Im Wahlkreis Nord tritt Christian Carstensen (SPD) gegen Dirk Fischer (CDU) an. Spielen sie bald wieder zusammen in der Bundestags-Elf?

Hamburg. Es steht 1:1 zwischen Dirk Fischer (CDU) und Christian Carstensen (SPD). 2009 gewann der Christdemokrat den Wahlkreis Nord, vier Jahre zuvor war es der Sozialdemokrat gewesen. Nun treten Fischer und Carstensen zum dritten Mal bei einer Bundestagswahl gegeneinander an – Routine gegen Zukunft, Fahrradfahrer gegen Familienvater, Fußballer gegen Fußballer. Beide Direktkandidaten kennen sich, beide schätzen sich, beide sind mit den Problemen in ihrem facettenreichen Wahlkreis zwischen ländlicher Idylle und städtischem Fluglärm vertraut.

Fast schon zusammengeschweißt hat den 69-jährigen Fischer und den knapp 30 Jahre jüngeren Carstensen, der derzeit für die Stadtentwicklungsbehörde arbeitet, die gemeinsame Zeit im Verkehrsausschuss des Bundestages. „Das verbindet“, sagt Carstensen. Aber entscheidender sei, dass „wir in der sehr bedeutenden Abgeordnetenmannschaft des Bundestages zusammen Fußball gespielt haben. Da ist man sehr eng und sehr nah beieinander.“ In diesem Team gingen die Spieler kameradschaftlich miteinander um, egal welcher Partei sie angehörten, sagt Fischer. Thomas Oppermann zum Beispiel, der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, sei „ein sehr guter Mittelstürmer“. Und Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sei „ein pfeilschneller, dribbelstarker Rechtsaußen“ gewesen. So habe er „persönlich gar nichts“ gegen Carstensen. Nur vertrete sein Herausforderer „die falsche Politik“, schmunzelt Fischer. So sieht es auch Carstensen: „Natürlich gibt es inhaltliche Unterschiede zwischen uns.“

Beide Lager, die CDU und die SPD, verfügen im Wahlkreis über eine stabile Klientel. Immer wieder wechselte in den Jahrzehnten der direkt gewählte Abgeordnete: In den 1980er-Jahren war es neben Fischer der Sozialdemokrat Hans Apel, später dessen Parteifreundin Anke Hartnagel und schließlich Carstensen. Zog er den Kürzeren, schaffte es Fischer immer über die Landesliste in den Bundestag. Dort sitzt der leidenschaftliche Fernradler seit 1980, hat sich etwa für den Bau der Ortsumgehung Fuhlsbüttel eingesetzt. So ist zu spüren, wenn Fischer durch die Straßen seines Wahlkreises geht, dass er für die Menschen „irgendwie dazugehört“, wie es ein Herr mittleren Alters in Sasel ausdrückt. „Er hat uns in Berlin immer gut vertreten“, sagt eine Dame in Wellingsbüttel, traditionelles „CDU-Land“.

Völlig chancenlos scheint Carstensen dort aber nicht zu sein: „Ihre Erststimme ist schon im Briefkasten“, ruft ihm ein Wähler im Vorbeigehen aufmunternd zu. Carstensen strahlt. Unermüdlich hat der zweifache Vater in den vergangenen Wochen Kontakt zum Wähler gesucht, sei es bei Sonnenschein an Infoständen auf Wochenmärkten oder bei Nieselregen an S- und U-Bahn-Stationen. „Wahlkampf macht mir unglaublich viel Spaß“, sagt Carstensen und geht schon wieder auf den nächsten Passanten zu, freundlich, offen, mit Elan. Erhält er eine Abfuhr, fragt er stets: „Sie gehen doch aber wenigstens wählen, oder?“ Carstensen gibt nicht auf. Es reize ihn, wieder in den Bundestag einzuziehen, „weil man wirklich etwas bewegen kann“. So habe er während seiner Zeit in dem Parlament das Fluglärmschutz-Gesetz auf den Weg gebracht, „was nach 35 Jahren dringend renovierungsbedürftig war“. Carstensen kämpft.

