Die Regierungsbildung im Wiesbadener Landtag kann Monate dauern – wenn es nicht sogar Neuwahlen gibt

Frankfurt/Main. Für Sensationen ist eine Hessen-Wahl immer gut. Man denke nur an 1999, als ein junger Christdemokrat mit vollen Lippen und dicker Brille namens Roland Koch mit einer aggressiven Kampagne gegen den „Doppel-Pass“ den Sozialdemokraten Hans Eichel aus der Staatskanzlei jagte. Oder 2003, als eben dieser Koch trotz CDU-Spendenaffäre die absolute Mehrheit holte.

Aber selbst altgediente Beobachter des Wiesbadener Landtags sind sich einig: So einen Krimi gab es lange nicht mehr. Morgens um 2.17 Uhr, nur zwölf Minuten vor Bekanntgabe des amtlichen Endergebnisses, schaffte es die längst untergegangen geglaubte Hessen-FDP mit ein paar Hundert Stimmen Vorsprung doch über die Fünfprozenthürde. Es dauerte bis zur Auszählung des vorletzten Wahlkreises, bis die Sensation perfekt war.

Trotz der Freude über das „Tor in der Nachspielzeit“ forderte Wirtschaftsminister Florian Rentsch (FPD) den Rücktritt des Landesvorstands. Das Ergebnis sei eine Klatsche, die Zweistimmenkampagne ein Fehler: „Dass das nicht sehr sexy ist, eine Partei zu wählen, die darum bittet, gewählt zu werden, glaube ich, ist auch klar.“

Überdies macht anders als 1999 der Einzug der Liberalen die Regierungsbildung nicht leichter, im Gegenteil. Hessen hat sich wieder die berühmten „hessischen Verhältnisse“ gewählt: Es gibt keine eindeutige Mehrheit, ein klarer Regierungsauftrag lässt sich nicht erkennen. Der Erfolg der Linkspartei hat alle Wunsch-Bündnisse scheitern lassen, die Fortsetzung der schwarz-gelben Ehe ist ebenso unmöglich wie Rot-Grün, woran das maue Ergebnis der Grünen Schuld hat. Es droht eine Neuauflage von 2008, als die damalige SPD-Chefin Andrea Ypsilanti eine rot-grüne Mehrheit durch die Linken beschaffen wollte.

Der Begriff „hessische Verhältnisse“ stammt aus dem Jahr 1982, als die Grünen erstmals in den Landtag kamen, aber noch nicht als koalitionsfähig galten. Damals ging es hoch her: die Startbahn West und der Austritt der FDP aus der sozialliberalen Landeskoalition hatten zu Verwerfungen geführt. Die Liberalen scheiterten, Regierungschef Holger Börner (SPD) blieb geschäftsführend im Amt – bis ein Jahr später Neuwahlen nötig waren.

Genau das erwartet nun zumindest FDP-Landeschef Jörg-Uwe Hahn. Er gehe davon aus, dass keine Mehrheiten gefunden würden und daher Schwarz-Gelb geschäftsführend weiterregiere, bis 2014 neu gewählt werde. Tatsächlich ist diese Variante nicht die unwahrscheinlichste, auch wenn dafür erst einmal eine Mehrheit im Parlament gefunden werden muss. Es könnte aber am Ende notwendig werden, vor allem wenn eine geschäftsführende CDU/FDP-Regierung auf Dauer handlungsunfähig ist. Volker Bouffier (CDU) muss also trotz fast 40 Prozent der Wählerstimmen sehr um sein Amt als Ministerpräsident bangen.

Bereits am Wahlabend hat er Gespräche mit SPD und Grünen angekündigt, aber diese Farbenspiele sind dennoch schwer vorstellbar. Zwischen den Blöcken klaffen tiefe Gräben, Bouffier und der Sozialdemokrat Thorsten Schäfer-Gümbel halten voneinander nicht viel. Letzterer nennt in privater Runde die Vorstellung, unter einem Ministerpräsidenten Bouffier als Vize dienen zu müssen, schon mal die „Höchststrafe“. Den Steigbügelhalter für die CDU zu spielen, wird sich die erstarkte SPD also einiges kosten lassen. Eine Forderung könnte sein, dass der als zu konservativ und unflexibel gescholtene Bouffier ersetzt werden muss, etwa durch den bisherigen Finanzminister Thomas Schäfer, der als unideologischer Pragmatiker gilt.

Bouffier im Bündnis mit den Grünen ist nicht leichter vorstellbar. Zwar sind die Animositäten nicht so ausgeprägt wie einst zwischen Grünen-Frontmann Tarek al-Wazir und Bouffier-Vorgänger Roland Koch. Auch gibt es Übereinstimmungen etwa in der Schulpolitik, sogar mehr als zwischen SPD und Grünen. Aber die konservative Wahlkampagne von 2008 hat der Sohn eines Jemeniten und einer Deutschen nicht vergessen: „Ypsilanti, al-Wazir und die Kommunisten stoppen“ hatte die CDU damals plakatieren lassen. So etwas sitzt tief. Andererseits ist Bouffier für al-Wazir vielleicht die letzte Chance auf ein Regierungsamt – außer, die Sozialdemokraten würden das Wagnis eingehen, es doch erneut mit Rot-Rot-Grün zu versuchen.

Dabei stellt sich jedoch die Frage, ob die Linkspartei als Mehrheitsbeschafferin ohne Regierungsbeteiligung zur Verfügung stünde – nach dem Vorbild von Nordrhein-Westfalen, wo sich Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) von den Linken wählen ließ und seither regiert. Im Vorfeld hatte die Linken-Spitzenkandidatin Janine Wissler das ausgeschlossen und Anspruch auf Mitgestaltung erhoben. Eine Regierungskoalition mit Linkspartei wird Schäfer-Gümbel vorerst wohl nicht wagen. Das Risiko, vom Wähler dafür erneut hart abgestraft zu werden, ist zu groß. Andererseits hat Schäfer-Gümbel von Bundesparteichef Sigmar Gabriel bereits indirekt den Auftrag bekommen, sich nicht mit Bouffier einzulassen, sondern selbst ans Ruder zu streben.

Der Chef der Hessen-SPD erwartet auf jeden Fall eine langwierige Regierungsbildung. Thorsten Schäfer-Gümbel: „Das ist ein schwieriges Ergebnis, das hat sich kein Mensch gewünscht. Es wird keine schnellen Lösungen geben.“ Zeit dafür gibt es, denn erst am 17. Januar 2014 läuft die Amtszeit der aktuellen Regierung aus.