Ein Blick auf die Zahlen zeigt: Der Staat hat kein Einnahmeproblem. Wenn er mehr investieren will, sollte er Finanzhilfen und Steuersubventionen kürzen

Berlin. Michael Fuchs erhält täglich Dutzende E-Mails. In den vergangenen Tagen bekam der Fraktionsvize der CDU im Bundestag auffällig viele Zuschriften von verärgerten Bürgern. Die machten ihrem Ärger über die neuen Töne aus der Union zu Steuererhöhungen Luft. Nur drei Tage nach der Bundestagswahl hatte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) eine parteiinterne Debatte angestoßen, ob man nicht SPD und Grünen entgegenkommen und die Steuern erhöhen solle. Es wäre der Bruch eines Wahlversprechens – durch das sich viele Unionswähler enttäuscht von der Partei abwenden könnten, wie Fuchs in den Zuschriften besorgt lesen musste. Das dämmert so langsam auch den Parteistrategen – und sie rudern zurück.

In der Debatte um Steuererhöhungen werden viele Fakten durcheinandergebracht. So argumentieren viele Gegner von Steuererhöhungen mit den aktuellen Rekordsteuereinnahmen von mehr als 600 Milliarden Euro. Die steigenden Steuereinnahmen sind allerdings kein gutes Argument gegen höhere Steuern. Denn wenn die Wirtschaft wächst und die Preise moderat zulegen, steigen die absoluten Steuereinnahmen automatisch. Dann erzielt der Staat nahezu Jahr für Jahr und bis in alle Ewigkeit Rekordsteuereinnahmen.

Aussagekräftiger als absolute Einnahmen sind daher relative Größen wie die sogenannte Steuerquote. Sie gibt an, wie viele Steuern der Staat im Verhältnis zur Jahreswirtschaftsleistung einnimmt. Die Steuerquote ist in den vergangenen Jahren auf knapp 23 Prozent gestiegen – und damit auf dem höchsten Stand seit 1980. Diese Zahl belegt, dass der Staat derzeit ausreichend finanziert ist. Das spiegelt sich auch im Bundeshaushalt wieder: Laut Finanzplanung wird der Bund ab 2016 Milliardenüberschüsse einfahren. Auch das spricht dagegen, dass Steuererhöhungen unumgänglich sind, um mehr Geld für Investitionen freizumachen.

Die Befürworter von Steuererhöhungen argumentieren, die Einnahmen reichten dennoch nicht aus, weil mehr Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Kommunen nötig seien. Richtig ist: Der Staat muss in den nächsten Jahren den Investitionsstau in der Infrastruktur auflösen. Auf ihn kommen Milliardenkosten zu. An der Steuerschraube muss er dafür aber nicht zwangsläufig drehen. „Die Mehrausgaben für Infrastruktur kann der Staat durch Umschichtungen im Haushalt schultern“, meint Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW Köln).

Im vergangenen Jahrzehnt hat der Staat einige unsinnige Subventionen abgeschafft, loben Experten. Aber die Politik hat auch immer wieder fragwürdige Wahlgeschenke verteilt. Ein paar Beispiele: Durch die Abschaffung der Praxisgebühr fehlen den Krankenkassen 1,8 Milliarden Euro. Das unsinnige Betreuungsgeld schlägt jährlich mit 1,2 Milliarden Euro zu Buche. Das 2007 eingeführte Elterngeld lässt sich der Bund 4,5 Milliarden Euro kosten, die 2009 ins Leben gerufene Rentengarantie schlägt mit drei Milliarden Euro ins Kontor. Allein diese Posten machen zehn Milliarden Euro aus.

Auch gibt der Staat weiterhin eine Menge Geld für fragwürdige Finanzhilfen und Steuererleichterungen aus. Allein für die 20 größten Subventionen sind es jährlich rund sechs Milliarden Euro. Die Pendlerpauschale etwa kostet den Steuerzahler 4,5 Milliarden Euro. Noch viel länger ist die Liste der Steuersubventionen: Die Absetzbarkeit der Kirchensteuer belastet den Bundeshaushalt mit 2,8 Milliarden Euro. Gleiches gilt für die Absetzbarkeit von Spenden, wodurch dem Staat 1,9 Milliarden Euro entgehen. Zwei Milliarden Euro kostet die Steuerbefreiung von Zuschlägen für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit.

Auch die Wirtschaft wird vom Staat mit Steuerausnahmen gepampert: Zahntechniker erhalten Umsatzsteuerrabatte, Bausparkassen zahlen gar keine Mehrwertsteuer, Küstenfischer sind von der Gewerbesteuer befreit. Luftfahrtindustrie, Landwirtschaft, Binnenschifffahrt und der öffentliche Nahverkehr können sich über Steuererleichterungen bei der Mineralölsteuer in Höhe von 1,4 Milliarden Euro freuen. Bei Strom und Energie werden Unternehmen jährlich um 7,4 Milliarden Euro entlastet. Laut Bundesrechnungshof gibt es allein beim Bund 25 Milliarden Euro „Luft im Haushalt“. Und Mehreinnahmen aus dem Streichen von Subventionen und Steuervergünstigungen sind nicht der einzige Schatz, den der Staat heben könnte. 60 Milliarden Euro jährlich könnte er sparen, wenn er effizienter arbeiten würde.

Und dennoch dürfte für die Politik die Versuchung groß sein, über einen höheren Spitzensteuersatz mehr einzunehmen. Denn alle Parteien haben im Wahlkampf eine Reihe teurer Versprechen gemacht: So würde allein die geplante Lebensleistungsrente zwei Milliarden Euro kosten. Alle Wahlversprechen der CDU summieren sich auf rund 30 Milliarden Euro.

Der Noch-Koalitionspartner der CDU, die FDP, hat gerade erfahren müssen, wo es hinführen kann, wenn eine Partei ihre Steuerversprechen nach der Wahl bricht. Wenn die Union trotz anderer Ankündigungen an der Steuerschraube drehe, sei er jedenfalls schwer enttäuscht, schrieb ein Bürger in einer E-Mail an CDU-Politiker Fuchs. „Dann habe ich das letzte Mal CDU gewählt.“