Vor den Sondierungsgesprächen zwischen Union und SPD trommeln Lobbygruppen lautstark für ihre teuren Forderungen

Berlin. Am heutigen Freitag wird es ernst. Union und SPD kommen zu ersten Sondierungsgesprächen zusammen. Es werden keine leichten Verhandlungen. In einigen Bereichen wie der Steuerpolitik liegen beide Parteien inhaltlich weit auseinander.

Doch auch der Druck von außen ist groß. Die Wunschliste von Bundesländern und Kommunen, Gewerkschaften und Arbeitgebern an die Verhandlungsführer von Union und SPD ist lang. Bevor die Gespräche starten, haben Lobbygruppen in den vergangenen Tagen deshalb nochmals lautstark für ihre Forderungen getrommelt. Das Abendblatt gibt einen Überblick über die teuren Wünsche der Interessengruppen.

Bundesländer: Die Länder dringen vor der ersten Sondierungsrunde auf finanzielle Erleichterungen – natürlich für sich selber. „Wenn der Bund so solide dasteht, wie Merkel und Schäuble es darstellen, haben wir nichts dagegen, die Steuerverteilung so zu verändern, dass die Länder mehr bekommen“, sagte Carsten Kühl (SPD), Finanzminister in Rheinland-Pfalz. Die Länder benötigten rund zehn Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich.

Auch Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) fordert mehr Geld. „Wir setzen als Landesregierung seit vielen Jahren einen Schwerpunkt bei den Kitas. Da brauchen wir mehr Unterstützung vom Bund“, sagte Sellering. Ein anderes wichtiges Thema sei die Angleichung der Renten zwischen Ost und West. „Es wird von vielen Menschen in den anderen ostdeutschen Ländern als große Ungerechtigkeit empfunden, dass es 23 Jahre nach der deutschen Einheit immer noch eine Rente Ost und eine Rente West gibt“, sagte Sellering. Zudem fordert er vom Bund „verlässliche Rahmenbedingungen“ für den Bau von Offshore-Windparks und eine Begrenzung des Strompreis-Anstiegs.

Seinem Kollegen Reiner Haseloff (CDU) ist das Thema Altersarmut besonders wichtig. „Aufgrund der Brüche in den Erwerbsbiografien vor allem in den ersten 15 Jahren nach der Einheit mit vielen Langzeitarbeitslosen kommt hier ein besonderes Problem auf uns zu“, sagte Haseloff. Wichtig sei auch eine Fortsetzung des Projekts Bürgerarbeit für ganz Deutschland, bei der so Bürgerarbeitsplätze abseits des Arbeitsmarktes zur Verfügung gestellt werden. Das Projekt läuft Ende 2014 aus. Haseloff und Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) verlangten zudem, die Zukunft des Solidaritätszuschlags zu thematisieren.

Aus dem Saarland wurde die Forderung laut, den Soli künftig zur Tilgung der Länderschulden einzusetzen. Sachsen fordert nationale Kompetenzzentren für einzelne Wirtschaftszweige, Bayern setzt sich für eine Regionalisierung der Erbschaftssteuer ein. „Für NRW ist entscheidend, dass es mehr Investitionen in Bildung und Infrastruktur und mehr Hilfen für die Kommunen gibt“, erklärte ein Sprecher von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD).

Kommunen: Der Städtetag veranstaltete diese Woche eine Pressekonferenz, um nochmals auf die Nöte der Kommunen aufmerksam zu machen. Die Gemeinden fürchten, dass sie auf den Kosten milliardenschwerer Sozialstaatssegnungen sitzen bleiben. Zwar begrüßt der Städtetag den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz. „Aber wir müssen die Hauptlast tragen, wenn der Bund einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung durchsetzen will“, klagte Städtetags-Chef Ulrich Maly.

Die Bundesregierung soll sich laut Maly stärker an den steigenden Soziallasten der Kommunen beteiligen. So könnte der Bund die Städte bei der Eingliederungshilfe für Behinderte entlasten. Diese kosten jährlich 15 Milliarden Euro. Hier könnte der Bund rund die Hälfte der Kosten übernehmen.

Indes wehren sich die Kommunen gegen den Vorstoß von Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), die Gewerbesteuer abzuschaffen. Stattdessen fordern sie eine Einbeziehung der Freiberufler in die Gewerbesteuer. Außerdem setzt der Städtetag auf eine Mietpreisbremse. Über eine Ausweitung der Lkw-Maut will der Verband den Investitionsstau bei der Infrastruktur auflösen.

Gewerkschaften: Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) verabschiedete die Resolution „Gute Arbeit“, eine Art Sofortprogramm für den Arbeitsmarkt. „Die zukünftige Regierung steht jetzt in der Verantwortung, einen Aufbruch für gute Arbeit und damit auch ein Zeichen für Europa zu setzen“, heißt es darin. Danach soll die Bundesregierung in den ersten 100 Tagen einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro einführen, den Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit gesetzlich verhindern und flexible Übergänge in die Rente für langjährig Versicherte schaffen.

Auch die regionalen Untergliederungen des DGB trommeln vor den Sondierungen für ihre Interessen. So wandte sich der DGB Nord in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Gebraucht werde mehr Einsatz des Bundes für den Ausbau von Bildung, Arbeitsförderung und Infrastruktur im Norden, schreibt der DGB-Nord-Vorsitzende Uwe Polkaehn. Dazu gehöre auch die Sanierung des Nord-Ostsee-Kanals.

Wirtschaft: Der Wirtschaft geht es vor allem darum, Steuererhöhungen zu verhindern. „Mit dem Ausgang der Bundestagswahl haben die Bürger einer leistungsfeindlichen Umverteilung eine klare Absage erteilt“, schreibt der CDU-Wirtschaftsrat in einem gerade veröffentlichten Positionspapier. Statt Steuererhöhungen fordert der Wirtschaftsverband eine Abmilderung der kalten Progression in der Einkommenssteuer. Die sozialen Sicherungssysteme sollen durch den Ausbau der Kapitaldeckung zukunftsfest gemacht werden.

Ganz oben auf der Agenda steht für die Wirtschaft auch das Thema Energiewende. So soll das Erneuerbare-Energien-Gesetz marktwirtschaftlich umgestaltet werden, fordert der CDU-Wirtschaftsrat.

Sozialverbände: Der Sozialverband VdK hat nach den Wahlen seine Forderungen in der bundesweiten Aktion „Endlich handeln!“ erneuert. Die Politik soll vor allem die grassierende Armut bekämpfen. Als eine ihrer ersten Vorhaben soll die Regierung die vollständige Angleichung der Mütterrenten mit drei Kindererziehungsjahren für alle Mütter umsetzen.

Ebenfalls fordert der Verband eine Pflegereform, sodass Pflegebedürftigkeit kein Armutsrisiko mehr sei. Im Gesundheitssystem verlangt der VdK, die Zuzahlungen für Einkommensschwache zu Medikamenten und Hilfsmitteln abzuschaffen.