Der SPD-Chef empfängt heute die Union im Willy-Brandt-Haus. Diesmal geht es bei den Koalitionsverhandlungen um Geld und den Mindestlohn

Berlin. Vom Pförtnerhaus unten im Willy-Brandt-Haus kann man auf Monitoren das Geschehen in vielen Räumen überwachen. Aber die SPD ist ja nicht die NSA – und dürfte unbotmäßige Überwachungen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und den anderen Unions-Politikern wohl unterlassen. Es ist sicher ein kleines vertrauensbildendes Signal, dass sich die 45 Verhandler von CDU/CSU an diesem Mittwoch gleich in der SPD-Zentrale treffen, um zunächst intern die zweite große Runde der Koalitionsverhandlungen vorzubereiten – bevor sie dort am Mittag im Hans-Jochen-Vogel-Saal mit den 30 SPD-Verhandlern zusammenkommen.

Damit Fotografen nicht in die gläsernen Konferenzräume reinfotografieren können, wird eigens eine Sichtschutzfolie angebracht. Nach einer Woche Koalitionsverhandlungen mit dem Start fast aller zwölf Arbeitsgruppen und vier Unterarbeitsgruppen soll es vor allem beim Thema Europapolitik erste Ergebnisse geben. Etwa wie die rasche Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Bisher stocken die Verhandlungen dafür auf EU-Ebene. Negative Folgen auf Kleinanleger und Unternehmen wollen Union und SPD vermeiden und „unerwünschte Formen von Finanzgeschäften“ zurückdrängen, heißt es in einem Eckpunktepapier, das die große Runde beschließen soll.

Zudem soll eine verstärkte Privatisierung der Wasserversorgung verhindert werden. Die EU-Kommission hatte mit einer neuen Richtlinie für massiven Protest gesorgt. Rund 1,5 Millionen Menschen forderten in der ersten europäischen Bürgerinitiative einen Verzicht auf die Privatisierung der Trinkwasserversorgung. Schließlich wurde im Juni der Wasserbereich aus der Konzessionsrichtlinie ausgeklammert – viele Stadtwerke atmeten auf. Union und SPD betonen: „Nationale, regionale und lokale Besonderheiten in der öffentlichen Daseinsvorsorge dürfen durch europäische Politik nicht ausgehebelt werden.“ Unter anderem die Wasserversorgung gehöre zum Kernbestand staatlicher Aufgaben.

Parallel zu den Koalitionserhandlungen ist SPD-Chef Sigmar Gabriel derzeit damit beschäftigt, alle Spekulationen über Zahl und Art der Ministerien einzufangen – denn viele Mitglieder an der Basis hegen den Verdacht, der Parteispitze in Berlin gehe es nur um schöne Posten. In der SPD-Zeitung „Vorwärts“ versicherte er nun, eine große Koalition komme nur, wenn es keine faulen Kompromisse gebe. Die ersten geplanten Beschlüsse dürften für beide Seiten in Ordnung sein.

Aber von nun an geht es ans Eingemachte, um die Streitpunkte wie die SPD-Forderung nach 8,50 Euro gesetzlichem Mindestlohn – und ums Geld. Gabriel bemängelt, dass es kaum Finanzierungsvorschläge der Union für deren Wunschprojekte gebe. Dazu gehören höhere Renten für Mütter, die vor 1992 Kinder zur Welt gebracht haben. Und es soll ja auch mehr Geld für Bildung und Kommunen geben. „Die müssen jetzt mal Butter bei die Fische tun“, meint Gabriel. Steuererhöhungen sind aber für die Union erklärtermaßen eine rote Linie – der amtierende Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) scheint sich daher nun von dem Ziel zu verabschieden, 2015 mit dem Schuldenabbau zu beginnen.

Bei Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU) sowie den Generalsekretären Hermann Gröhe (CDU), Alexander Dobrindt (CSU) und Andrea Nahles (SPD) laufen die Fäden zusammen – sie müssen die Arbeit der AGs in Beschlusspapiere für die große Runde gießen. Dobrindt und Nahles waren jüngst abends beim Italiener essen, um Vertrauen aufzubauen. Doch das Abtasten mündet bald in die Entscheidungsphase. Damit nicht in der anvisierten finalen großen Runde am 26. und 27. November alle Streitfragen gelöst werden müssen, sollen bestimmte Felder Stück für Stück abgehakt werden, als erstes nun Europa.

Mit gegensätzlichen Positionen beim Reizthema Pkw-Maut haben unterdessen am Dienstag die Koalitionsgespräche zur Verkehrspolitik begonnen. Dass dieser Punkt strittig werde, sei jetzt schon deutlich, sagt SPD-Verhandlungsführer Florian Pronold zur Auftaktsitzung der schwarz-roten Arbeitsgruppe. Den Dissens in diesem „Detailpunkt“ der Finanzierung von mehr Investitionen in die Verkehrswege gelte es, „in irgendeiner Form“ zu lösen. Der amtierende Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) verspricht zu der von der CSU verlangten Pkw-Maut für Ausländer, es solle keine Zusatzbelastungen für in Deutschland zugelassene Autos geben. An der Vereinbarkeit einer Maut, die nur Ausländer zahlen müssen, mit dem EU-Recht gibt es aber erhebliche Zweifel. Die SPD und die CDU-Spitze lehnen eine generelle Pkw-Maut ab.

Pronold und Ramsauer konstatieren aber auch Übereinstimmung in mehreren Feldern. Für das große Ziel, mehr Investitionen zum Erhalt von Schienen und Straßen zu sichern, zum Beispiel, aber auch für das Ziel des bezahlbaren Wohnens. Auf diesen Feldern gibt es aber bis Ende November noch viel Gesprächsstoff.

Vom Gesamtergebnis wird abhängen, ob die Mehrheit der rund 470.000 SPD-Mitglieder am Ende der großen Koalition zustimmen wird. Wenn die Sache positiv ausgeht, soll Merkel etwa Mitte Dezember zur Kanzlerin wiedergewählt werden. Bei der Ressortverteilung dürfte viel davon abhängen, ob die SPD das Finanzministerium beansprucht – so könnte man Merkel wegen der Hoheit über die Kasse besser Paroli bieten. Bisher weiß so mancher SPD-Politiker noch gar nicht, was eigentlich beim mittendrin vom 14. bis 16. November stattfindenden Parteitag in Leipzig beraten werden soll. Der linke Parteiflügel möchte gerne ausführlich über die Gründe für das zweitschlechteste Wahlergebnis (25,7 Prozent) seit 1949 sprechen. Und wie trotz großer Koalition eine Annäherung an die Linken gelingen könnte. Vor lauter Koalitionsverhandlungen spielen diese Fragen aber gerade keine Rolle.