahren zu ersparen und ihnen schnell Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen. In der Union ist die Meinung dazu gespalten. Friedrich ist skeptisch, ein „humanitäres Problem mit den Mitteln der Arbeitsmigration“ lösen zu wollen.

Die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer und Ulbig sprachen sich für eine Vorstufe des Asylverfahrens aus, in der geprüft werden soll, ob ein Flüchtling als Arbeitsmigrant infrage kommt. „Von jährlich 100.000 Antragstellern aus Asyl haben zehn Prozent eine höhere Qualifikation“, sagte Ulbig. „Dieses Potenzial dürfen wir nicht verschenken.“ Bislang müssen Flüchtlinge das Land wieder verlassen, wenn sie nicht als politisch Verfolgte eingestuft werden – egal wie gut sie ausgebildet sind.