Die Deutschen erleben Angela Merkel, wie sie sie noch nie gesehen haben. CDU träumt zwischenzeitlich von absoluter Mehrheit

Berlin. So gelöst, froh, ja strahlend haben die Deutschen ihre Kanzlerin vielleicht noch nie gesehen. Vor allem nicht dort, wo sie eigentlich politisch zu Hause ist: Angela Merkel steigt schon um 18.45 Uhr auf ein Podium in der CDU-Zentrale, um ihren Wahlsieg zu feiern. Keiner soll dort das Wort ergreifen außer der Vorsitzenden. Im Atrium haben sich viele junge Leute in den orangen T-Shirts des „Team CDU“ positioniert. Auf den Rängen wird da längst Sekt aus Meißen getrunken. Schon eine Stunde vor der Prognose schien dies einigen in Aussicht darauf, was dann kommt, angemessen.

Es ist ein großer Sieg. Und ein besonderer Moment für Merkel. Das verrät nicht nur ihr Gesicht, sondern verraten auch ihre Worte. Denn Merkel dankt nicht nur den Wählern, der CSU, ihren Mitstreitern und ihren Mitarbeitern im Kanzleramt. Sondern sie sagt auch: „Ich danke meinem Mann, der dort an der Seite steht.“ Joachim Sauer steht nicht auf dem Podium, sondern am Rand, neben Beate Baumann, der mächtigen Büroleiterin Merkels – wohl die beiden wichtigsten Menschen für die Kanzlerin.

Zu diesem Zeitpunkt kann dieser Abend noch historisch werden: Die nächste Hochrechnung der Fernsehsender sehen eine absolute Mehrheit für die Union. Ja, wirklich: absolute Mehrheit. Das schaffte bisher nur einer in der Geschichte der deutschen Demokratie: Konrad Adenauer. Ob Merkel selbst dies für möglich gehalten hätte? In der Zentrale geht diese Hochrechnung fast unter. Kein Applaus, als wäre es ein Fehler. Doch das Gemunkel auf den Fluren wird in den nächsten Minuten schnell lauter: absolute Mehrheit!? Es ist wie ein Rausch. „Wir sind die Volkspartei.“

Am Vortag hatte Merkel noch zum ersten Mal Sorgen vor jenen erkennen lassen, denen während des Abends mehr Aufmerksamkeit galt als der sterbenden FDP: der neuen Partei der Euro-Gegner. Vehementer als sonst hatte Merkel auf der CDU-Abschlusskundgebung die Alternative für Deutschland (AfD) attackiert und die Gemeinschaftswährung verteidigt. Bis dahin hatte die Union die neue Konkurrenz möglichst ignoriert. Das hatte nicht wenige in der Union entrüstet. Sie forderten eine stärkere Auseinandersetzung. Sie können sich in jedem Fall bestätigt fühlen.

Bei 4,9 Prozent wurden die Euro-Gegner in der Prognose der ARD taxiert. Wenn die AfD doch noch über die Sperrhürde springt, das war allen klar, würde dies wohl eine große Koalition bedeuten. Oder doch nicht? Die Prognose für den bisherigen Koalitionspartner, die FDP, wollten einige Christdemokraten zunächst nicht wahrhaben. „Das letzte Wort ist hier noch nicht gesprochen“, sagte Fraktionschef Volker Kauder (CDU). Hinter vorgehaltener Hand verwiesen andere führende Christdemokraten auf die Briefwähler, die bei der Prognose nicht erfasst werden. Diese könnten die FDP noch retten. Deshalb ärgerte man sich in der Union nicht über die vermeintlich verlorene bürgerliche Mehrheit, sondern konzentrierte sich auf das eigene erfreuliche Abschneiden. „Wir freuen uns riesig“ sagte Kauder: „40 plus hat man für eine Volkspartei gar nicht mehr für möglich gehalten.“ Der Regierungsauftrag liege klar bei der Kanzlerin.

Vor den Kameras jubelte niemand lauter als Ursula von der Leyen. Die Arbeitsministerin nannte das Ergebnis „überwältigend“. Sie rief beinahe in die Fernsehkameras: „Ich freue mich unglaublich über dieses riesige Vertrauen. Fantastisch. Das sprengt alles, was ich erwartet hatte.“ Doch wie soll man das Spitzenresultat nutzen? Nur eines war eigentlich schon vorher klar: Angela Merkel bleibt Kanzlerin. Entweder mit Schwarz-Gelb, falls die doch noch über die Hürde kletterten, wie die Christdemokraten ja hofften, sonst aber wieder in einer großen Koalition mit der SPD. Selbst ein Bündnis mit den Grünen hatte die Union vorher nicht ausgeschlossen.

