Innenminister Friedrich warnt vor Missbrauch der EU-Freizügigkeit. Andere fordern leichtere Zuwanderungsmöglichkeiten

Brüssel. Müssen die Grenzen der Europäischen Union für Flüchtlinge und Asylsuchende aus Krisengebieten außerhalb der EU stärker geöffnet werden? Soll das Recht für EU-Bürger, sich innerhalb Europas frei bewegen zu können, eingeschränkt werden? Diese beiden Fragen werden die europäische Debatte in den kommenden Tagen dominieren. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) forderte, das Recht auf Freizügigkeit in bestimmten Fällen massiv einzuschränken. „Wir müssen die Möglichkeit schaffen, bei Missbrauch des Freizügigkeitsrechts auszuweisen und die Wiedereinreise von Ausgewiesenen zu verwehren. Die Freizügigkeit umfasst nicht das Recht, Leistungen zu erschleichen“, sagte Friedrich. EU-Justizkommissarin Viviane Reding hatte dagegen kürzlich erklärt: „Populistische Bangemacherei über einen ‚Wohlfahrtstourismus‘ hat keinen Platz in Europa.“

Beim Treffen der EU-Innenminister am heutigen Dienstag in Luxemburg dürfte der richtige Umgang mit dem Recht auf Freizügigkeit zu heftigen Kontroversen führen. Zunächst einmal steht bei den Beratungen aber ein anderes Thema im Vordergrund: Nach der Flüchtlingstragödie vor der italienischen Insel Lampedusa mit rund 350 Toten steigt der Druck auf die europäische Zuwanderungspolitik. Die EU-Innenminister wollen sich auf Antrag von Italien und Frankreich hin ausführlich mit der Flüchtlingsproblematik beschäftigen. „Das Mittelmeer kann kein riesiger Friedhof unter freiem Himmel bleiben“, sagte etwa Frankreichs Außenminister Laurent Fabius.

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning (FDP), rief zu einer neuen Haltung gegenüber Flüchtlingen auf. Er forderte mehr legale Zuwanderungsmöglichkeiten: „Wir müssen uns insgesamt offener zeigen und auch mehr auf Humanität setzen“, sagte Löning. Europa müsse „Ventile öffnen für eine vernünftige, geregelte Zuwanderung“. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz betonte, die Flüchtlinge müssten in Zukunft gerechter auf die EU-Mitgliedstaaten verteilt werden. „Das heißt auch, dass Deutschland zusätzliche Menschen aufnehmen muss“, sagte Schulz der „Bild“-Zeitung.

Die Bundesregierung wies diese Forderung umgehend zurück. Die Zahl der Asylbewerber steige in Deutschland, sagte Regierungssprecher Stefan Seibert. Es gehe darum, die Lebensverhältnisse der Flüchtlinge in ihren Heimatländern zu verbessern. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums ergänzte, dass etwa Italien im vergangenen Jahr 15.000 Asylbewerber aufgenommen habe, während es in Deutschland 65.000 gewesen seien.

Kritiker werfen der EU immer wieder vor, sich gegen Flüchtlinge abzuschotten und sie damit in die Hände von kriminellen Schleusern oder gar in den Tod zu treiben. Nach Angaben der Internationalen Gesellschaft für Migration starben in den vergangenen zwei Jahrzehnten rund 25.000 Flüchtlinge bei der Überfahrt auf dem Meer. Länder wie Deutschland wollen die Schleuserkriminalität stärker bekämpfen. Die EU-Kommission wiederum drängt auf offenere Grenzen im Rahmen von sogenannten Mobilitätspartnerschaften, um legale Zuwanderung zu vereinfachen. Die EU versucht zudem die Überwachung von Flüchtlingen auf See durch ein neues System mit dem Namen „Eurosur“ zu verbessern, um auch bei Seenot besser helfen zu können.

Neben dem Flüchtlingsproblem steht auch die Armutseinwanderung innerhalb der EU auf der Tagesordnung der Innenminister. Die Fachminister aus Deutschland, Österreich, den Niederlanden und Großbritannien hatten im April Maßnahmen gegen EU-Bürger gefordert, welche die Freizügigkeit der Union ausnutzten – mit dem Ziel, gezielt in reicheren EU-Ländern Sozialleistungen zu erhalten. Viele Kommunen in Deutschland klagen über einen starken Zuzug aus Bulgarien und Rumänien, insbesondere von Roma. So haben sich die Sozialleistungen für Bulgaren und Rumänen innerhalb eines Jahres allein in Berlin um 38 Prozent erhöht, in München um 60 Prozent und in Offenbach sogar um 70 Prozent.

Die EU-Kommission hatte die Mitgliedsländer aufgefordert, konkrete Zahlen wie diese vorzulegen. 17 Staaten haben mittlerweile Datenmaterial eingereicht, Reding will die Zahlen nun in Luxemburg vorstellen. Es wird erwartet, dass die energische Kommissarin den beklagten Anstieg von Armutsmigration anzweifeln wird. Die EU-Kommission hatte bereits Ende Mai klargestellt, dass es auch künftig keine „generellen Präventivmaßnahmen wie etwa Ausweisungen“ geben werde.

Die Kontroverse bei der Freizügigkeit dreht sich um drei Fragen: Wann liegt ein Missbrauch des Rechts auf Freizügigkeit vor, wie ist in einem solchen Fall zu verfahren und was kann man im Vorfeld tun? Artikel 35 der Freizügigkeits-Richtlinie sieht vor, bei „Rechtsmissbrauch oder Betrug, zum Beispiel durch das Eingehen von Scheinehen“, den freien Zuzug einzuschränken. Friedrich sagte, das „Freizügigkeitsgesetz gibt nur dem das Recht, zu uns zu kommen, der hier studieren, hier arbeiten und hier Steuern zahlen will“. Wer sich „aber nur aus den Sozialkassen bedienen will“, könne sich nicht auf das Freizügigkeitsrecht berufen.