Berlin. Am Wahlabend erreichte die Heldenverehrung bei der Linken noch einmal einen Höhepunkt. Gregor Gysi habe den Wahlkampf „gerockt“, jubelte Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn. Und ein Sprecher der Fraktion feierte den 1,63 Meter großen Politiker als „Gigant des Wahlkampfs“. Gysi selbst gab sich beim Auftritt vor seinen Anhängern triumphierend: „Wer hätte 1990 gedacht, dass diese Partei die drittstärkste Kraft der Bundesrepublik Deutschland wird.“ Vor allem aber hat der Fraktionschef der Linken seine Machtposition gefestigt. Ohne ihn geht in den kommenden vier Jahren nichts.

Das zeigte sich am Wahltag selbst in den kleinen Gesten. Während sich die Parteiführung bereits um 16 Uhr in der Parteizentrale versammelte, fuhr Gysi erst in seinen Wahlkreis in Treptow, bevor er im Karl-Liebknecht-Haus eintraf. Am Abend feierten alle gemeinsam in der Kulturbrauerei im Osten Berlins. Die Euphorie mag etwas überraschen, wenn man das Ergebnis mit dem der Bundestagwahl von 2009 vergleicht. Damals hatte die Linke fast zwölf Prozent der Stimmen bekommen. Allerdings lagen zwischen 2009 und 2013 eine beispiellose Parteikrise und der legendäre Parteitag von Göttingen. Beinahe hätten die verschiedenen Flügelkämpfe, die durch eine schwache Parteiführung noch befeuert wurden, die Linke in die Selbstvernichtung getrieben. Wer dem eigenen parteipolitischen Tod ins Auge geblickt hat, wird dankbar für Dinge, die ihm zuvor selbstverständlich schienen. Für das Verbleiben im Bundestag etwa. Die Begeisterung der Linke-Anhänger am Wahlabend fiel deshalb noch größer aus als 2009.

Viel anfangen wird die Linke mit ihrer relativen Macht aber nicht können. Denn politisch bleibt sie weiterhin isoliert. Sowohl SPD als auch Grüne haben eine Koalition mit ihr genauso kategorisch ausgeschlossen wie eine Tolerierung durch sie. Welches Schicksal Wortbrüchigen in dieser Frage droht, hat der Fall der hessischen SPD-Chefin Andrea Ypsilanti gezeigt. Dennoch erneuerte Gysi am Wahlabend sein Angebot: „Für Gespräche stehen wir zur Verfügung.“

Aber auch ohne Druck von außen wird sich die Linke in den kommenden vier Jahren entscheiden müssen. Definiert sie sich weiter in der Fundamentalopposition, oder will sie im Bund irgendwann mitregieren? Im Wahlkampf gab es dazu unterschiedliche Signale.