Horst Seehofer, bayerischer Ministerpräsident und CSU-Chef, nahm erst einmal das Tempo raus: „Man muss nicht um 19. 15 Uhr eine Regierung bilden.“ Er werde morgen früh mit Merkel telefonieren, anschließend würden beide Schwesterparteien getrennt in ihren Spitzengremien beraten, bevor er „am Mittag“ vor die Öffentlichkeit treten wolle.

Den Christdemokraten fiel trotzdem die Unsicherheit ab: Zwar war die Union monatelang bei 40 Prozent und gelegentlich sogar darüber in Umfragen taxiert worden. Doch den Wahlkämpfern steckten dennoch die Erfahrungen der beiden letzten Bundestagswahlen in den Knochen. Da hatte die SPD beide Male in einem enormen Endspurt in den letzten Tagen Boden gutmachen können. Genüsslich hatte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD im Bundestag, Thomas Oppermann, Merkels Umfragen mit einem Soufflé verglichen, dem Gebäck, das in sich zusammenfällt, wenn man hineinsticht. Tatsächlich war die CDU den ganzen Wahlkampf über nervöser gewesen, als sie es – wäre es nur nach den Zahlen gegangen – eigentlich hätte sein müssen.

Anders die CSU. Nach dem Sieg bei der Bayern-Wahl vor einer Woche und der Rückeroberung der absoluten Mehrheit blieb die Partei ebenso gelassen. Sie weiß, es werden die letzten Tage sein müssen, in denen sie zum „Schnurren“, wie Horst Seehofer das ausdrückt, verdammt ist. Jetzt kommen andere Zeiten, egal, mit wem Merkel regiert. Bezeichnend seine Worte, die er in München fand: „Der Sieger des heutigen Abends steht fest: Es ist die Christlich Soziale Union.“

Man erinnert sich. Vor vier Jahren war es vor allem die starke, manche in der Union sagen die unnatürlich starke FDP, die das Regieren so schwierig gemacht hatte. Die FDP wollte schnell liefern, und Merkel wollte sie möglichst lange nicht liefern lassen. Die Folge war ein unappetitliches Hauen und Stechen. Dieses Bild der Koalition in ihrem ersten Jahr hat die gesamte Legislaturperiode geprägt; Schwarz-Gelb in den Augen vieler moralisch desavouiert, entbürgerlicht. Die FDP zahlt dafür nun die Quittung.

Die Liberalen werden die Rolle des Muskelprotzes nicht mehr spielen. Aber vielleicht die CSU. Sie erhielt bei der Bundestagswahl ein Ergebnis, das noch über dem der Bayern-Wahl (47,7 Prozent) lag. Angela Merkels Sieg ist also Horst Seehofers Sieg. Oder anders: Merkel siegt, weil Seehofer siegte, das ist die Münchner Logik. Die Union hat nun zwei Parteichefs auf dem Zenit ihrer Macht; und vor allem Seehofer wird die seine auskosten.

Ganz gleich, wie nun die Koalition ausfällt, er wird auf drei Ministerien bestehen. Seehofer wird Merkel das Personal für die Ministerien diktieren. Darunter wohl Hans-Peter Friedrich, den er als Innenminister schon in Stellung gebracht hat, und Alexander Dobrindt, seinen Generalsekretär, der das Verkehrsministerium übernehmen könnte. Dass er ihn in der Hauptstadt installieren will, bekennt er mittlerweile freimütig. Es wird Dobrindts Aufgabe sein, die Pkw-Maut durchzufechten. Gegen die CDU. Die Pkw-Maut wird höchstwahrscheinlich die Funktion einnehmen, die das Betreuungsgeld in der letzten Legislatur hatte: ein Dauerthema, das wieder nur einer Partei hilft – der CSU.

Als im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin die absolute Mehrheit durch die Hallen geisterte, fiel auch das Wort, das diese Aussicht auch ein Stück weit zu einem Gespenst werden lässt, das man fürchtet: Euro. Denn eine knappe absolute Mehrheit wäre bei Abstimmungen über die Euro-Rettung schnell gefährdet. Die Union hatte bei allen Rettungsschritten nicht wenige Abweichler in den eigenen Reihen. Das sind keine Politiker, von denen man nun erwarten würde, dass sie sich selbst verleugnen. Charaktere wie Wolfgang Bosbach oder Peter Gauweiler.

Die SPD und Grüne als Opposition dürften sich hüten, Angela Merkel in so einem Fall die Mehrheit zu retten. So hatte sie es in der vergangenen Legislatur stets gemacht und Merkel so sehr komfortable Mehrheiten verschafft. So wäre eine allein regierende Union ein unsicherer Part, als sie es in den Zeiten einer schwarz-gelben Regierung je war. Aber das ist Schnee von morgen oder übermorgen.