Katrin Göring-Eckardt und Kerstin Andreae kämpfen um Fraktionsvorsitz. Simone Peter will Parteichefin werden

Berlin. Sie ist weithin unbekannt. Noch vor wenigen Wochen hatte sie niemand auf der Rechnung. Aber jetzt, im großen grünen Personalgerangel nach der verlorenen Bundestagswahl, muss Simone Peter der Partei wie ein Geschenk erscheinen. Denn die 47-jährige Saarländerin, die am Donnerstag ihre Kandidatur für den Bundesvorsitz als Nachfolgerin von Claudia Roth ankündigte, passt genau ins Suchschema. Gesucht wird für die Doppelspitze neben dem bislang als gesetzt geltenden Realo-Mann Cem Özdemir eine Frau, die wie Claudia Roth dem linken Parteiflügel zugerechnet wird. Die aber anders als Roth für eine Öko-Energiewende-Ausrichtung steht, die zudem Regierungserfahrung hat und außerdem weiß, wie man mit der Union verhandeln muss. All das trifft auf Peter zu.

Die Tochter der früheren saarländischen SPD-Sozialministerin Brunhilde Peter war von 2009 bis 2012 Umweltministerin des Bundeslandes in der Jamaika-Koalition mit CDU und FDP. Simone Peter hat also Schwarz-Grün-Erfahrungen, und zwar gute: Die Grünen setzten in der Koalition vieles durch, und sowohl die CDU als auch die Grünen waren sehr zufrieden, wie fair und sachorientiert Peter im Kabinett agierte. Doch dann – das macht Peter für den linken Parteiflügel attraktiv –, als 2012 die Jamaika-Koalition am Totalversagen der Saar-FDP scheiterte, zerzankte sich Peter mit dem saarländischen Ober-Realo Hubert Ulrich. Der sah vor der Neuwahl die Grünen weiter in CDU-Nähe. Peter hingegen setzte an der Saar auf die SPD, auf ein „Regierungsbündnis links der Mitte“, wie sie 2012 sagte. So etwas freut Grüne vom linken Parteiflügel immer.

Heute aber dürfte es Grüne aller Flügel freuen, dass Peter, mittlerweile saarländische Abgeordnete, sich bei demjenigen Thema auskennt, das die Grünen im Bundestagswahlkampf schleifen ließen, nun aber in den Mittelpunkt stellen wollen, bei der Energiewende. Aus ihrer Regierungszeit ist die verheiratete Mutter eines Sohnes damit sowieso vertraut, doch kennt sie jene Materie auch deshalb, weil sie die Agentur für Erneuerbare Energie in Berlin mit aufbaute und dort bis 2009 an maßgeblicher Stelle arbeitete.

Weil somit vieles für Peter spricht, dürfte ihre mangelnde Bekanntheit keine Rolle spielen. Zumal die einzige denkbare Mitbewerberin um den linken Frauenposten an der Parteispitze, Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke, auch nicht gerade eine Popularitätsrakete ist. Aber gerade dies – dass nämlich hier die Bekanntheit nicht so wichtig ist – kann paradoxe Folgen für eine andere Spitzenpersonalie der Grünen haben, in der es am Donnerstag zu einer harten Kontroverse gekommen ist. Es geht um den weiblichen Realo-Posten an der Doppelspitze der Bundestagsfraktion. Da hat nach der Wahlkampf-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt, 47, nun auch die bisherige stellvertretende Fraktionsvorsitzende Kerstin Andreae, 44, ihre Kandidatur bekannt gegeben.

Wer die Chancen der zwei Frauen, die beide dem Realo-Flügel zugerechnet werden, abschätzen will, muss sich die gegenwärtige Lage ansehen: Trittin weg, Roth weg, Künast weg. Trittins Nachfolger dürfte Anton Hofreiter werden – den kaum jemand kennt. Roths Nachfolgerin kann Simone Peter werden – die kaum jemand kennt. Und dann soll Künasts Nachfolgerin die wenig bekannte Andreae werden? Statt der oft schon im Fernsehen gesehenen Göring-Eckardt?

Das Meinungsbild in der neuen Bundestagsfraktion ist noch unübersichtlich, und klären wird sich manches erst am Freitag und Sonnabend, wenn sich die Realos treffen, die Landesvorsitzenden tagen und der Kleine Parteitag (Länderrat) zusammenkommt. Doch nach derzeitigem Stand scheint Göring-Eckardt die besseren Chancen zu haben, obwohl sie genauso wie Trittin für den vermurksten Wahlkampf verantwortlich ist. Und obwohl sie viele Realos enttäuschte, weil sie nach ihrer Wahl zur Spitzenkandidatin nicht wie erhofft in die Mitte ausstrahlte, sondern mit sozialmoralischer Elendsbeschwörung für Ausgabenprogramme warb, die der Steuererhöhungen bedurften.

Aber Göring-Eckardt ist bekannt, Andreae kaum. Zudem hat Andreae trotz ihrer verbindlichen Art interne Gegner. Die Freiburger Wirtschaftsexpertin zählt zu den wenigen, die es vor der Wahl wagten, die Steuererhöhungspläne infrage zu stellen. Dezent in der Öffentlichkeit, deutlich in der Bundestagsfraktion, mahnte Andreae zur Rücksichtnahme auf die Wirtschaft und die Mittelschicht. Heftig wurde Andreae dafür intern gescholten. Natürlich hat sie recht behalten. Aber seit wann werden Leute gewählt, die recht behalten haben?

Göring-Eckardt jedenfalls scheint sich so sicher zu sein, dass sie alles auf eine Karte setzt. Sie legte am Donnerstag ihr Amt als Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) endgültig nieder. Dieses Amt könnte sie als Fraktionschefin nicht ausüben. „Ich sehe nun für mich die Aufgabe, mit ganzer Kraft an der künftigen Entwicklung meiner Partei Bündnis 90/Die Grünen mitzuwirken“, sagte Göring-Eckardt. Da sie auf dieses Kirchenamt verzichtet, scheint sie also fest davon auszugehen, dass sie Fraktionschefin wird.