Parteilinke Simone Peter ist Kovorsitzende neben dem Realo Cem Özdemir. Die Partei verharrt im Richtungsstreit

Hamburg. Es gibt einen kurzen Moment auf dem Grünen-Parteitag, der die Misere in ihrer Tragweite aufblitzen lässt. Am Sonnabendabend, stundenlang haben die Grünen debattiert, ihr altes Führungspersonal verabschiedet und die Parteispitze gewählt. Da tritt das neue Führungstrio vor die Bühne.

Cem Özdemir, der alte und neue Parteichef, Realo, wiedergewählt mit einem miserablen Ergebnis, nur 71,4 Prozent, mit Abstand sein schlechtester Wert seit seinem Amtsantritt 2008. Und Simone Peter, die neue Kovorsitzende vom linken Parteiflügel, bundespolitisch unerfahren, Nachfolgerin der schrillen Übermutter Claudia Roth. Eine Unbekannte auch für viele in der Partei, 13 Prozent Enthaltungen, 75,9 Prozent Jastimmen. Und dann noch der neue Bundesgeschäftsführer Michael Kellner, ebenfalls von den Parteilinken, weitgehend unbekannt. Nachfolger von Steffi Lemke.

Die drei stellen sich also für die Pressefotografen auf. Das erste Foto der neuen Grünen-Spitze. Es wird in das Fotoalbum der Grünen-Geschichte eingehen. Und was macht die Parteitagsregie? Der Diskussionsleiter ruft das Spitzentrio streng zur Ordnung und fordert sie auf, den Ablauf nicht weiter zu stören. Es soll ja schließlich weitergehen – und zwar mit der Wahl des Bundesschatzmeisters. Auch wichtig, klar. Das Trio trollt sich ohne Widerworte.

Der Moment steht für den Zustand der Grünen nach der herben Niederlage bei der Bundestagswahl. Sie verheddern sich in ergebnisloser Selbstbeschäftigung und unterschätzen, dass es in der schwierigen Neuausrichtung auf starke Führungsfiguren ankommt. Sie schicken die Neuen weg von der Bühne und vertiefen sich lieber in die Debattenordnung. Und in den Diskussionen zwischen Freitag- und Sonntagmittag wie in der Wahl des Führungspersonals zeigt sich große Unentschlossenheit.

Mit viel Wehmut wird nach elfeinhalb Jahren das langjährige Gefühlszentrum der Partei, die 58-Jährige Claudia Roth, verabschiedet, wie ein Popstar fast. Mehrfach stehen die rund 800 Delegierten zu minutenlangem Applaus auf. Doch statt der Nachfolgerin Rückhalt zu geben, damit sie schnell aus Roths Schatten treten kann, wird Simone Peter mit einem schwachen Ergebnis als Vorsitzende installiert. Und bei Özdemir scheinen sich die meisten einig zu sein, dass er nach der Schlappe bei der Bundestagswahl nicht ungestraft als Parteivorsitzender überleben darf. Aber einen ernst zu nehmenden Gegenkandidaten finden sie dann nicht. Heraus kommt eine neue Spitze, die beim ersten Gruppenfoto gerupft dasteht.

Simone Peter bleibt blass auf dem Parteitag. Die 47-Jährige frühere saarländische Umweltministerin ist nervös bei ihrer Bewerbungsrede. Eine „radikale“ Neuausrichtung hält sie nicht für erforderlich. „Wir können aus Fehlern lernen, ohne unsere Grundfeste infrage zu stellen.“ Die Grünen seien eine „moderne Partei der linken Mitte“. Die promovierte Mikrobiologin hat sich im Saarland als Ministerin der früheren Jamaika-Koalition mit CDU und FDP einen Ruf als resolute Führungsfrau erworben. Auf dem Parteitag aber klingt sie noch vorsichtig und zurückhaltend.

Peters Schwerpunkte liegen auf Ökologie und sozialer Gerechtigkeit. Dass sich die Grünen nach der Wahlschlappe mit einem Programm aus Steuererhöhungen und Verbotsvorhaben nun allein auf das Ökologie-Thema konzentrieren sollten, wie manche fordern, hält sie für falsch. Ihre Mutter war Arbeitsministerin in der Regierungszeit von Lafontaine, sie leitete die von der Bundesregierung unterstützte Agentur für Erneuerbare Energien. An den Sondierungsgesprächen mit CDU und CSU war sie noch nicht beteiligt, aber sie hat bereits klargemacht: Sie steht nicht als Notlösung für weitere Verhandlungen mit der Union zur Verfügung, falls die Große Koalition noch scheitert. Hier klafft der Unterschied zum Kovorsitzenden Özdemir, der die Grünen dafür bereithalten will.

Nur die scheidende Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke kommt zum entscheidenden Punkt: Die Partei sehe sich bald als kleinste Oppositionskraft einer Großen Koalition gegenüber und habe eine kampfeslustige Linkspartei neben sich: „Wie öffnet man sich da eigentlich in Richtung Angela Merkel und gleichzeitig in Richtung Linkspartei?“ Weder Özdemir noch Peter haben darauf eine Antwort.