Zurück in den Bundestag möchte auch Anja Hajduk von den Grünen. Schon einmal wirkte die Haushaltsexpertin in Berlin, kam 2002 und 2005 jeweils über die Landesliste ins Parlament. 2008 wurde sie in den schwarz-grünen Senat unter Bürgermeister Ole von Beust (CDU) berufen und erlitt nach dem Aus der Koalition zwei Jahre später einen Karriereknick. Sie hat „ein bisschen gebraucht“, um das alles zu verdauen. Ihre erneute Kandidatur für den Bundestag erscheint der 50-Jährigen nach reiflicher Überlegung „schlüssig“. Dort hat sie sich „immer wohlgefühlt“, dort sieht sie ihre „politische Perspektive“, dort möchte sie sich „noch einmal neu einbringen“. Ihre Rückkehr nach Berlin gilt als sicher, steht sie doch auf dem begehrten Listenplatz eins ihrer Partei. Auch weiß Parteichefin Claudia Roth, „dass, wenn Anja Hajduk sich etwas vorgenommen hat, das auch immer etwas wird“. Sie bleibe sich treu und sei „unheimlich orientiert auf Ergebnisse“. Hajduk hat die Probleme im Wahlkreis genau studiert: „Politik, die in Berlin nicht gut läuft, spürt man auch in Hamburg. Wir brauchen gut finanzierte Bildungseinrichtungen, Kita- und Ganztagsschulangebote.“ Auch belaste die Menschen das Thema Wohnen und Mieten und die Frage, ob das mit der Energiewende funktioniere.

Direkt um Stimmen im Wahlkreis Nord wirbt auch FDP-Landeschefin Sylvia Canel, die seit 2009 im Bundestag sitzt. Im parteiinternen Rennen um Platz eins auf der Landesliste musste sie sich Burkhardt Müller-Sönksen geschlagen geben. Folglich schätzt die 55-Jährige ihre Lage ganz nüchtern ein: „Ich bin nicht so vermessen zu glauben, dass ich als Wahlkreiskandidatin einer kleinen Partei eine Chance habe.“ Ihre Berufstätigkeit sieht sie ohnehin „ganz woanders“ und möchte ihre Unabhängigkeit behalten: „Deshalb ist es für mich auch kein Problem, mal ein Mandat zu haben und mal nicht.“ Tapfer Wahlkampf macht sie dennoch. „Glauben Sie den Umfragen nicht, die sind so etwas wie Lotterie“, erklärt sie einem Bürger am Infostand in Eppendorf. Canel ist sich sicher, dass ihre Partei in Hamburg wie im Bund zwischen sieben und acht Prozent erzielen wird. Und dann wünsche sie sich „endlich eine gute strategische Ausrichtung“ für die gesamte Stadt: „Was wollen die Hamburger eigentlich?“ Sich nur auf den Hafen zu verlassen reiche nicht aus.

Mit ganz anderen Sorgen wird Herbert Schulz konfrontiert, der Direktkandidat der Partei Die Linke. Unzählige Hausbesuche hat der langjährige Landessprecher gemacht, intensiv mit den Menschen geredet: „Viele sehen die Zukunftsaussichten zwar gar nicht so schlecht, aber in der Realität rechnen sie mit jedem Euro. Und auch in Nord gibt es viel Armut – sehr ungleich verteilt, in Eppendorf und Winterhude natürlich weniger als in Langenhorn.“ Auch sprächen ihn die Bürger auf den Syrien-Konflikt an. „Sie wollen nicht, dass sich Deutschland an militärischen Aktivitäten beteiligt. Das ist ein wesentlicher programmatischer Punkt bei uns“, erklärt der 66-Jährige. Nur stehe seine Partei damit „allein auf weiter Flur“.

Auch Schulz, Canel und Hajduk schätzen ein angenehmes Klima zwischen den Konkurrenten im Wahlkreis Nord. So weit, dass Fischer das Feld Carstensen kampflos überlassen würde, geht die Freundschaft zwischen den Fußball-Kameraden natürlich nicht. „Ich arbeite viel zu gerne, bin viel zu aktiv und lebendig.“ Sich zur Ruhe zu setzen, das entspricht nicht seiner Mentalität. „Herr Fischer ist sowieso wieder im Bundestag, für ihn ist das eher ein Freundschaftsspiel“, sagt Carstensen. Bei ihm hingegen, auf der Landesliste auf Platz sechs, sei es wie 2009: „Entweder ich komme rein oder nicht. Für mich ist das jetzt schon ein Entscheidungsspiel.“